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13 Jahre Straßenbahnfahrerinnen

Lange war mein erträumtes Berufsziel Straßenbahnfahrerin zu werden. Die stählernen Kolosse flößten mir Achtung und Vertrauen ein, der Transport von so vielen Menschen erschien mir abwechslungsreich und verantwortungsvoll. Doch Anfang der Siebziger liefen Frauen nur als Schaffnerinnen oder Kontrol-leurinnen durch die Bahnen, was meinen Wunsch ins Reich der Phantasie verbannte. Was mir damals eine eherne Einrichtung schien, ist tatsächlich seit Ende letzen Jahrhunderts ein Teil des Stadtbildes.

1886 gingen die ersten Dampfstraßenbahnen auf den Drecken Darmstadt - Briesheim und Darmstadt - Eberstadt auf die Reise.

Um die zehn Mal am Tag fuhren sie mit Lok und vier bis fünf Anhängern. An Markttagen kamen noch Marktanhänger hinzu, die die HändlerInnen bis zum Marktplatz brachten. Die qualmenden Gefährte erhielten Namen wie "Griesheimer Lies'che", "Feuriger Elias", der heute noch zu besonderen Anlässen verkehrt, und "Strampelbahn".

Ab 1905 fuhren dann die ersten elektrischen Züge, die bis 1922 die Dampfbahnen endgültig verdrängten. Rege wurden die Straßenbahnen genutzt. Ereignisse, wie die Jugendstilausstellung auf der Mathildenhöhe, verursachten so viel Mehrverkehr, dass sogar Neueinstellungen erforderlich wurden.

Das Fahrpersonal und die Schaffner waren anfangs ausschließlich Männer. Gleichwohl waren Frauen schon seit 1908 im Personenverkehr tätig. So fuhr in Berlin die Chauffeuse Dr. Elisabeth Papp in ihrem Taxi Fahrgäste zu den gewünschten Zielen. Im März 1915 waren dann von 363 Bediensteten 171 zum Militärdienst eingezogen. So kam es, dass ab 1916 die Hälfte des Straßenbahnpersonals aus Frauen bestand.

Im Laufe des Krieges mussten immer wieder Strecken still gelegt werden, da ihre Fahrleitungen zur Mu-nitionsgewinnung benötigt wurden. Zu Kriegsende ging der Fahrverkehr dann stark zurück, da der Be-rufsverkehr in die Munitionsfabriken entfiel. Personal wurde entlassen, der Fahrplan eingeschränkt. Der Anteil an weiblichem Personal sank. Anfang 1937 bestand das Personal der HEAG aus 9 Kontrolleuren, 171 Wagenführern und Schaffnern, 24 Mann in der Bahnmeisterei und 75 Mann in der Werkstatt. Man kam eben auch ohne Frauen aus.

1927 wurde dann die erste Darmstädter Omnibuslinie eingerichtet. Neues Fahrpersonal wurde geschult. Frauen fanden jedoch keine Anstellung, obwohl der Drang zum Führerschein seit einigen Jahr rasant war. Bis in die Achtziger mussten Frauen eine Gesundheitsbescheinigung bei Antritt einer Arbeitsstelle als Busfahrerin vorlegen, es galten spezielle Auflagen beim Arbeitsschutz für ihre Tätigkeit. In Darmstadt war die Einstellungsvoraussetzung eine abgeschlossenen Kfz-Mechaniker-Lehre. So lag der Frauenanteil bei den BusfahrerInnen selbst 1993 noch bei 4,5 %.

Im zweiten Weltkrieg setzte erneut Personalknappheit ein, die durch die Einstellung von Frauen und Pen-sionären ausgeglichen wurde. Außerdem kamen während des Krieges Mitglieder des weiblichen Arbeits-dienstes hinzu - einem Pflichtdienst für Frauen und Männer zwischen 19 und 25 Jahren, dem sie ein halbes Jahr lang in Uniform im Sinne einer vormilitärischen Erziehung nachzukommen hatten.

Noch 1979 beim Ausbau der Linie 8 von Jugenheim nach Alsbach wurde die Möglichkeit, eine zweite Toilette für weibliches Personal beim Neubau des Personalhäuschens mit zu planen, erst gar nicht weiter in Betracht gezogen. Unwirtschaftlichkeit und die Unverstellbarkeit, dass Frauen je eine Straßenbahn führen würden, waren mit bei den Gründen.

1988 wurden dann im Zuge des Chancengleichheit die ersten drei Frauen als Fahrerinnen eingestellt. Eine von ihnen hatte damals bereits den Personenbeförderungsschein für Bus, die anderen zwei wurden zunächst als Straßenbahnfahrerinnen ausgebildet. Sie erwarben später den Personenbeförderungsschein für Bus. Seitdem ist der Anteil an Fahrerinnen stetig gestiegen (genauere Zahlen lagen bei der HEAG leider nicht vor).

Zum Schloss noch eine Frage im Vertrauen: Wissen Sie, welche Kennfarben die Straßenbahnlinien 9 und 7 führen? Nun, erkunden Sie es bei Ihrer nächsten Fahrt.

Anja Spangenberg

Quellen:
- Bürnheim/Burmeister: Bahnen und Busse rund um den Langen Ludwig, alba Verlag Düsseldorf. 4.A.
- Vieser/Gabelt: Frauen in Fahrt, Eichborn Verlag Frankfurt, 1997.

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