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MATHILDE

Vom Fatschenkind zum Pampers-Baby

Kleine Kulturgeschichte des Wickelns

»Und Maria gebar ihren ersten Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge (Lukas 2,7.)

Dieser spärliche Hinweis im neuen Testament auf das Wickeln eines neugeborenen Kindes lässt nicht viel Rückschlüsse auf die Wickelmethode oder den Stoff zu, aus dem die Windeln waren. Da Jesus in einem warmen Land geboren wurde, war die Windel vermutlich nur ein Stück Stoff aus Leinen, das ihm um die Hüften gewickelt wurde.

Die Wickelmethoden in Europa bis ins 19. Jahrhundert waren für unsere heutige Auffassung grausam und unhygienisch: Die Säuglinge wurden in grobe Leinenhemdchen oder -tücher gesteckt, die sich mehrfach kräuselten und falteten. Darüber schlug man eine Windel. Die Arme wurden gegen die Brust gepresst und ein breites Band unter den Achseln durchgezogen, das Arme und Beine festhielt. Wäsche und Bänder wurden zwischen den Schenkeln gefaltet und das ganze von den Füßen bis zum Hals so straff wie möglich mit einem rundum laufenden Band zusammengeschnürt. Die Methode unterschied sich bei Armen und Reichen nur durch das Material der Tücher und Bänder, die bei den Wohlhabenden durchaus aus Seide sein konnten, während der Windelstoff der Armen vorwiegend rauhes Leinen war.

Das Wickeln war sehr kompliziert und zeitaufwendig, sodass es lange dauerte, bis ein Kind angezogen war. Der Vorteil für die Erwachsenen war dennoch enorm: Waren die Kinder erst einmal eingeschnürt, brauchten die Erwachsenen ihnen kaum noch Aufmerksamkeit zu widmen. Wie eine neuere medizinische Untersuchung gezeigt hat, sind gewickelte Kinder extrem passiv; ihre Herzen schlagen langsamer, sie schreien weniger und schlafen weitaus mehr. Diese Wickelmethode hatte noch weitere gesundheitsschädliche Folgen: Die rundum laufende Schnürung drückte die Falten des Hemdchens oder Leinentuchs gegen die Haut des Säuglings, sodass der kleine Körper ganz von roten Furchen und Druckstellen übersät war. In der zusammengebündelten Wäsche zwischen den Schenkeln sammelten sich Kot und Urin, dadurch entstanden schmerzhafte Wundstellen und Bläschen. Die Windeln wurden im allgemeinen nur einmal am Tag gewechselt, sodass die Säuglinge oft viele Stunden in ihren Ausscheidungen ausharren mussten.

Das Windelpaket wurde in Österreich und Teilen Süddeutschlands, abgeleitet vom lateinisch-italienischen »fascia« (Band, Binde) »Fatsche« genannt, in anderen Gegenden, so zum Beispiel im Sudetenland, »Büschel«.

Mittelalterliche Madonnenbilder zeigen das Jesuskind als festgebündeltes Wickelkind. In Südtirol fand das »Fatschen-kind« als Spielzeug Verwendung. In einigen Gegenden Süddeutschlands und Österreichs ist das Fatschenbaby noch als Backform für Gebildbrote in Gebrauch.

Ab dem Krabbelalter wurden die Kinder dann nicht mehr geschnürt und konnten sich freier bewegen. Sobald sie laufen konnten, gab es keine Windeln mehr. Die Kleinen trugen Röckchen oder später offene Höschen, im Gegensatz zu heutigen Wickelkindern, die im Durchschnitt 27 Monate Windeln tragen.

Bis in die sechziger Jahre unseres Jahrhunderts wurden Neugeborene in Windelpakete eingehüllt, zuletzt allerdings ohne Schnürung und mit frei beweglichen Armen. Dann kamen Strampelhöschen aus Baumwolle in Gebrauch und sorgten auch für die Bewegungsfreiheit der Beine. Gewickelt wurde nun mit weichen Baumwoll-Mullwindeln, darüber kam ein Gummi- oder Plastikhöschen. Die Wickelmaterialien wurden gewaschen und wiederverwendet. Inzwischen hatte auch die Waschmaschine in den meisten Haushalten das arbeitsintensive Waschen mit der Hand abgelöst.

Anfang der siebziger Jahre traten die »Pampers« ihren Siegeszug in die bundesdeutschen Kinderzimmer an. Zuvor hatte das Zellstoff-Plastik-Produkt der Firma Procter & Gamble schon Amerika erobert. Was ursprünglich als »praktische Lösung für unterwegs« begonnen hatte, wurde innerhalb weniger Jahre zur Standard-Wickelmethode. Heute wird bereits die zweite Generation Kinder - etwa 90 Prozent aller Wickelkinder - mit Höschenwindeln gewickelt. »Pampers« ist zum Synonym auch für die Höschenwindeln anderer Hersteller geworden, die um Marktanteile in der Branche kämpfen.

Zweifellos hat das Benutzen von Höschenwindeln das Wickeln für die Eltern erheblich erleichtert. Allerdings sollten einige Bedenken nicht unerwähnt bleiben: Ein einziges Wickelkind verbraucht etwa 6.000 Höschenwindeln während seines Wickelalters. 6 Millionen Wegwerfwindeln wandern täglich allein in westdeutsche Mülltonnen, 400.000 Tonnen Windelmüll samt Inhalt fällt jährlich an. Etwa 10 Kubikmeter Holz pro Wickelkind wird benötigt, um das Rohmaterial für den Zellstoff zu gewinnen. Die größten Hersteller von Babywindeln haben Lizenzen zur Rodung riesiger Wälder in Skandinavien und Kanada, wo in großem Stil abgeholzt wird. Für die Zellstoffherstellung von 6.000 Wegwerfwindeln werden 78.000 Liter Wasser benötigt und mit Chemikalien belastet - im Gegensatz zu 18.000 Litern für die entsprechenden Waschvorgänge mit Baumwollwindeln. Außerdem entsteht bei der Produktion Schwefeldioxid. Bei der Kunststoffherstellung für die Folien wird die Luft besonders mit Stickoxiden belastet.

Nicht unterschätzt werden sollten auch die gesundheitlichen Aspekte der Plastik-Zellstoff-Verbindung: Durch die luftdichte Außenhülle der Höschenwindel entsteht ein Brutkasteneffekt, der Bakterien und Pilzen ideale Lebensbedingungen bietet. Allergien und Hautreizungen unter luftdichten Windelfolien sind nicht selten Folgen dieser Wickelmethode.

Umweltfreundliches Wickeln ist jedoch auch in unserer modernen Zeit ohne allzu großen Zeit- und Arbeitsaufwand möglich. Bei der Entwicklung auf diesem Gebiet hat man mit der Wollwickelmethode eine »Anleihe« beim alten Waden-, Brust- oder Halswickel - in der Medizin als so genannter »Prießnitzscher Wickel« bekannt - gemacht: Über eine speziell gefaltete Mullwindel oder in mehreren Lagen fertig genähte Windeleinlage wird ein Wollwindelhöschen gezogen. Wolle kann sehr viel Feuchtigkeit aufnehmen, ohne »nass« zu werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass sie sich weitgehend durch Lüften regeneriert. Windelhöschen aus naturbelassener Schafwolle müssen nur bei grober Verschmutzung durch das »große Geschäft« gewaschen werden.

So gewickelte Babies werden kaum wund, da die Wolle atmet. Sie müssen auch nicht öfter gewickelt werden als »Pampers«-Babies. Pilzerkrankungen und Dermatosen treten selten auf bzw. heilen rasch ab. Diese Art zu wickeln ist also hautfreundlich, wärmend und umweltfreundlich, sofern mit Waschmitteln sparsam umgegangen wird und die Windeln weder elektrisch getrocknet noch gebügelt werden. Sogar der Geldbeutel wird geschont: Den Kosten von ca. 1.500 Euro für Höschenwindeln steht der Anschaffungspreis für waschbare Windelmaterialien von ca. 250 Euro entgegen.

Auch für Eltern, die Windelwaschen für zu arbeits- und zeitaufwendig halten, gibt es eine Alternative zu Wegwerfwindeln: Professionelle Windeldienste in vielen größeren Städten stellen das komplette Wickelmaterial zur Verfügung, holen einmal wöchentlich verschmutzte Windeln ab und liefern frisch gewaschene ins Haus. Die Preise dafür liegen etwa im Rahmen der Kosten für Wegwerfwindeln.

Liliane Spandl

Literaturhinweise:

Claudia Bruder: »Natürlich wickeln« - Neue Wege aus der luftdichten Verpackung«.
Broschüre, erhältlich beim Arbeitskreis »Wickelkultur statt Wegwerfkultur« des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz, Außenstelle: Habichtweg 1, 77656 Offenburg

Informationszeitschrift des Verbandes der deutschen Windeldienste e.V.,
Postfach 92 04 39, 21134 Hamburg

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