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Hallig Oland

Windstärke 6

Leben auf Hallig Oland

Hier habe ich mich immer ein bisschen als Nordlicht gefühlt, da ich 1967 in Wilhelmshaven geboren wurde. Mit fünf Jahren zog meine Familie nach Arheilgen - meinem Vater und seiner Arbeit hinterher. In der 3. Klasse siedelten wir nach Seeheim um. Am Schuldorf habe ich 1987 Abi gemacht, ein Studium in Heidelberg recht schnell abgebrochen und mich dann für eine Lehre zur Floristin entschieden. In diesem Beruf habe ich auch in Darmstadt und Umgebung gearbeitet. Meine freie Zeit verbrachte ich im vorderen Odenwald auf dem Rücken meines Pferdes.

Nach vielen Jahren des knappen Geldes und der vielen Arbeit hatte ich ein großes Bedürfnis nach einer Auszeit. Ein bezahlbarer Urlaub musste her: Ich hatte das Gefühl, etwas in meinem Leben müsste sich verändern und im Alltag fand ich keinen Raum, meine Wünsche mal zu überdenken. So landete ich im April 1994 auf Hallig Gröde. Den Koffer voller Bücher und Papier und den Kopf voller ungeordneter Dinge.

Die Halligen sind winzige Inselchen und liegen an der Westküste Schleswig-Holsteins, eingebettet in die großen Inseln Föhr, Amrum und Sylt, aber GANZ anders. Doch dazu später. Erst verliebte ich mich in die Halligwelt. In die Natur, die Tiere, die Menschen, den weiten Himmel und den Wind, der mir erstmal den Kopf frei blies. Ein zweiter Besuch im Sommer sollte mir weitere Klarheit bringen, aber alles kam ganz anders, denn es kam Frank! Wir lernten uns auf Gröde kennen, obwohl Frank auf Hallig Oland wohnt. Alles passte - mein Traumprinz war gefunden.

Ich hatte nur einen mündlichen Arbeitsvertrag mit meiner Firma und nach drei Tagen Bekanntschaft mit Frank rief ich meine Leute in Seeheim an und sagte, dass ich nicht wiederkäme. Mit meinem Köfferchen voller Sommersachen siedelte ich zu Frank nach Hallig Oland um. Es war wie ein Umzug auf einen andern Planeten. Auf Oland leben 28 Menschen. Es gibt keine Autos, keinen Laden, kein Kino und Theater.

Aber es gibt Frank und inzwischen drei Töchter (5 und 3 Jahre und 1 Jahr) und es gibt viel Raum für mich! Bezahlte Arbeit gibt es hier für mich nicht. Frank arbeitet beim Küstenschutz auf der Hallig. Das ist etwas, mit dem ich manchmal hadere. Als "nur" Mutter fehlt in manchen Situationen wirklich die Anerkennung. An solchen Tagen denke ich aber auch an die vielen schwierigen Tage, die ich mit meinen jeweiligen Chefs schon hatte. Hier bin meine eigene Frau!

Wir vermieten nebenher eine Ferienwohnung und so habe ich auch ein bisschen eigenes Geld. Arbeit gibt es genug: drei Kinder, ein Haus, eine Ferienwohnung, ein großer Gemüsegarten, unsere Tiere ...

Auf der Hallig wird übrigens keine Landwirtschaft mehr betreiben. Wir haben Kühe vom Festland über den Sommer, ebenso zwei Schweine und zwei Kaninchen, die im Herbst geschlachtet werden. Nur mein Pferd ist ganzjährig hier.

Der Sommer erinnert doch sehr and die Idylle aus Astrid-Lindgren-Büchern. Die Kinder spielen mehr oder weniger unbeaufsichtigt draußen und ich muss keine Angst haben, dass sie abhanden kommen. Die Nachbarn gucken mit und Respekt vor dem Wasser haben sie in die Wiegegelegt bekommen. Wir haben viele interessante Gäste und so komme ich zu spannenden Gesprächen und Anregungen. Für die alltäglichen Unterhaltungen, den "Schnack" zwischendurch, trifft man immer wieder Nachbarn oder man geht eben in die Häuser. Keiner hier schließt seien Türen ab.

Die älteste Oländerin ist 90 und jeder von uns 28 Menschen ist ein Individuum mit Ecken und Kanten. Den einen mag man mehr, den anderen weniger, aber die Notgemeinschaft hält zusammen wie Pech und Schwefel. Natürlich weiß jeder alle über den Nachbarn. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig. Allerdings wird alles nur kommentiert, nie kritisiert. So erlebe ich hier die größte individuelle Freiheit, die ich mir vorstellen kann. Wie man angezogen ist oder welches Auto man hat, ist sowieso völlig unwichtig. So wachsen die Kinder auch ohne Markenzwang und Konkurrenzdenken auf.

Apropos Auto. Unsere Verbindung zum Festland besteht aus einer Schiene über Watt, bzw. durch Wasser, auf der wir mit Loren fahren. Fast jede Familie hat eine eigene Lore, aber man kann den Damm nicht immer benutzen. Wir können nur außerhalb der Arbeitszeiten des Küstenschutzamtes fahren du dann auch nur wenn es mit der Tide gerade passt. Zu den meisten Hochwasserzeiten ist die Schiene überspült. So muss man für einen Arzttermin eventuell mal einen ganzen Tag opfern oder man muss auch mal ein paar Stündchen Wartezeit einrechnen, bis man losfahren kann. Bei Zahnschmerzen oder starken Wehen ist das nicht so angenehm. Meine Kinder sind alle im Krankenhaus am Festland geboren, weil ich jedes Mal schon mehrere Tage vor dem errechneten Termin die Hallig verlassen habe.

Am Festland haben wir übrigens ein eigenes Auto stehen. Für die ärztliche Versorgung kommt einmal in der Woche eine sehr patente Gemeindeschwester nach Oland und betreut unsere Wehwehchen. Bei Bagatelleerkrankungen der Kinder entwickelt man mit der Zeit ein ziemlich gutes Gespür, was mit Hausmittelchen zu behandeln ist und was nicht. Wenn wirklich mal etwas Ernsteres ist, fahren wir nach Niebüll und in Notfällen kommt eben ein Hubschrauber. Bisher brauchten wir ihn nicht.

Zum Einkaufen fahre ich nur etwa einmal im Monat. Dann gebe ich schon mal 500 DM bei Aldi aus! (Einmal in der Woche bestelle ich frisches Obst, Brot und Fleisch bei unserem Halligkaufmann auf Langeness und bekomme es ins Haus geliefert.) Bei den Großeinkäufen werden Arzttermine dann mit auf diesen Tag gelegt, damit sich die Weltreise lohnt. ich freue mich immer sehr auf dies Einkaufstage, gehe zum Friseur und besuche mal eine Freundin. Zu Hause passt dann die Tochter unserer Lehrerin (14 J.) auf die Kinder auf. Das Schönste an diesen Tagen ist aber, wieder nach Hause zu kommen. Ich bin das Gewühle auf dem Festland einfach nicht mehr gewöhnt und die Auto-Blechlawinen machen mir zu schaffen.

Unsere Lehrerin unterrichtet momentan übrigens vier Kinder verschiedener Altersstufen. Unsere Schule ist eine Grund- und Hauptschule und alle unsere Schulabgänger sind bisher "etwas geworden". Nach der Hauptsch8l7eit wird es für die jungen Leute aber auch höchste Zeit für die große, weite Welt! Ich bin gespannt, ob mir die Trennung von meinen Mädchen schwer fallen wird. Da klafft zwischen Theorie und Praxis sicher ein ordentlicher Spalt.

Wenn wir wirklich mal etwas wie Kino, Theater, Jahrmarkt, Zirkus o.ä. erleben wollen, dann planen wir eben gut und gönnen uns den Aufwand. Umso intensiver ist dann das Erlebnis. Man unternimmt die Dinge bewusster.

Im Herbst genießen wir dann die Ernte unserer Arbeit. Das Wetter ist meistes noch schön, die Arbeit wird weniger, die Champignons wachsen uns auf den Wiesen in den Mund, die Apfelbäume biegen sich und es gibt nichts Schöneres, als einen knallroten Sonnenuntergang für Föhr im Oktober.

Im Winterhalbjahr freuen wir uns auf die Stürme und die Landunter. Dann tritt die Nordsee frech über die Ufer und reicht uns fast bis ans Haus. Unsere Häuser liegen auf künstlich errichteten Hügeln, genannt Warften. Zum Glück habe ich es noch nicht erlebt, dass das Wasser bis in die Wart herein lief. Die Älteren können viele Geschichten von nassen Häusern erzählen. In den letzten Jahrzehnten ist die Warft aber mehrmals erhöht worden, so dass wir uns momentan recht sicher fühlen. Meldungen über schmelzende Polkappen versetzen mich aber regelmäßig in Angst und Schweiß...

Die Weihnachtszeit ist hier wohl noch ein bisschen so wie früher. Wer es möchte, kann seine Kinder völlig von jeglichem Kitsch und Kommerz fernhalten. Meine Mutter kommt jeden November aus Seeheim hergereist und versüßt und sie grauen Tage mit Plätzchen backen und Bücher vorlesen.

Im Februar findet noch ein traditionelles Fest statt: das Biikebrennen. Eine Art Winteraustreibungsfeuerfest mit anschließendem gemeinsamen Essen.

Und dann beginnt die Sauregurken-Zeit... Der Winter will und will nicht enden und das sind die Tage, in denen man manchmal ausbrechen möchte. Dieses Gefühl kenn ich allerdings auch aus Hessen! Nach mehreren Wochen ununterbrochenen Windstärken 5-6 braucht man schon die Fähigkeit, seinen Optimismus zu sortieren.... Das gebe ich zu! Dann schreibe ich viele E-Mails in die weite Welt, lese ein Buch nach dem anderen und spiele viel mit meinen Kindern. Und wunderbarerweise habe ich Freunde, die mich auch in den Wintermonaten besuchen. Nicht wenige davon reisen aus der Darmstädter Umgebung an! Und schlussendlich ist es ja das, was ich damals gesucht habe: Zeit zum Reflektieren und Sortieren!

Ob ich Darmstadt vermisse? Ich habe es nicht vergessen, obwohl ich seit meinem Umzug erst einmal wieder dort war (um meine restlichen Sachen zu holen). Vermissen tue ich manchmal spontane Besuche meiner Freunde. Und die langen Ausritte im Felsenmeer und im Wald - die fehlen mir manchmal schrecklich. Dann laufe ich runter ans Wasser, beschimpfe ein paar Möwen und muss dann anschließend über mich selber lachen. Habe ich doch alles, was ich mir immer gewünscht habe: gesunde Kinder, einen prima Mann du ein Nest für uns alle in der großartigsten Landschaft, die Deutschland zu bieten hat!

Angelika Kühn

PS:
Wer mehr über unsere Ferienwohnung wissen möchte, sollte mal unter
www.munin-soft.de/FeWo/
nachsehen.

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