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Durch den Hirseberg ins Schlaraffenland der Wissenschaft

Dr. Farideh Akashe-Böhme

Goethe hat einmal gesagt, es mache einen großen Unterschied, von welcher Seite man in eine Wissenschaft hineinkommt. Ich kam als Ausländerin und als Frau in die Wissenschaft, und das machte in der Tat einen Unterschied. Schon der lange Anlauf: das iranische Abitur, obgleich am französischen orientiert, galt den Deutschen nicht als gleichwertig. Und so musste ich mich ein Jahr lang durch den Hirseberg hindurch fressen, um ins Schlaraffenland der Wissenschaft zu kommen. Der Hirseberg hieß Studienkolleg und bestand aus deutscher Sprache für Ausländer, deutscher Geschichte, deutscher Literatur, Erdkunde, ..., kleines Latinum ...

Aber mein Bildungshunger wurde mir nicht vergällt und meine Liebe zur Literatur eher noch verstärkt. Und so stürzte ich mich, stolz auf meine schnell erworbenen Kompetenzen in der deutschen Sprache, ins Studium der Germanistik. Aber die Zeiten waren nicht danach. Es war die Zeit der Studentenunruhen und des politischen Aufbruchs - nicht nur hier, sondern auch im Iran. Politisch musste ein Studium sein und so wechselte ich zur Soziologie, zu Politik und Geschichte. Der Soziologie galt damals als die Sprache der Aufklärung, Soziologie müsse man studieren, um durchzublicken. Wie lang ist das her und wie sehr hab ich schon in meinem Studium den ernüchternden Abstieg von der Theorie der Gesellschaft zur empirischen Sozialforschung erlebt.

Immerhin das politische Engagement in der wissenschaftlichen Arbeit ist mir geblieben. Meine Magisterarbeit analysierte die Darstellung der iranischen Revolution in den deutschen Medien. Das sollte ein Abschluss sein und ich zögerte ihn hinaus, um meine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland nicht zu verlieren. Es erwies sich aber als Anfang, denn nun musste ich bleiben und mein Engagement wandte sich denen zu, deren Schicksal ich teilte, den Migranten, den Frauen in der Wissenschaft, den Frauen überhaupt in einer fremden, sich ihnen entziehenden Welt.

Meine Dissertation erweist die Fremdheitserfahrung als Kern der Probleme, die das Leben der Frauen trotz aller Anstrengungen immer wieder gegen Wände prallen lässt. Auch jenseits der formalen Gleichberechtigung erfahren Frauen eine im Ursprung patriarchal geprägte Welt immer wieder als die nicht ihre. Das gilt in der Politik, in der Wissenschaft, aber es gilt ersteigert und verdoppelt für das Leben von Migrantinnen in der BRD. Sie entfremden sich ihrer Herkunftskultur, nur um die Fremdheitserlebnisse mit den Frauen hier zu teilen. Frausein, Fremdsein - unter diesem Titel erschien schließlich meine Dissertation. Damit war ich in der Frauenforschung gelandet, aber ist sie ein Zuhause geworden? Das Buch, in dem ich die Geschichte meines Lebens dargestellt habe, sollte ursprünglich heißen: "Ein Leben voller Abschiede", vielleicht aber ist meine Lage als Frau, als Wissenschaftlerin, als Autorin, als Iranerin mit deutschem Pass noch besser durch den Titel meines letzten Buches charakterisiert, in dem ich die Probleme der Migrantinnen in der BRD behandle: "Leben in geteilten Welten".

  • 1 Frausein - Fremdsein, Fischer Verlag, Frankfurt, 1993
  • 2 Die Burg von Chah Barrdi, Brandes & Apsel, Frankfurt, 2000
  • 3 In geteilten Welten, Brandes & Apsel, Frankfurt, 2000

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