< Heft 59 (4/2002) | MATHILDE - Das nicht kommerzielle Frauenmagazin aus Darmstadt

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Ehrenamt vom Aussterben bedroht

Glosse

Das Ehrenamt (honor) wurde in die Liste der vom Aussterben bedrohten Arten aufgenommen, wie die Gesellschaft zur Rettung der bedrohten Arten (GzRdBA) mitteilt. Zwar gebe es sowohl regional als auch in den einzelnen Subspezies große Unterschiede, doch insgesamt muss längerfristig mit dem Verschwinden des Ehrenamtes gerechnet werden. Die Gesellschaft hat die Lebensweisen der verschiedenen Ehrenämter untersucht und ihre regionalen Lebensräume festgehalten. Darin sind alle jemals gesichteten Ehrenämter aufgelistet, doch die Forscher waren auf die Mitarbeit von Laien angewiesen. Diese bemühten sich redlich, die jeweiligen Ehrenämter und deren regionale Ausprägungen anhand von Fragebögen zu charakterisieren. Dass dies vielfach nicht in ausreichendem Maße gelungen ist, leuchtet ein. Daher ist der "Deutsche Atlas über die Verbreitung des Ehrenamtes" zwar hervorragend geeignet, bestimmte Ehrenämter an den beschriebenen Merkmalen zu erkennen, differenziertere Betrachtungen über Lebensweise, Verbreitung und Fortpflanzung lassen sich jedoch mit diesem Material kaum erfassen.

Einige besonders gut erforschte Arten des Ehrenamts im südhessischen Raum möchten wir in diesem Beitrag vorstellen: Noch relativ häufig verbreitet ist das kleine oder gewöhnliche Ehrenamt (honor minor oder honor vulgaris), das vor allem auf dem Land und in entfernten Tälern des Odenwalds noch ausreichend Lebensraum findet. In den Betonwüsten der Städte hat sich das bürgerliche Ehrenamt (honor municipalis) Nischen geschaffen, wo es noch recht aktiv ist. Beide Arten sind sehr gesellig und treten meist in Gruppen auf, scheuen jedoch Hierarchie und Verantwortung. Wenn Entscheidungen zu treffen sind, kommt es zu hektischer Konfusion, die meist in allgemeinem Rückzug endet. Häufig wird ein Einzelexemplar in die Rolle des honoros competentus gedrängt und trägt dann sichtlich schwer an der aufgebürdeten Last. Bei nächster Gelegenheit versucht es diese loszuwerden und einem anderen Artgenossen aufzuladen.

Um das große oder außergewöhnliche Ehrenamt (honor major oder honor extraordinaris) aufzuspüren, muss man in Tiefgaragen, still gelegten Bergwerken oder Chefetagen suchen, um ab und zu auf ein scheues Exemplar zu stoßen. Bei dieser Spezies herrscht eine streng strukturierte Hierarchie, in der man Männchen hauptsächlich in den Chefetagen, Weibchen eher in den niedrigeren Dienstleistungsbereichen und bei der Brutpflege findet. Außerhalb der Paarungszeit leben die Geschlechter streng getrennt. In den letzten Jahren wurde ein dramatischer Rückgang der Nachkommenschaft beobachtet, was Fachleute auf mangelnde Fürsorge bei der Brutpflege zurückführen. Immer mehr weibliche Exemplare der Spezies versuchen sich Lebensräume außerhalb der Aufzucht des Nachwuchses zu erobern, wobei sie sich nicht selten Gruppen des kleinen oder des bürgerlichen Ehrenamtes anschließen.

Das ältere Ehrenamt (honor senior) wird erst in seinen späteren Lebensjahren richtig aktiv, während das jugendliche Exemplar (honor junior) tagsüber in behüteter Umgebung lebt, gelegentlich aber auch in nachtaktiver Lebensweise anzutreffen ist.

Die Forschungsergebnisse zeigen, dass Maßnahmen notwendig sind, dem Ehrenamt einen angemessenen Platz in unserer pluralistischen Gesellschaft zu ermöglichen, da es sonst auf lange Sicht zu einem Artenschwund kommen wird. Und das wäre doch bedauerlich. Dies werden alle bestätigen können, denen jemals so ein putziges Ehrenämtchen begegnet ist.

Liliane Spandl

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