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MATHILDE

Von der Gelbbauchunke zum Tinnitus

Neurobiologin Dr. Susanne Braun

Mein Name ist Susanne Braun und ich wurde 1959 in Jugenheim/Bergstraße geboren. Mein Vater war Chemiker bei Röhm GmbH in Darmstadt und entwickelte Waschmittel für die Firma Burnus. Daher kam ich schon frühzeitig mit wissenschaftlichen Fachbegriffen in Berührung. So gab es bei uns zuhause beispielsweise keine Plastiktüten, sondern nur Polyäthylentüten und dieses Wort lernte ich schon als kleines Kind fehlerfrei auszusprechen. Während meiner Kindheit, die ich in Seeheim und Bensheim verbrachte, hatte ich viel Gelegenheit, der Natur auf die Spur zu kommen. Es gab in der Nähe meines Wohnorts in Seeheim ein herrliches Wasserloch, in dem sich Gelbbauchunken und andere Amphibien tummelten und ich sammelte eifrig den Laich, um dessen Verwandlung in Kaulquappen und schließlich Unken zu beobachten.

Viel später, während meines Biologiestudiums in Darmstadt, kehrte ich an diesen Ort zurück, denn eine der Exkursionen im Grundstudium hatte unter anderem »mein« Wasserloch zum Ziel.

Große Vorbilder waren für mich Bernhard Grzimek und Jacques Cousteau, später aber vor allem die Nobelpreisträgerin Marie Curie. Denn im Verlaufe meiner Gymnasialzeit interessierte ich mich immer mehr auch für andere Wissenschaften, Physik, Chemie, Astronomie und ganz besonders Archäologie und Paläoantropologie, die Evolution des Menschen. Im Gegensatz zu anderen Schülern, die als Hobby Biologie hatten, habe ich mich als Gymnasiastin nie so intensiv mit der Tier- und Pflanzenwelt beschäftigt, wie zum Beispiel Vögel beobachten oder ein Aquarium zu Hause haben. Mich interessierten alle Naturwissenschaften gleichermaßen.

Nach dem Abitur 1978 galt es jedoch, sich zu entscheiden, was mein Beruf werden und was mein Hobby bleiben sollte. In Mathematik war ich nicht sehr gut: also keine Physik. Für Archäologie brauchte man Latein und Altgriechisch, was ich nicht gelernt hatte. Außerdem erschienen mir die Berufsaussichten in diesem Fach am schlechtesten. Ich entschied mich daher für Biologie als Beruf. Da mein Abiturdurchschnitt jedoch nicht zu einem sofortigen Studium ausreichte, machte ich zunächst eine zweijährig Ausbildung zur biologisch technischen Assistentin am Naturwissenschaftlichen Technikum in Landau/Pfalz.

Danach konnte ich dann endlich ein Biologiestudium an der TH Darmstadt aufnehmen, wobei ich von dem was ich in meiner Ausbildung gelernt hatte, während es gesamten Grundstudiums profitieren konnte. Dank der Ausbildung war mir inzwischen auch klar, dass mich Zoologie von allen Fachgebieten am meisten interessierte.

Am faszinierendsten fand ich die Neurobiologie der Sinne, also das Seh- und das Hörsystem. Auf diesem Arbeitsgebiet führte ich eine Diplomarbeit an der THD durch, in der ich mich mit der akustischen Prägung von Hühnerküken beschäftigte. In meiner Doktorarbeit untersuchte ich die Lautäußerungen und das Lernverhalten von Degus, einer Nagetiergattung, die in Chile beheimatet ist. Da über diese Tiere bis zu diesem Zeitpunkt sehr wenig bekannt war, konnte ich einige neue Aspekte ihres Sozialverhaltens und ihrer Kommunikationslaute herausfinden und veröffentlichen.

Mit medizinischen Themen kam ich zum ersten Mal während meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin, d. h. als sogenannte "Postdoc" (nach der Doktorarbeit) an der TUD in der Arbeitsgruppe Neuroakustik von Prof. Dr. Langner in Berührung. Zusammen mit Kollegen arbeitet ich an einem Projekt, das sich mit Innenohrprothesen beschäftigt.

Menschen, deren Innenohr vollständig zerstört oder von Geburt an nicht ausgebildet ist, können kein konventionelles Hörgerät, welches Töne lediglich verstärkt, verwenden. Durch ein Innenohrimplantat, mit dem der Hörnerv direkt elektrisch gereizt wird, können sie jedoch wieder hören. Wenn auch der Höreindruck nicht dem normalen Gehör gleich kommt, so können diese Menschen doch wieder mit anderen kommunizieren, manche können sogar Musik hören.

Obwohl Innenohrprothesen schon lange erfolgreich besonders bei taub geborenen Kindern eingesetzt werden, können und müssen sie noch optimiert werden. Dazu ist es nötig, die gesamte Funktion des Hörsystems zu untersuchen, also nicht nur das Ohr, sondern auch das Gehirn, welches das Gehörte verarbeitet.

Ein anderes, mit Innenohrschäden direkt verknüpftes Problem, das in der Arbeitsgruppe Neuroakustik der TUD untersucht wird, ist Tinnitus. Nach Schädigung des Innenohrs durch einen Knall oder durch einen Hörsturz, leiden viele der Patienten unter quälenden Ohrgeräuschen, die recht unterschiedlich sein können, z. B. Rauschen, Pfeifen oder Zirpen. Die bei Medizinern vorherrschende Meinung war (und ist es zum Teil auch noch), dass diese Geräusche direkt im Ohr entstehen und dort auch behandelt werden müssen.

Es gibt traurige Fälle, in denen sich verzweifelt Patienten den Hörnerv durchtrennen ließen, nur um ihren Tinnitus loszuwerden. Sie nahmen es sogar in Kauf, durch diesen Eingriff zu ertauben. Leider kehrte der Tinnitus wieder zurück. Zusammen mit meinen Kollegen konnte ich durch Aktivitätsmessungen von Nervenzellen im Gehirn nachweisen, dass die Ursache von Tinnitus, die Hörstörung, zwar im Ohr liegt, dessen Entstehung und Wahrnehmung jedoch in der Hörrinde des Gehirns stattfindet.

Tinnitus kann am besten mit Phantomempfindungen verglichen werden. Ein Bein, das amputiert wurde, wird in der Hirnrinde dennoch wahrgenommen, obwohl es nicht mehr existiert. Eine zerstörte Innenohrzelle, die einen Ton nicht mehr ins Gehirn weiterleiten kann, führt zu einem Hochregeln der Hörempfindlichkeit durch Rückkopplung von der Hörrinde und dadurch zur Wahrnehmung eines Tons, der gar nicht vorhanden ist. Wir konnten darüber hinaus auch nachweisen, dass der Teil des Gehirns, der für Aufmerksamkeit und Angst zuständig ist, maßgeblich die Entstehung von Tinnitus beeinflusst. Bestätigt wird dies durch die Erfahrung von Patienten, deren Tinnitus unter Stress oder wenn sie ihre Aufmerksamkeit auf ihn lenken, lauter wird. Leider wurde das Projekt vom Bundesministerium für Forschung und Technik trotz der Erfolge nicht mehr finanziell weitergefördert.

Da ein(e) Wissenschaftler(in) bisher nicht länger als fünf Jahre an einer Universität beschäftigt sein darf, musste ich eine neue Stelle suchen. Seit Anfang des Jahres 2001 bin ich am Universitätsklinikum rechts der Isar der TU München in der HNO als Mitarbeiterin in einem von der DFG geförderten Projekt beschäftigt. Dem Thema Tinnitus, das mich immer mehr fasziniert, bin ich treu geblieben. Ich untersuche jetzt die Möglichkeiten einer Pharmakologischen Beeinflussung dieser Phantomgeräusche. Mit der Arbeitsgruppe von Prof. Langner und Darmstadt bin ich immer noch eng verbunden, zum einen, weil ich aus technischen Gründen einen Teil der Experimente für mein Projekt in seinem Labor durchführe, zum anderen weil ich an Darmstadt hänge.

Dennoch war und ist es für mich als Neurobiologin ein Gewinn, einmal aus der reinen Grundlagenforschung herauszukommen und die patientenorientierte Klinikforschung kennen zu lernen. Das Pendeln zwischen Darmstadt und München genieße ich und empfinde es als Bereicherung.

Oft werde ich gefragt, warum ich nicht wie für Wissenschaftler üblich ein paar Jahre im Ausland, vorzugsweise USA, gearbeitet habe. Die Antwort darauf wurde mir erst in den letzten Jahren klar: Die klassische Karriere, die über Auslandsaufenthalte und anschließender Habilitation zur Professur führt, war nie mein Ziel. Ich bin der Meinung, dass nicht jede(r) WissenschaftlerIn zur ProfessorIn geeignet ist und dass dies nicht automatisch bedeutet, ein(e) schlechte(r) WissenschaftlerIn zu sein. Mein Wunsch ist es, an einem interessanten Thema zu arbeiten, im Team mit Kollegen, mit denen ich mich gut verstehe, an einem Ort, der mir gut gefällt.

Leider ist auch meine derzeitige Stelle, wie die der meisten WissenschaftlerInnen in Deutschland befristet. Meine Zukunft ist nach der neuen Hochschuldienstrechtsreform unsicher, denn meine 12-Jahresfrist ist bald abgelaufen. Nach neuem Recht ist eine weitere befristete Beschäftigung aus Drittmitteln zwar theoretisch möglich, aber aufgrund von rechtlichen Grauzonen und chronischem Geldmangel der Hochschulen eher unwahrscheinlich. Dennoch habe ich noch nie bereut, Wissenschaftlerin geworden zu sein, denn in keinem anderen Beruf kann man der den Menschen eigenen Neugier nach Wissen so nachgehen wie in diesem.

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