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Louise Dittmar — Vordenkerin der Gerechtigkeit

Freie Frauen als Vision

Das Werk der Darmstädter Schriftstellerin Louise Dittmar (1807-1884) bezeugt eindrucksvoll ihre Leidenschaft für Gerechtigkeit für die Benachteiligten der Gesellschaft. Bevorzugt streitet Louise Dittmar für Frauenrechte, denn die Frauen sind in den Zeiten des Biedermeiers, des Vormärz und der folgenden Restauration schon von Geburt an benachteiligt, und daran leidet Louise Dittmar ihr Leben lang.

 

"Seit meiner frühesten Jugend empfand ich nichts schmerzlicher als die Nichtachtung und Geringschätzung meines Geschlechts", so äußerte sie sich 1849 in einem Brief.

Louise Dittmar leidet jedoch nicht still und bescheiden, wie es sich in jenen Zeiten für eine Frauensperson ziemt, sondern protestiert erst schriftlich, wenn auch anonym, dann unter ihrem Namen und später auch als Rednerin. Ihre Hauptforderung - damals wahrhaft revolutionär - ist die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frau.

Zu radikal für Frauen?

Zu Zeiten, da der Ehemann über das Geld der Frau verfügte, nur sehr wenige Mädchen eine höhere Schule besuchten und für Bürgerstöchter Berufstätigkeit verpönt war, mutete diese Forderung geradezu als absurde Anmaßung an, so radikal, dass Louise Dittmar auf wenig Resonanz stieß. Wohl gab es auch Befürworter ihrer Ideen, aber eher unter Männern. Die anderen Frauenrechtlerinnen ihrer Zeit wie Luise Büchner und Luise Otto Peters unterstützten Louise Dittmar nicht, sie hielten ihre Ansprüche wohl für zu unrealistisch.

Die ökonomische Unabhängigkeit der Frau war für Louise Dittmar die Vorbedingung ihrer zweiten großen Forderung, nämlich die Abschaffung der Konvenienz-Ehe, bzw. Versorgungsehe. Die Einmischung des Staates in das privateste Leben empfand sie als skandalös und nur begründet in der gewollten Abhängigkeit der Frau vom Ehemann. Ehescheidungen arteten auch damals mitunter in Schlammschlachten aus, wie Louise Dittmar, selbst nie verheiratet, wusste, und in der Regel war es die Frau, die durch die Scheidung ihre Ehre verlor.

Keine Staatsehe!

Louise Dittmar erkannte schon rund 130 Jahre vor der modernen bundesdeutschen Scheidungsgesetzgebung (1977) die Unmoral der geltenden Ehegesetze. Was angeblich zum Schutz der Ehe gedacht war, diente nur der Bequemlichkeit des Mannes. In ihrem Buch "Das Wesen der Ehe" stellt sie die nach wie vor aktuelle Frage: "Warum gibt es so viele unglückliche und so wenige, ja beinahe keine glücklichen Ehen?"

Sie plädierte für die Liebesheirat, da nur Ehen, die aus Zuneigung und freiem Willen, ohne materielle Argumente wie eine teure Mitgift, geschlossen wurden, von sittlichem Wert und insbesondere für die Frau lebenswert seien.

Louise Dittmar hatte aber noch weitergehende Ideen. Sie widersprach dem geltenden Frauenideal, das da hieß: "Alles können und nichts wollen, alles leisten und nichts brauchen…" Sie erkannte diese Frauenfalle, die zwangsläufig ins Unglück führen musste. Auch wenn die Liebesheirat der Versorgungsehe vorzuziehen ist, prangerte Louise Dittmar das Hausfrauen-Dasein als unwirtschaftlich an.
"Die Beschränkung der weiblichen Thätigkeit auf den Haushalt hemmt die Entwicklung des Lebens in höchstem Grade. Welche Kenntnisse würden sich die Frauen in allen Fächern aneignen können, wenn sie statt am eigenen Herd, wie heute, so morgen, zu sieden und zu braten, an großen gemeinschaftlichen Anstalten sich betheiligten, wo Alles mit Kunst und wissenschaftlichen Hilfsmitteln betrieben würde. Und würden sich hierbei nicht die verschiedensten Fähigkeiten betheiligen und zugleich ihre ökonomische Unabhängigkeit sichern können? Solchen Anstalten werden die Nothwendigkeit und die Kulturmittel in nächster Zeit herbeiführen."

Feministsche Theorie und Praxis

Heute wissen wir, dass Louise Dittmar in ihrer Begeisterung zu optimistisch war. Wie kam sie als Bürgerstochter, die ein durchaus angepasstes Leben führte, überhaupt zu solch revolutionären Ideen?

Sie wuchs auf in bewegten Zeiten, die in ihrer Familie aufmerksam verfolgt wurden. Ihr Vater sympathisierte mit den Republikanern um Georg Büchner und ermöglichte seinen acht Söhnen nach guter Familientradition ein Studium. Louises ältere Schwester wurde verheiratet. Für Louise kam aus Überzeugung keine Versorgungsehe in Frage, die vielleicht auch an der mangelnden Mitgift gescheitert wäre. Die Familie war gebildet und nicht arm, aber Louise stand als jüngere Tochter in der Wertigkeit hintenan. Wahrscheinlich durfte sie die erste Darmstädter höhere Mädchenschule besuchen, die in ihrer Nachbarschaft lag (Schule im Birngarten), aber eine Berufstätigkeit war nicht vorgesehen. Erst später in materieller Not verdingte sie sich wahrscheinlich bei Verwandten im Haushalt.

Durch ihre acht Brüder wurde Louise in ihrer Jugend die Chancenungleichheit von Männern und Frauen, bei ähnlicher oder ihn ihrem Fall wohl höherer Begabung, ständig vor Augen geführt.

"Meine Natur besteht im Widerstand gegen die Ungerechtigkeit, nicht in frommer Duldung des scheinbar Unvermeidlichen."

Die Dittmar - ein BürgerInnenschreck?

Jahrzehntelang muss es in ihr gegärt haben, aber erst nach dem Tod ihrer Eltern veröffentlichte sie 1845 ihre Schriften, in einer Zeit, in der große Teile der Bevölkerung in republikanischer Aufbruchstimmung waren. Frauen, die sich in die politische Diskussion einmischten, wurden allerdings als Exoten betrachtet und häufig lächerlich gemacht. Das geistige Klima jener Zeit war für Frauen nicht nur durch den "Mief von 1000 Jahren" vergiftet, sondern auch durch zeitgenössische "Köpfe" (!) wie Arthur Schopenhauer, der den Frauen 1851 bescheinigte, "eine Art Mittelstufe zwischen dem Kinde und dem Manne (zu sein), welcher der eigentliche Mensch ist."

Louise Dittmar beklagte sich auch schriftlich, dass sie bei den Frauen "gegen Vorurtheile und Gewohnheiten kämpfen muss, die dem eigenen Geschlecht zu Glaubenssatzungen und was das Schlimmste ist, zur anderen Natur geworden sind." Sie hat für diese Denkgewohnheiten auch eine Erklärung parat, nämlich den "Mangel aller persönlichen Geltung der Frau als Frau. Daher erblickt man so selten ein unbefangenes weibliches Wesen und noch seltener unter ihnen eine unbefangene Meinung, die sich nicht conform mit der allgemeinen und insbesondere der des Mannes verhält."

Zu früh geboren

Dittmars Zeitgenossinnen hatten nicht darauf gewartet, dass eine wie sie endlich die Stimme erhebt und das Übel der Frauenunterdrückung an der Wurzel packt. Louise Dittmar stellte ihre Ansprüche Generationen zu früh. Ihre Darmstädter Nachbarin Luise Büchner beschränke ihre Forderungen auf bessere Bildung und Arbeitsmöglichkeiten für Frauen und konnte mit der radikalen Louise Dittmar wohl wenig anfangen.

Louise Dittmar glaubte nicht an Reformen, sondern wollte eine neue Denkweise. Der herrschende religiöse Fatalismus, dass jedes Schicksal gottgewollt sei und die Verhältnisse daher nicht zu ändern, war ihr ein Dorn im Auge. Sie interpretierte die christliche Religion neu im Sinne des Philosophen Ludwig Feuerbachs, dessen Anhängerin sie war. Des Menschen Schicksal sei nicht vorherbestimmt, sondern gerade die Freiheit des Menschen sei gottgefällig. Sie beschäftigte sich gründlich mit Religion und Philosophie, vergaß aber auch nicht die zu jener Zeit besonders bei den Bauern existenziellen Probleme - es gab Missernten und daher eine Auswanderungswelle in die USA.

"Ohne Wohlstand gibt es keine Freiheit, ohne Freiheit keine Sittlichkeit, und ohne Sittlichkeit beruht das ganze Leben auf Anarchie".

Louise Dittmar veröffentlichte ihre Gedanken nur von 1845 bis 1849. Die von ihr herausgegebene Zeitschrift "Die soziale Reform" überlebte nur vier Ausgaben lang. Louise Dittmars Energie fiel der Restauration ab 1850 zum Opfer, als Frauen jede politische Betätigung verboten wurde und auch die Republik wieder in weite Ferne rückte. Schreibende Frauen versteckten ihre politischen Ansichten mitunter in Romanhandlungen, aber Louise Dittmar hatte mit solchen Versuchen kein Glück. Ihre Spur verlor sich und es sollte hundert Jahre nach ihrem Tod 1884 vergehen, bis Louise Dittmar von Autorinnen wieder entdeckt wurde.

Persönlich lebte sie in ihrer Zeit verhaftet und fiel außer durch ihre Schriften und Reden nicht aus der Frauenrolle, ihre Ideen waren jedoch für das 19. Jahrhundert zu visionär und sind heute mitunter noch erschreckend aktuell.

Renate Arnemann

 

"Doch ist es auch gewiss, dass die Freiheit der Frau die größte Revolution nicht allein unserer, sondern aller Zeiten sein wird, denn sie bricht Fesseln, die so alt sind als die Welt".
(Louise Dittmar)

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