Werden Sie auch eine
"Ja, ich überdenke mein Leben neu und das in allen Bereichen. Zu Hause
möchte ich kleine Konflikte eher angehen und ansprechen du die großen
Konflikte ernster nehmen.
Ich möchte tatkräftiger mitwirken, die Kluft zwischen arm und reich
zu verkleinern, zum Beispiel durch Mitarbeit in Entwicklungsprojekten.
Dem Glauben im weitesten Sinne möchte ich mehr nach gehen, das heißt,
ich möchte wieder mehr in die Kirche gehen und die Stille üben. Verändert
hat sich für mich auch schon einiges. Ich achte mehr auf friedvolle,
beziehungsweise Hass und Gewalt ausdrückende Spreche. Ich beachte noch
kritischer den Einfluss der Medien auf Gewalt. Ich gehe zu Seminaren,
Gebeten und Friedensgesprächen."
"Es hat mich schockiert, dass so etwas überhaupt passieren konnte. Ich
habe den Fernseher eingeschaltet und die Bilder gesehen. Ich war erstaunt,
dass so etwas in Amerika passieren kann. Amerika ist so groß und erschien
mir so unangreifbar.
Ein bisschen Angst hatte ich auch, die ist jetzt, wo sie den Gegenangriff
gestartet haben, noch größer geworden, dass es irgendwann einmal in
einen dritten Weltkrieg ausarten könnte. Ich habe viel darüber geredet
und nachgedacht, vor allem in der Schule. Wir hatten Trauergottesdienst
und Schweigeminute, und mit den einzelnen LehrerInnen wurde im Unterricht
viel gesprochen, wie es dazu kommen konnte, wie es den Angehörigen geht
und so weiter. Auch dass nicht alle Moslems Terroristen sind oder so
radikal denken, wurde uns nahe gelegt."
hat das Geräusch der niedergehenden Bomben in Dortmund und der Flak
kurz vor dem Einmarsch der Alliierten noch sehr gut im Ohr:
"Seit dem 11.9.01 hat sich für mich nichts verändert. Krieg und Terror
gab es auch vorher genug. Kurzfristig hatte ich die Hoffnung, die Politiker
hätten aus den jüngsten Kriegen gelernt und Besonnenheit würde vielleicht
doch die Oberhand gewinnen. Seit dem 9.11. hat das Grauen neue Nahrung
bekommen. Meine Meinung ist, dass der Stärkere die Verpflichtung hätte,
die Spirale der Gewalt und des Terrors zu durchbrechen. Das gilt für
die Amerikaner genau so wie für die Israelis (sie wollen doch Stärke
demonstrieren - sie hätten die Gelegenheit dazu). Und das gilt für alle
anderen Kriegsschauplätze und für den kleinen Terror am Arbeitsplatz,
den in den Schulen und in den Familien ebenfalls. Anders als gewohnt
zu reagieren, könnte moralische Überlegenheit zeigen, von der jeder
doch für sich überzeugt ist.
Und noch etwas: ,Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde
ich heute mein Apfelbäumchen pflanzen.' Eine andere sinnvolle Reaktion
weiß ich nicht.
"Geändert hat sich, wenn ich darüber nachdenke, eigentlich nichts. Aber
es hat sich manche Frage intensiviert und in neuer Dringlichkeit und
sehr konkret gestellt.
Für mein politisches Denken und Handeln zum Beispiel die sehr wesentliche
Frage, bin ich noch Pazifistin?
Diese Gewissensfrage ist sehr bedrängend für mich geworden. Selbst wenn
ich militärische Aktionen gegen Stellungen der Taliban billige, nehme
ich die Tötung von Unschuldigen hin. Ich habe allerdings keinen Vorschlag
dafür, wie diese Gruppe entmachtet werden kann. Und sie muss festgesetzt
und vor ein Gericht gebracht werden. Ich habe den völlig utopischen
Wunsch, den Terrorismus durch zivile Aktionen zu bekämpfen. Das heißt,
Carepakete abwerfen, Hilfsmaßnahmen gegen Armut entwickeln, sozusagen
eine Offensive an Hilfe starte, um dem Terrorismus den Nährboden z entziehen.
Wenn ich aber weiß, dass das so vollkommen utopisch ist, dass es nicht
geschehen wird, kann ich mich dann noch zurückziehen auf mein Gewissen,
um mit mir im Reinen zu bleiben? Ganz gleich, was geschieht? Ich habe
Resolutionen unterschrieben, gegen Militäraktionen. Ja, aber was dann?
Wie hilflos ist das gute Gewissen: ich bin dagegen und darum ein guter
Mensch? Kann ich mich damit zur Ruhe setzen? Diese Frage ist für mich
nicht abgeschlossen bis heute.
Andere Fragen, innere Vorstellungen, Handlungsweisen haben sich verdeutlicht
dahingehen, meine Bemühungen um eine friedvollere, positive, genügsamere,
hilfreichere Lebenshaltung noch viel grundsätzlicher zu machen. So komme
ich auf meine Anfangssätze zurück, es hat sich nicht unbedingt etwas
geändert für mich, aber ich sehe, das ich entschiedene leben muss."
"Mein erster Gedanke an dem Tag war: ‚Nichts wird wieder sein, wie es
war.' Es gibt Ereignisse im Leben, die eine neue Zeitrechnung einleiten.
Dies war so eine Zeitmarke für mich.
Jetzt, mit einem gewissen Abstand, ist meine erst Erstarrung einer fast
trotzigen Haltung gewichen. Nach dem Motto: Das Leben geht trotz allem
weiter. Das sind wir uns allen und unserer Zukunft - insbesondere unseren
Kindern - schuldig. Das was mich heute so betroffen macht, ist die Erkenntnis,
wie ge- und zerbrechlich unsere Welt ist - sei es in wirtschaftlicher,
technischer oder gesellschaftlicher Hinsicht. Ich werde noch bewusster
leben...!"
"Man hat mitgefühlt mit den Angehörigen. Und man denkt immer mal wieder daran. Man liest ja oft genug in den Illustrierten darüber. Und wenn ich irgend etwas Lustiges, eine Veranstaltung oder Ähnliches sehe, dann denke ich schon, dass man es nicht übertreiben sollte wegen der schrecklichen Ereignisse."
Christa Bertz, Gabriele Merziger