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MATHILDE

Odette, Landarbeiterin in Danyi Aligba, Togo

Foto: Agnes Schmidt

Alltag in Afrika

Ab Mitte September bis Mitte Dezember 2002 lebte Franziska Mey in einem Dorf in Togo/Westafrika. Vermittelt durch den DEUTSCHEN FRAUENRING e.V., der seit zwanzig Jahren die Dorfentwicklung in dieser Region fördert, absolvierte die Studentin im Rahmen ihres Studienfaches Politikwissenschaft das vorgeschriebene Praktikum. Sie schickte an Mitte November ihre ersten Eindrücke über das Dorfleben

Mit gemischten Gefühlen begann ich vor anderthalb Monaten meine Reise ins frankophone Togo – was würde mich in meinem dreimonatigem Aufenthalt in einem kleinen Dorf 150 km nördlich der Hauptstadt Lomé erwarten? In Deutschland hatte ich mich zu Beginn diesen Jahres beim Deutschen Frauenring um ein Praktikum in Afrika beworben. Durch dessen Initiative und Unterstützung verschiedener Projekte in Westafrika, erhielt ich die Möglichkeit über das Praktikum in einem Jugendausbildungszentrum und einer Gesundheitsstation, das Leben in Afrika kennen zu lernen. Im direkten Kontakt mit den Menschen wird mir ein Einblick in die Lebensumstände der Bevölkerung gewährt. Und als einzige Weiße im Ort bedeutet dies als erstes eine Anpassung an die einfachen Lebensverhältnisse der Einheimischen. Nach meinem herzlichen Empfang in Danyi Atigba bezog ich meine Bleibe im Ort – und hier gilt es ohne Strom und fließendes Wasser zu leben. Wenn ich kochen, spülen oder mich waschen möchte, hole ich mit einem Eimer Regenwasser aus der Zisterne im Hof. Das Umfeld war hier anfangs für mich etwas befremdlich – Lehmhütten, offene Feuerstellen und überall Hühner, Schafe und Ziegen, die frei herumlaufen. Aber schon nach wenigen Tagen habe ich mich an meine neue Umgebung gewöhnt und finde es nun sogar normal, allmorgendlich und allabendlich Wasser aus der Zisterne zu schöpfen.

Meine Praktikumsarbeit beinhaltet in erster Linie die Umstände hier zu studieren – die Tätigkeiten im Jungendzentrum und die unerlässliche Arbeit in der Gesundheitsstation. Mir war von vornherein bewusst, dass ich allein nicht viel verändern oder bewirken kann. Das Leben in Afrika zu erfahren, lässt sich jedoch nicht mit dem Wissen aus Büchern und dem Fernsehen vergleichen. Man taucht hier in eine komplett andere Welt ein.

»Helfen« kann ich nur durch kleinere Tätigkeiten, beispielsweise im Gesundheitszentrum den Blutdruck messen, sowie die Temperatur und das Gewicht der Patienten prüfen. Mit diesen kleineren Handgriffen kann ich doch sehr gut in engeren Kontakt mit den Frauen des Dorfes treten und viele Fragen über das Leben und ihre Arbeit stellen. Mir wurde immer sehr offen und freundlich geantwortet.
Kleinere Verständigungsschwierigkeiten, da nicht alle im Dorf Französisch sprechen, konnte durch die Hilfsbereitschaft der anderen anwesenden Frauen sehr schnell überwunden werden. Ich erfuhr, dass auch hier die meiste Arbeit auf den Schultern der Frauen lastet. Das heißt neben der Feldarbeit ( die sie zumeist mit ihren Männern teilen) und sonstigen Tätigkeiten ( bspw. Marktverkäufe ) sind sie allein in der Sorge um die Kinder und im Bereiten der Mahlzeiten, was mit zusätzlichem Arbeitsaufwand – Wasser holen, Brennholz herbeischaffen und Feueranzünden etc. verbunden ist.
Dabei tragen die Frauen ihre Babies und Kleinkinder stets auf dem Rücken. Schon im Kindesalter werden die Mädchen und aber auch die Jungen zeitig in der Hausarbeit angelernt. Ab dem 5. Lebensjahr wird ihnen gezeigt, wie man Feuer entzündet, Essen bereitet, die Wäsche wäscht oder Geschirr spült. Eben die alltäglichen Dinge im Haus. Zum Spielen bleibt da nicht mehr viel Zeit.

In Danyi Atigba lebt man zu 90 Prozent noch von Landwirtschaft. Von den Frauen ließ ich mir ihre Felder zeigen, auf denen in schwerer Handarbeit hier insbesondere Maniok, Bohnen, Reis und Yams kultiviert werden. Zur Feldarbeit werden die Kinder natürlich von Beginn an mitgenommen. Und circa ab dem 7. Lebensjahr müssen die Kleinen auch hier mit Hand anlegen. Mit dem 12. Lebensjahr ist man so streng in die Hausarbeit eingebunden, dass der Tag bereits um 5.00 Uhr mit Feueranzünden, zum Waschen Wasser holen und erhitzen, Auskehren und anderen kleineren Tätigkeiten, beginnt. Neben der Schule und der Hausarbeit hat man selbst als Kind tagsüber wenig, wenn überhaupt noch Freizeit.

Es ist keine Seltenheit, dass besonders die Mädchen ab dem 13. Lebensjahr selbstständig für einen Großteil der Hausarbeit verantwortlich sind. Denn in vielen Familien ist es üblich die Kinder des Bruders, Cousins oder Freundes aufzunehmen, wenn dieser nicht für den Unterhalt (bspw. Schulgeld) aufkommen kann. In der »neuen Familie« werden sie jedoch wie eigene Kinder betrachtet. Als Gegenleistung wird von ihnen die Mitarbeit im Haus und auf dem Feld erwartet. Ungewohnt war es auch zu erfahren, dass diese Kinder ihr Elternhaus oft über Jahre hinweg nicht sehen, sollten die Eltern in einem anderen Ort leben. Ähnlich ergeht es Scheidungskindern, denn ab dem 8. Lebensjahr hat der Vater das Recht, auch gegen den Willen der Mutter das Kind zu sich zu nehmen. (Das trifft auf verheiratete wie unverheiratete Paare zu.) So kann es sein, dass ein Kind nach der Trennung seiner Eltern die Mutter, wenn überhaupt erst als Erwachsene/r wieder sieht.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass junge Mädchen oft ungewollt schwanger werden. Die Männer streiten oft die Vaterschaft ab, doch sind die Kleinen dann aus dem Gröbsten raus, nimmt sie der Mann oft zu sich. Für das Mädchen entstehen doch schon mit der Schwangerschaft Schwierigkeiten, da es dann obligatorisch für sie ist, die Schule abzubrechen.
Durch die verstärkten Aufklärungsaktionen und das im Ort befindliche Familienplanungszentrum konnte die Zahl der Mädchenmütter in den letzten drei Jahren erfolgreich gesenkt werden. (Entbindungsregister Danyi Atigba : 2000 noch 17 Mädchenmütter unter 20 Jahren, 2001 noch 9 Mädchenmütter, und bis Okt. 2002 noch 7 Mädchenmütter).

Und auch der Wunsch nach vielen Kindern ist zurück gegangen, da die meisten jungen Frauen auf meine Frage wie viele Kinder sie wollen, antworten zwei bis drei seien genug, da man schließlich nicht das Geld für mehr Kinder hat. Verfrühte Schwangerschaften sind neben Geldmangel oft ein Grund für einen zeitigen Schulabbruch. In Togo muss für den Schulbesuch alle drei Monate ein Schulgeld gezahlt werden, doch das allein ist noch nicht genug, da Schuluniform, Bücher, Hefte und Stifte auch selbst zu finanzieren sind. So investieren die Eltern, wie ich beobachten konnte, lieber in eine Ausbildung über zwei Jahre (die zudem billiger ist) als in einen Schulbesuch von weiteren 5 Jahren.
Die Möglichkeit einer Ausbildung ist wiederum, sei es aus Armut oder Mangel von Ausbildungsstellen in der Nähe, nur wenigen gegeben. Im Jugendausbildungszentrum des Ortes (Centre des Jeunes Danyi Atigba) haben Jugendliche, bevorzugt Mädchen, die Chance einen Beruf als SchreinerInnnen (von Mädchen, trotz Angebot nicht frequentiert) Schneiderinnen und Friseurinnen zu erlernen.
Die Schulbildung spielt dabei keine große Rolle, da den Jugendlichen mit der Ausbildung eine Erwerbsgrundlage geschaffen werden soll. Und für die Frauen, die in der Regel noch immer am zeitigsten die Schule beenden (so sind im örtlichen College in der 8. Klasse von 91 SchülerInnen noch 25 Mädchen, in der 9. Klasse von 72 nur noch 18 Mädchen und in der 10. Klasse von 53 noch 15 Mädchen) ist dies eine Aussicht ihren Unterhalt zu sichern.

In Danyi Atigba lebt die Majorität der Frauen von Feldarbeit – einzig mit dem Verkauf eines Teils der Erträge, sei es an den Strassenrändern Atigbas oder auf den Märkten in den nächsten Orten, können sie sich etwas Geld verdienen. Aber selbst dazu ist der Schulbesuch unerlässlich, da man lesen und rechnen können muss um ein solch kleines Geschäft zu betreiben.
Das Leben der Frauen hier ist erfüllt von Arbeit. Es gilt: selbst ist die Frau, denn zum Nachdenken warum und weshalb bleibt keine Zeit, da der Abend anbricht und die Kinder Hunger haben.

Ich bin immer wieder beeindruckt von der Ruhe und Gelassenheit, die diese Frauen trotz ihrer vielen Arbeit und den oft 5 bis 6 Kindern ausstrahlen. Mir wäre schon längst der Geduldsfaden gerissen, angesichts der Art wie die togolesischen Männer in ihren Sesseln sitzend, kommandieren und den Frauen bei der Arbeit zusehen. Dabei frage ich mich jedoch: ist es eine zu bewundernde Ausgeglichenheit der Frauen oder schon Resignation?

Ich bin mit ganz anderen Vorstellungen und gemischten Gefühlen hier angekommen – kann ich mich frei bewegen, welche Krankheiten warten auf mich, gibt es Lebensweisen mit denen ich nicht zurecht komme? Sobald man aber vor Ort ist, muss man die meisten Vorbehalte revidieren. Herumreisen kann ich selbst allein ohne Angst. Und vor Krankheiten schützen die bekannten Vorsichtsmaßnahmen. Und in besonderer Weise ist hier eine überwältigende menschliche Wärme zu finden, die Hilfsbereitschaft, Offenheit und Herzlichkeit der Menschen sucht in Deutschland seines Gleichen. Afrika ist eine Erfahrung wert.

Franziska Mey

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