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Jutta Voss

Fotos: Heike Liss

Meine Autonomie ist mir wertvoller als Amt und Gehalt

Jutta Voss, Psychotherapeutin, Theologin und Forscherin weiblicher Mythen

 

Als wir für die letzte Ausgabe der in diesem Jahr das Thema "Querdenkerinnen" planten, dachte ich gleich an Jutta Voss, an die Autorin des Buches "Das Schwarzmond-Tabu - die kulturelle Bedeutung des weiblichen Zyklus", mit dessen Thesen die damalige Pfarrerin an den Grundfesten der patriarchalen Kirche rüttelte. Anstatt sich auf das Buch und einen Dialog mit der Autorin einzulassen und sich mit weiblichen Sichtweisen auseinander zu setzen, führte die Württembergische Landeskirche im Einverständnis mit der EKD Deutschland von Januar 1990 bis November 1993 ein Lehrzuchtverfahren nur aufgrund dieses Buches gegen die mutige Theologin durch. Jutta Voss hat dem Druck standgehalten, sich nicht von den Inhalten ihres Buches abbringen lassen und ihre Seele nicht für 30 Silberlinge verkauft. Eine Woche vor dem Gerichtstermin hat sie ihre Ordination "zwangsweise freiwillig" zurückgegeben. Es lagen schwerwiegende Rechtsverletzungen vor, die vor keinem staatlichen Gericht in dieser Demokratie einklagbar waren, da die Kirche bis heute eine eigene Gerichtsbarkeit hat. Jutta Voss gab ihre Ordination vor allem deswegen zurück, weil sie der Kirchenleitung und dem Spruchkollegium nicht das Recht zugestand, über ihre Person und über weibliche religiöse Inhalte Lehrzucht auszuüben. Seitdem ist Jutta Voss keine Pfarrerin mehr, sondern kirchenamtlich bestätigte Ketzerin. Sie verlor Ordination, Amt, Beamtenstatus, Beruf, Gehalt und alle sozialen Beziehungen. Ihre 23 Jahre Pensionsanspruch wurden mit nur 13 Jahren minimalem Rentenanspruch vergütet, den Jutta Voss sich auch erst noch rechtsanwaltlich einklagen musste. "In der heutigen Inquisition tötet die Kirche subtiler", schreibt Jutta Voss in dem Buch "Kann denn Gehorsam Sünde sein?".
Es ist über das Internet beziehbar.

 

Die Autorin

Jutta Voss ist in diesem Jahr 60 geworden. Die gelernte Buchhalterin studierte nebenbei Gesang, war von 1965 bis 1970 Sängerin an der Oper. Ab 1971 studierte sie Theologie auf dem zweiten Bildungsweg, wurde 1975 ordiniert und arbeitete nach drei Jahren Gemeindepfarramt bis 1988 als Krankenhausseelsorgerin in Stuttgart. Da die Seelsorgeausbildung in der Kirche mittelmäßig ist, studierte Jutta Voss nebenbei Analytische Psychologie am C.G. Jung-Institut in Zürich.

1988 wurde sie zum erstenmal zum Oberkirchenrat vorgeladen, weil das von ihr geschriebene und 17 mal aufgeführte "Frauenrequiem" als theologisch nicht vertretbar beanstandet wurde. Jutta Voss ließ sich für zwei Jahre beurlauben und gründete das Institut für Gynenergetik in Stuttgart, in dem sie mit Frauen therapeutisch arbeitete. Als sie danach wieder ein Pfarramt übernehmen wollte, wurde das Lehrzuchtverfahren gegen sie eröffnet. Noch während des Prozesses baute sie 1992 ein 260 Jahre altes Bauernhaus in der Gegend von Tübingen zur Ausbildungs- und Forschungsstätte für Frauen um. Im "Haus Menucha" bietet sie analytische Therapiekurse und Jahresgruppen in Traumdeutung, Meditation und mythologischem Tanz an. Sie entwickelte eine zweijährige Ausbildung in weiblicher Mythologie. Seit 2000 ist sie aufgrund der neuen Psychotherapiegesetze als Psychoanalytikerin bei allen Kassen zugelassen und führt eine eigene Praxis. Darüber hinaus hat sie das allergen- und nikotinfreie Frauenferienhaus DEICHHUS an der Nordsee gebaut, das Frauen "zur Erholung an Leib und Seele" einlädt.

Über alle Angebote informiert das Internet unter www.jutta-voss.de.

Das Buch

Das "Schwarzmond-Tabu" erschien 1988 im Kreuz-Verlag, es ist nach wie vor im Buchhandel erhältlich. In jahrelanger Forschungsarbeit hat Jutta Voss circa 2500 Bilder gesammelt, fotografiert und katalogisiert. Einige davon werden in dem Buch gezeigt. Diese Bilder und vorchristliche weibliche Mythen wurden für sie zum "roten Faden" in ihrer Erforschung der Menstruation und der Potenz und kultischen Bedeutung des weiblichen Zyklus weltweit. Jutta Voss beschreibt in ihrem Buch die 40.000 Jahre alten Wurzeln weiblicher Identität in vorpatriarchaler Zeit und die 3000-jährige Hochreligion von Eleusis, die auf dem weiblichen Zyklus als Ursakrament des Lebens beruhte. Der Menstruationszyklus wurde in dieser Religion zum Wandlungsmysterium und vergeistigte sich zur dreiphasigen schwarz-weiss-roten Göttin. Die christliche Kirche übernahm die Traditionen und Riten dieser uralten Religion und ersetzte das lebensschaffende Blut der Frau durch das Blut des hingerichteten Jesus und die dreiphasige Göttin wurde abgelöst durch einen mono-theistischen dreieinigen männlichen Gott. Während die Kirche das Menstruationsblut als "unrein und schmutzig" dogmatisierte, wurde das Tötungsblut des Mannes Jesus als rein und von Schuld erlösend sakralisiert. Es wurde jedoch nicht das Menstruationsblut gefeiert, sondern das unsichtbare Wesen der ewigen zyklischen Wandlung und Erneuerung alles Lebendigen und des gesamten Kosmos.

Jutta Voss zeigt die gewaltsame Eliminierung des Weiblichen historisch und mythologisch in Kirche und Kultur auf. Sie setzt sich damit auseinander, wie Frauen im Patriarchat ihren Zyklus so entfremdet erleben müssen, dass sie oft krank davon werden. Sie zeigt, wie weibliche Identität in der Rückbindung an die weisheitlichen Mythen über Göttinnen neu erfahren werden kann und dass die Menstruation als Schöpfungspotenz der Frauen verstanden wurde.

Sie beschreibt den Patriarchalisierungsprozess, der parallel zur Christianisierung verlief und zur Entwertung der Frau und ihrer religiösen Vorstellungen führte. Sie macht deutlich, wie im Verlauf der Geschichte Frauen diffamiert, verflucht, missbraucht, entstellt und tabuisiert und im Hexenwahn und während der Frauenverfolgung im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit ermordet wurden.

In der Wiedergewinnung des weiblichen Potentials sieht Jutta Voss einen Weg, unser öffentliches und privates Leben in Politik und Religion endlich in eine gesunde Balance weiblicher und männlicher Kräfte zu bringen.

-Redakteurin Barbara Obermüller sprach mit Jutta Voss über ihr interessantes Forschungsgebiet:

Frau Voss, halten Sie die beiden Kirchen für reformierbar durch die Bemühungen von Frauen, einerseits durch feministische Theologie in der evangelischen und andererseits durch die kürzlich von Frauen erzwungene, nicht offiziell anerkannte Priesterinnenweihe in der katholischen Kirche?

Versuch einer kurzen Antwort:

Unabhängig von zu respektierenden feministisch theologischen Bemühungen halte ich keine der monotheistischen Religionen für reformierbar. Die Kirchen erlauben ein paar Variationen, so wie die Fassade am Haus einen neuen Anstrich bekommen kann. Es gibt zwei Prämissen, also grundsätzlich nicht hinterfragbare Tatsachen, die auch von den feministisch bewegten Frauen in der Kirche gar nicht diskutiert werden dürfen, denn dann muss (!) jede monotheistische Kirche sie zwangsläufig ausscheiden wie mich, wenn sie ihr Selbstverständnis nicht relativieren will.

  1. Diese Religionen sind "mono".

    Es gibt also nur eine Wahrheit und dadurch sind geistiger Terror und realer Kriegsterror die ganz normale Folge. Monotheismus muss zwangsläufig Krieg führen gegen Andersdenkende, denn sonst würden die Kirchen auf die Prämisse des "mono" verzichten müssen und damit würden sie den eigenen Glauben an die eine einzige Wahrheit selber ad absurdum führen. Eine Relativierung des "mono" wäre das Ende der Kirchen. Frauen, die an dem "mono" rütteln, greifen nichts weniger als die Identität der Kirche an. Es ist absolut nachvollziehbar, dass eine monotheistische Kirche jemanden wie mich, die den Primat einer einzigen Wahrheit infrage stellt, feuern muss.

    "Mono"- Theismus ist daher grundsätzlich nicht reformierbar, es sei denn die Kirchen wären bereit, ihre grundlegenden Glaubensvorstellungen, ihre Substanz und ihre Macht aufzugeben.

  2. Diese Religionen sind "theistisch".

    Es gibt also nur einen männlichen Gott, die religiösen Werte sind männliche Werte. Der Mann-Gott sitzt nun nicht real körperlich und auch nicht real energetisch auf einer Wolke oben, dieser Kinderglaube sollte bei Erwachsenen vorbei sein. Der Mann-Gott ist ein Gottesbild des Mannes, das nachgewiesenermaßen nicht einmal historisch "am Anfang der Welt" stand, sondern erst vor circa 3000 Jahren als Projektion psychischer Bedürfnisse des Mannes entstanden ist. Diese Bedürfnisse waren zwar noch unbewusst, wurden aber - was mit unbewussten Anteilen immer gemacht wird - projiziert und personifizierten sich als Vater-Gottesbild. Das Hauptbedürfnis des Mannes war die politische und religiöse Machtübernahme mit der Konsequenz der Entwertung bisheriger weiblicher politischer Potenz und religiöser Weisheit, die sich eben nicht in einer, sondern in vielen Göttinnen personifizierte, was einer gesunden Psyche in ihren vielfältigen Teilaspekten entspricht. Solange es nicht erlaubt ist, diese Prämisse des Vater-Gottesbildes zu hinterfragen, das der psychischen Vielfalt auch des Mannes nicht gerecht wird, ist eine theistische Kirche nicht reformierbar. Weibliche Werte bleiben zweite Wahl, falls sie überhaupt als Werte wahrgenommen werden. Weibliche religiöse Vorstellungen und Bedürfnisse werden ignoriert und eliminiert. Da reicht es nicht, zum Ostersonntag, zur Feier anlässlich der Auferstehung eines von Männern getöteten Mannes, der zum Gottessohn erklärt wird, feministische Osterglocken zu verteilen.

    Es ist Zeit, diese Vater-Projektion zurückzunehmen und als eigenen psychischen Anteil zu integrieren, damit Männer hier unten auf dieser Erde authentische Männer und Väter werden. Es ist ebenso Zeit, dass Frauen den feministischen Irrtum von neu etablierten Super-Mutter-Göttinnen beenden, die genau so unbewusst als weibliche Machtbedürfnisse an den Himmel projiziert werden. Wir brauchen keine Väter und Mütter im Himmel. Erwachsene sind keine "Kinder Gottes", auch keine Kinder der Göttin, sondern können auch religiös endlich erwachsen werden und "Vater und Mutter verlassen". Psychisch erwachsen werden wir, wenn wir unbewusste und projizierte Inhalte als eigene psychische Anteile integrieren, das heißt, wenn wir die Projektionen zurücknehmen und erkennen, dass wir selber gefragt sind und wir ganz allein für die Gestaltung dieser Welt verantwortlich sind. Dann ist der Himmel zwar leer, dafür sind wir aber erwachsen. Wir brauchen Männer und Frauen, weibliche und männliche Werte, hier gleichberechtigt und gleichwertig auf dieser Erde. Wir brauchen keine Götter, weder mono noch multi, weder männlich noch weiblich, wir brauchen psychisch bewusste, erwachsene, menschliche Menschen, die geschwisterlich leben können.

    Es gab in den letzten Jahren Publikationen von Frauen, die die Existenz eines Matriarchats in Frage stellen, zum Beispiel "Göttinnendämmerung" von Brigitte Röder, Juliane Hummel und Brigitta Kunz im Jahr 1996 und ganz neu "Die Wolfsfrau im Schafspelz" von Martina Schäfer. Was halten Sie davon?

Versuch einer unpolemischen Antwort:

Ich bin dafür, dass sich Frauen anstrengen, die bisher geleistete Matriarchatsforschung kritisch und sachlich zu hinterfragen. Als ich mein Buch schrieb, habe ich mir gewünscht, dass es in zehn Jahren überholt sein wird, aber gleichzeitig als eine Forschungsleistung von 1988 weiterhin anerkannt bleibt als eine Weiterentwicklung des damaligen Forschungsstandes.

Konstruktive Kritik zeigt Möglichkeiten auf, noch einmal ganz andere und ungewohnte Perspektiven wahrzunehmen. Es ist in diesem Sinne eben auch Teil der Weiterentwicklung. Zu damaliger Zeit war die Suche nach einem "Matriarchat" als politische Struktur in vorpatriarchaler Zeit einfach dran. Viele der heute zu recht kritisch hinterfragten Bücher und Thesen haben mich sehr angeregt, selber und eigenständig Neues zu denken und noch nicht sicher Gewusstes für denkbar zu halten und die vorgegebenen Denkmauem zu durchbrechen.

Meine derzeitige Sicht zum Matriarchat ist, dass es keines gegeben hat. Es ist meines Erachtens eine Rückverlagerung heutiger patriarchaler Strukturen in vorpatriarchale Zeiten nur mit dem Vorzeichen, dass auf dieselbe Art und Weise jetzt Frauen "herrschen". Das ist dann eine Rückwärtsverlagerung dessen, woran wir heute leiden, dass es wiederum nur eine Wahrheit gibt, jetzt halt die weibliche.

Mein jetziger Wissensstand über mein Forschungsgebiet der Eleusinischen Mysterien, die von 2500 vor unserer Zeitrechnung bis 500 nach unserer Zeitrechnung als Hochreligion gefeiert wurden, ist die Erkenntnis, dass Frauen und Männer ganz selbstverständlich miteinander die Mysterien feierten und auch beide Geschlechter wichtige Positionen in Eleusis besetzten. Gerade dieses Miteinander fasziniert mich an dieser Hochreligion, wobei der Inhalt aller Mysterien eben die zyklische Wandlung war, wie Frauen sie als Schöpfungspotenz im Körper erfahren. Da der Mann diese rein physische Erfahrung nicht hat, musste er mit besonderen Ritualen in die Mysterien der zyklischen Wandlungen eingewiesen werden. Aber dann war er den Frauen gleichgestellt. Für mich ist die politische und religiöse Gesellschaftsstruktur am besten mit der Form des Kreises beschrieben, bei dem es eben kein Oben und Unten gibt. In Eleusis wurde gemeinsam im Kreis um den Brunnen der schönen Tänze getanzt und die Zeremonien wurden von Frauen und Männern geleitet. Wenn ich mythologische Tänze unterrichte, bin ich zwar fiir die Zeit der Vermittlung der Schritte die Leiterin, aber in dem Moment, wenn wir alle die Schritte können und im Kreis tanzen, leite ich nicht mehr, sondern bin "wie alle anderen". Es entspricht meiner weiblichen Erfahrung, dass ich als Frau sehr wohl Leitung übernehmen kann und es auch will, sich aber diese Funktion sofort relativiert, wenn die anderen den gleichen Wissensstand haben. Und genau diese Relativierung, als Wissende oder auch Leitende mit anderen auf gleicher Augenhöhe zu sein und es auch zu wollen, ist mein inneres Modell von Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit. Es ist die Fähigkeit zu einer geschwisterlichen Gemeinschaft, ohne deswegen Leitungsfunktionen oder besondere Gaben entwerten zu müssen. Sollte es je ein Matriarchat gegeben haben, brauchen wir den Abschied von dieser matriarchalen Herrschaftsstruktur wie von der des Patriarchates. Was dann kommt, wissen wir noch nicht, aber wir könnten es ja gemeinsam entwickeln.

mit Jutta Voss sprach Barbara Obermüller

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