Werden Sie auch eine

MATHILDE

Wenn Erbsen träumen

Hybridsorten und Gentechnologie - Was tun?

Zugegeben, die Geschichte ist schon alt:
Da träumt eine Erbse auf ihrem Weg in die weite Welt davon, eines Tages eine "rechtschaffene Erbsensuppe" zu werden.
Und weil sie sich mitten in einem Märchen befindet, wird sie tatsächlich von einer Frau aufgehoben, in ihr "Gärtchen" getragen und in die feuchte, dunkle Erde gepflanzt, wo sie keinen Mond und keine Sterne sieht und Regenwürmer ihre einzige Gesellschaft sind. Ein weißer Keim wächst aus ihr, der die auseinander gebrochene Erbse noch einmal mit hinauf zum Licht nimmt. Dann ist es mit ihr zu Ende. Der Keim aber rankt sich höher und höher, treibt Blätter und Blüten und trägt bald volle Erbsenschoten.

So weit die Geschichte für Kurzsichtige. Wer will, kann sich jetzt ein nettes Süppchen kochen und das Märchenbuch zuklappen. Die Frau jedoch, mit den ewig hungrigen Kindern an ihrem Rockzipfel, muss ein bisschen weiter blicken, über den Rand ihres Suppentellers hinaus. Sie trocknet die geernteten Schoten, pflanzt die Erbsen im folgenden Frühjahr wieder aus, und schließlich ist der Ertrag hoch genug, dass sie ihren Kindern "manch leckere Erbsensuppe" zubereiten und darüber hinaus immer wieder frisches Saatgut setzen kann. Erst dieser Kreislauf, der ohne Eingriffe von außen funktioniert und aus sich selbst heraus lebt, macht die Mahlzeit so richtig "rechtschaffen" oder "nachhaltig", wie Biobewegte heute sagen würden.

Und genau um diese Art von Nachhaltigkeit dreht sich die gegenwärtige Diskussion über gesundes Saatgut. "Die biologische Landwirtschaft hat bisher vorwiegend ,den Boden bereitet'...", schreibt Christine Arncken-Karutz in Bio aktuell, der Verbandszeitschrift des FiBL (Forschungsinstitut für Biologischen Landbau).
"...Die neue Herausforderung für die Biobewegung ist das Saatgut. Kann sie ihr eigenes Saatgut hervorbringen und langfristig erhalten? Hat es eine Bedeutung, unter welchen Bedingungen die Pflanzen wuchsen, deren Saat wir säen? Wie stark soll eine biologische Pflanzenzüchtung in die Lebensprozesse der Pflanzen eingreifen?"
Ein Kreislauf lässt sich nur dort schaffen, wo die Samen tatsächlich Anfang und Ende der Pflanzenentwicklung darstellen, also fruchtbar sind. Nur so können sie "die Erfahrungen der vergangenen Pflanzengenerationen für die kommenden aufbewahren", wie es im ersten Demeter-Saatgutkatalog des neuen Jahrtausends heißt.

Das ist jedoch bei den Hybridsorten, die seit den 70er Jahren einen Siegeszug durch die Gemüsegärten und Getreidefelder angetreten haben, nicht der Fall. Sie entstehen meistens aus künstlich geschaffenen Inzuchtlinien, bei denen beispielsweise Arten, die sich normalerweise durch Fremdbestäubung fortpflanzen, durch erzwungene Selbstbefruchtung reinerbig gemacht wurden. Das heißt, dass ein Merkmal, wie zum Beispiel die Widerstandsfähigkeiten gegen eine bestimmte Krankheit, besonders ausgeprägt vorhanden ist. Wird dann eine reinerbige Linie, die diese Widerstandskraft besitzt, mit einer Linie gekreuzt, die besonders große Früchte hervorbringt, einstehen in der ersten Pflanzengeneration "F1" einheitlich widerstandsfähige Nachkommen mit großen Früchten. Dafür ist der "Heterosiseffekt" verantwortlich, eine biologische Eulenspiegelei, die all jene narrt, die glauben, das Schlaraffenland gefunden zu haben.
Denn würde unsere tüchtige Frau aus dem Märchen nun dieses Hybridsaatgut im folgenden Jahr wieder aussäen, würde sich das ehemals einheitliche Erscheinungsbild wieder in eine Vielzahl unterschiedlicher Pflanzenformen aufspalten. Was wie ein Züchtungsfortschritt wirkt, auf dem aufgebaut werden kann, entpuppt sich als Fata Morgana der Biotechnologie.

Denn Hybridsaatgut ist nicht "samenfest". Um den Heterosiseffekt erneut nutzen zu können, muss immer wieder die Inzucht-Elternlinien zurückgegriffen werden - es gibt keine pflanzliche Generationenfolge mehr und die natürlich Weiterentwicklung kommt zum Stillstand. Einmal Erbensuppe und das war's. Für alles andere muss gezahlt werden.
Hybridsorten können meist nicht, wie vorher üblich, als so genannte "Hofsorten" in Eigenregie weitergezüchtet werden. Die Anbaubetriebe müssen das Saatgut, das oft nur noch in der Petrischale entsteht, jedes Jahr neu einkaufen. Und schon längst ist das Erzeugen von Hybriden nicht mehr nur eine Frage der Biotechnologie - die Gentechnologie eröffnet mit Neukombinationen über Artgrenzen hinweg eine unendliche Vielzahl von Möglichkeiten und Gefahren. Denn letztlich weiß noch niemand genau, wie der "Gentransfer", die Übertragung der veränderten Gene auch auf andere Arten, wirklich aussieht und was er für Folgen nach sich zieht.

Die Züchtung, jahrtausendelang eine kulturelle Aufgabe der Allgemeinheit, soll zum großen Geschäft der Chemiekonzerne werden. Und die geben auch die Richtung vor: möglichst hohe Erträge und leichte technische Handhabbarkeit einheitlicher, an möglichst vielen Standorten gedeihender Pflanzen mit vorprogrammierten Nährstoffzusammensetzung.
"Hybride sind zwar nicht grundsätzlich gentechnisch verändert," sagt Christina Henatsch, Pflanzenzucht-Expertin des biologisch-dynamisch orientierten Vereins Kultursaat e.V., in der Februar-Ausgabe der Zeitschrift Schrot & Korn. Doch sie gibt zu bedenken: "Die Zuchtmethoden sind selbst für Spezialisten schwer als gentechnisch oder nicht gentechnisch zu definieren. Für Verbraucher ist das überhaupt nicht mehr möglich."
So galt zum Beispiel die Protoplastenfusion - die Verschmelzung zweier verschiedener Zellen, deren Wände zuvor durch einen Stromstoß aufgelöst worden sind - lange Zeit als Methode der Biotechnologie, bis sie im letzten Jahr als "Gentechnologie" kennzeichnungspflichtig wurde.

Wer Gemüse mit Bio-Siegel einkauft, hat die Garantie, dass es nicht nur nach Bio-Richtlinien aufgezogen wurde, sondern auch aus ökologischem Saatgut gewachsen ist, falls das vorhanden war. Wenn nicht, müssen Ökobauern immer noch auf konventionelles Saatgut zurückgreifen. Diese Übergangsregelung gilt noch bis Ende dieses Jahres, dann soll, vom Samen bis zum Endprodukt, alles nur noch "Bio" sein. Das schließt Gentechnik aus, aber keine Biotechnologie. So bleiben Hybridzüchtungen letztlich Ansichtssache.
Nach Übereinkunft der westeuropäischen Ökobauern werden sie mit starken Einschränkungen auch in Zukunft Bestandteil des Angebots im Bioladen sein, denn Sorten wie Chicoree, Möhren, Brokkoli, Spinat oder Tomaten sind fast nur noch als Hybridsaatgut erhältlich. Gegenwärtig sind sie mangels Alternativen unverzichtbar. Trotzdem arbeiten Demeter und die biologisch-dynamischen Züchter konsequent an einer schrittweisen Abschaffung der Hybriden.
Demeter ist der erste und einzige ökologische Anbauverband, der in seinen Richtlinien den Anbau von Hybridsorten im Getreidebau (mit Ausnahm von Mais) untersagt. Es ist jedoch nicht abzusehen, ob und wann die jahrzehntelange Vernachlässigung der samenfesten Sorten aufgeholt werden kann. Übrigens: Bei Erbsen gibt es nach wie vor fast keine Hybridsorten, ebenso wenig wie bei Salaten, Petersilie und Bohnen.

Was können wir also tun? Müssen wir alle zu Pflanzenzucht-Expertinnen werden, die "Protoplastenfusion" zehnmal hintereinander fehlerfrei aussprechen können, so wie früher "Blaukraut bleibt Blaukraut", damit wir mitreden können? Müssen wir die Gesetze von Gregor Mendel auswendig lernen, der vor knapp 1450 Jahren mit Begeisterung Erbsen pflanzte, dabei jedoch eher von Wissensdurst als von Hunger getrieben war? Argumente gibt es genug, dafür und dagegen:
"Höhere Erträge, eine bessere Resistenz gegen Schädlinge und Krankheiten und gute technische Handhabbarkeit einheitlicher Pflanzen, die an möglichst vielen Standorten gedeihen, führen die Hybrid-Befürworter ins Feld.
"Hybridsaatgut ist zu teuer und fördert die Abhängigkeit von großen Saatgutkonzernen, die Qualität der Hybridsorten ist bedenklich, und sie führen zu einer zunehmend eingeschränkten Sortenvielfalt, halten die anderen dagegen. Außerdem sind sie nicht nachhaltig.
Wo uns die Wissenschaft über den Kopf wächst, können wir letztlich nur nach unserm Gefühl entscheiden. Vielleicht sollten wir einfach die Augen offen halten wie die Heldin unseres Märchens und jeden Diskussionsbeitrag auf seine Fruchtbarkeit und seinen Nährwert prüfen. Vielleicht sollten wir in unseren Gärten, auf den Balkonen oder Fensterbrettern Samen pflanzen, die eine nachhaltige Entwicklung in Gang setzen. Das könnte uns stärker machen als so manches Lehrbuch.

Gregor Mendel kreuzte rot und weiß blühend Erbsen mit gelben oder grünen Samen und beobachtete das Vorkommen dieser Eigenschaften in den folgenden Generationen. Das machte den "Erbsenzähler" zum "Vater der Vererbungslehre". Stellen wir ihn uns einfach vor - denn es ist schließlich unser Märchen - wie er die windschiefe Pforte des bescheidenen Gärtchens öffnet. Er hat die prächtigen Reihen gedeihender Erbsen gesehen und kann nicht widerstehen, der Frau von seinen Forschungen zu erzählen. Sie hört ihm lange zu, beobachtet ihn sorgfältig und fragt schlicht: "Wozu?"

Und dann lädt sie ihn, der nur noch stammeln kann, zu einem Teller Suppe ein.

Sabine Kumm

zurück

MATHILDE