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Den Frauen das Amt, den Männern die Ehre?

Der Begriff "Ehrenamt" geht in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück, als bestimmte Personen durch Wahl zu außerberuflichen (zum Beispiel kulturellen und sozialen) Tätigkeiten verpflichtet wurden. Die Wahl in diese Ämter wurde als "Ehre" betrachtet. Heutzutage versteht man darunter eine Dienstleistung ohne Arbeitsvertrag, die grundsätzlich unentgeltlich, freiwillig und mit zeitlicher Begrenzung geleistet wird. Ehrenamtliche Tätigkeit liegt im Interesse der Gesellschaft: Sie ergänzt hauptberufliche Arbeit durch Übernahme wesentlicher Aufgaben, trägt durch Teilnahme am Gemeinwesen zur Demokratisierung der Gesellschaft bei und ist ein probates Mittel gegen Individualismus und Egoismus in der Gesellschaft.

Für die Definition ehrenamtlicher Arbeit gibt es unterschiedliche Kriterien, so dass genaue Zahlen über ehrenamtlich Tätige in Deutschland nicht verfügbar sind. Schätzungen gehen von etwa 34 Prozent aller Deutschen aus, die durchschnittlich fünf Stunden pro Woche in ehrenamtlichen Funktionen arbeiten. Zwei Drittel davon sind Frauen, die zu 50 Prozent aus Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern stammen. Das Durchschnittsalter liegt bei 40 bis 50 Jahren, wobei in den letzten Jahren der Altersdurchschnitt angestiegen ist. Der betriebswirtschaftliche Wert der ehrenamtlich geleisteten Arbeit geht in die Milliarden.

Bei der Motivation für das Ehrenamt findet sich eine breite Streuung von Altruismus bis Egoismus; meist sind mehrere Motive vorhanden: religiöse und politische Gründe, die persönliche Suche nach Unabhängigkeit und Sinnerfüllung, Dankbarkeit für verfügbare Zeit und Gesundheit, Kompensation persönlicher Verluste, Spaß und Freizeit in der Gruppe, Selbstbestätigung, Zugehörigkeitsgefühl, Aufwertung der eigenen Person. Darüber hinaus tragen die Verkürzung von Wochenarbeitszeiten, vermehrte Freizeit, die öffentliche Diskussion über den Stellenwert der Arbeit insgesamt sowie die höhere Lebenserwartung der Einzelnen dazu bei, dass ehrenamtliche Arbeit von immer mehr Menschen wahrgenommen wird. Frauen überbrücken oft die Zeit zwischen vollem Familieneinsatz und Wiedereinstieg in den Beruf mit einer ehrenamtlichen Tätigkeit.

Die ehrenamtlichen Tätigkeitsfelder von Frauen und Männern unterscheiden sich zum Teil sehr wesentlich. Funktionen, die mit gesellschaftlichem Prestige, Freistellung von der beruflichen Tätigkeit und teilweise üppigen Sitzungsgeldern verbunden sind, werden überwiegend von berufstätigen Männern wahrgenommen: Sie sitzen in Beiräten, Betriebsräten, Personal- und Aufsichtsräten, Stiftungs- und Verwaltungsräten, in Vorständen von Wohlfahrtsverbänden, politischen Parteien, wissenschaftlichen und Wirtschaftsverbänden, kommunalen Gremien, sportlichen oder kirchlichen Organisationen. Die Mitarbeit in Fachgremien für Berufs- und Expertengruppen ist für viele Männer Teil der beruflichen Karriere. Für Mitglieder von Aufsichts- und Kontrollgremien gelten gesetzliche und tarifliche Freistellungsregelungen - das Gehalt läuft in der Regel weiter. Viele Ehrenämter dieser Art ermöglichen billige oder kostenlose (Fortbildungs-)Reisen, kurzfristige Unterbrechung der Erwerbstätigkeit ohne Einkommenseinbußen, beruflichen Austausch und gesellige Abende. Arbeitslose oder Rentner sind in diesen Gremien ebenso selten zu finden wie Frauen.

Allein im Umfeld der Bundesregierung gibt es über 350 Beratungs- und Aufsichtgremien, denen etwa zwölf Prozent Frauen angehören. In den Selbstverwaltungsgremien der gesetzlichen Sozialversicherungen und Berufsgenossenschaften, die alle sechs Jahre gewählt werden, sitzen selten mehr als acht Prozent Frauen.

Die Verpflichtung auf sieben Jahre ehrenamtlicher Tätigkeit beim Katastrophenschutz, bei der freiwilligen Feuerwehr oder bei Rettungsdiensten erspart jungen Männern den Wehr- und Ersatzdienst. Viele von ihnen bleiben auch danach diesen Organisationen verbunden. Besonders beim Technischen Hilfswerk (THW) lässt sich das "Angenehme" mit dem "Nützlichen", der "Spaß an der Technik" zum Beispiel mit kostenlosen Fortbildungslehrgängen und dem Führerschein Klasse 2 verbinden. Die Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, THW-Helfer und andere Katastrophenschützer unter Fortsetzung des Gehalts und der Sozialabgaben freizustellen - nicht nur bei Einsätzen, sondern auch in der Aus- und Weiterbildung. Die Kosten werden den Arbeitgebern durch die Bundeskasse erstattet. In manchen ehrenamtlichen Bereichen bietet sich eine "Parallelkarriere" im Vereinsleben an, zum Beispiel als Sportwart, Trainer, Übungsleiter, Obmann, Vorsitzender, Präsident etc. Konferenzen, Tagungen, Lehrgänge und Einsätze bringen gesellschaftliche Anerkennung und können steuermindernd beim Finanzamt geltend gemacht werden. Hinzu kommt, dass Männer in viel größerem Ausaß die Infrastruktur an ihrem Arbeitsplatz für ihre ehrenamtlichen Aufgaben nutzen können.

Frauen in Ehrenämtern sind überwiegend in sozialen Bereichen tätig, während der Anteil von Männern hier lediglich bei zwölf Prozent liegt. Ehrenamtliche HelferInnnen in diesem Bereich besuchen Häftlinge im Gefängnis, Kranke im Krankenhaus, begleiten Sterbende als HospizhelferInnen, helfen SenioInnen beim Einkaufen oder Migrantenkindern bei Schulaufgaben. Für diese Tätigkeiten gibt es weder Freistellung von der Arbeit noch Sitzungs- oder Tagungsgelder, allenfalls, wenn sie im Auftrag von Wohlfahrtsverbänden verrichtet werden, Fahrtkostenerstattung. Spesenvergütung ist in vielen Organisationen inzwischen üblich, wenn auch oft erst auf Anforderung. Auch Versicherungsschutz während der ehrenamtlichen Tätigkeit ist im Allgemeinen gewährleistet. Aufwandsentschädigungen dagegen sind eher die Ausnahme. Ein besonderes Problem liegt im fehlenden "Zukunftseffekt", da sich ehrenamtliche Tätigkeit nicht auf die spätere Rente auswirkt.

Ein weiteres Konfliktfeld ist die Zusammenarbeit zwischen ehrenamtlichen und hauptberuflichen MitarbeiterInnen, die durch Konkurrenzdenken und Missverständnisse über die jeweilige Stellung und Verantwortung entstehen können. Eigene Kompetenzen der ehrenamtlichen MitarbeiterInnen werden von Seiten der Berufskräfte oft nicht genügend anerkannt. Ehrenamtlich Tätige fühlen sich häufig allein gelassen, wenn Probleme nicht gelöst werden können. Supervision für Ehrenamtliche ist noch sehr selten, weil in vielen Fällen nicht bezahlbar. In keinem Fall dürfen ehrenamtlich Tätige als "billige Arbeitskräfte" einen Ersatz für Berufskräfte darstellen. Wo Hilfe kontinuierlich und regelmäßig geleistet und kontrolliert werden soll, ist der Einsatz von vertraglich verpflichteten Arbeitskräften notwendig: Das Ehrenamt darf nicht zur grundsätzlichen Entlastung des Sozialstaates beitragen, was jedoch in der Praxis hier und da sicher umgangen wird. Bei kritischer Betrachtung erweist sich das Ehrenamt in weiten Bereichen als ein Spiegelbild der Gesellschaft: den Frauen das Amt (Dienstleistung), den Männern die Ehre (Status, Privilegien, Anerkennung).

Liliane Spandl

Quellen:
Lissner/Süssmuth/Walter: Frauenlexikon, Herder Verlag, Freiburg/Breisgau, 1988
Pinl, Claudia: Männer lassen arbeiten, W. Krüger Verlag, Frankfurt/M. 2000

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