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Beziehungsohren

Zwischenmenschliche Kommunikation ist kompliziert und störanfällig. Wir alle kennen Missverständnisse, die sich zu einem unerbittlichen Streit auswachsen können. Die Folge ist Groll, Verletztheit, Aggression. Niemand wollte, dass es soweit kommt, doch bewusst oder unbewusst reagieren wir für unsere/n Gesprächspartner/in total übertrieben, weil sie/er nicht ahnt, was in uns vorgeht. Oft wollen wir verbergen, was in uns vorgeht, es soll nicht jeder/r über unser Befinden Bescheid wissen. Dies kann dann aber, wenn keine Erläuterung erfolgt, zu Missverständnissen führen. Die LinguistInnen sagen, dass in ein und derselben Botschaft mehrere Botschaften gleichzeitig enthalten sind. Der Empfänger oder die Empfängerin hat die freie Auswahl, auf welche Seite der Nachricht er oder sie reagieren will. Dies kann bei unklaren Aussagen folgenschwere Probleme mit sich bringen.

Je nachdem in welchem seelischen Zustand sich der oder die EmpfängerIn befindet, wird die Nachricht einfach zur Kenntnis genommen oder erst "entschlüsselt". Der Linguist Schulz von Thun hat jede Nachricht, die wir geben oder empfangen, in vier verschieden Seiten eingeteilt.

  1. Die Selbstoffenbarungsseite, bei der wir etwas von uns preisgeben. Dabei haben wir Angst vor dem Urteil der Zuhörer und vor eventueller negativer Beurteilung. Je nach Stärke des Selbstwertgefühls ist es schwer oder leicht, die eigene Meinung kund zu tun.
  2. Die Sachseite, bei der wir eine Information geben, die aber häufig tendenziös ist. Sachlichkeit und Verständlichkeit sollte diese Botschaft prägen im Gegensatz zu Unsachlichkeit.
  3. Die Beziehungsseite, bei der wir mitteilen, was wir vom Gegenüber halten. Tonfall, Gestik und Mimik unterstreichen unsere Aussage. Die Beziehungsnachricht drückt Akzeptanz oder Bevormundung aus. Wir rufen persönliche Betroffenheit hervor.
  4. Die Appellseite, bei der wir durch eine Nachricht Einfluss nehmen wollen, einen Befehl geben und den/die EmpfängerIn beeindrucken wollen. Die Appellseite einer Nachricht, ruft meist Widerstand hervor.

Durch meine persönlichen Erfahrungen mit Partner, Familie, aber auch in Gruppen stellte ich fest, dass die meisten Probleme durch die Beziehungsseite einer Nachricht entstehen. Deshalb möchte ich auf diese schwierige Seite besonders eingehen. Mit dem "Eisberg-Modell" kann das Problem der Beziehungsebene in der Kommunikation gut dargestellt werden. Der/die EmpfängerIn reagiert dabei nicht auf den Sachinhalt (Was) einer Nachricht, sondern auf die Art (Wie) der Formulierung und den Tonfall. Das Klima der Beziehung, der größere Teil der Nachricht, bleibt wie beim Eisberg, unterhalb der Oberfläche. Unser Beziehungsohr ist besonders groß und empfindlich.

Viele Menschen liegen ständig auf der "Beziehungslauer". Aus Unsicherheit beziehen sie jede Nachricht auf sich, nehmen alles persönlich, fühlen sich angegriffen und beleidigt. Auch wenn der Sachinhalt einer Botschaft richtig ist, folgt, wenn der/die Empfänger/in sich bevormundet fühlt, eine trotzige und allergische Reaktion. Die emotionale Betroffenheit verdeckt also die Sache. Eine Faustregel besagt, dass bis zu 80 % aller Entscheidungen auf der Beziehungsebene und nicht auf der Sachebene fallen. Deshalb ist eine störungsfreie Kommunikation nur möglich, wenn wir im Miteinanderumgehen unser Gegenüber gleichwertig behandeln, auf seine/ihre Befindlichkeiten eingehen. Dies ist natürlich leichter gesagt als getan, da unsere Beziehungen im Leben alles andere als gleichwertig sind. Trotzdem sollten Nachrichten und Botschaften auf der Sachebene frei sein von "Beziehungsnadeln", sonst führen sie unweigerlich zu Spannungen. Das eigene Minderwertigkeitsgefühl kann zwar für kurze Zeit durch die Entwertung des Gegenübers gelindert werden, nutzt aber auf längere Sicht gesehen, einer Beziehung nicht. Ein Kardinalfehler ist es, Beziehungsstörungen auf der Sachebene austragen zu wollen. Alte "ungerupfte" Hühnchen sollten beseitigt werden, da sie sonst ständig durch den Raum fliegen und den Stecknadelstil herbeiführen. Solange heikle Dinge im Kommunikationsnebel verschwimmen, ist das "Miteinander klar Kommen" erschwert. Die Fähigkeit mit Störungen umzugehen, ist zwar oft unterentwickelt, aber erlernbar. Eine Beziehungsklärung, eventuell mit Helfern, ist in solchen Fällen erforderlich.

Unser Sprachverhalten ist besonders in hierarchischen Beziehungen wie Eltern-Kind, LehrerIn-SchülerIn, Vorgesetzte-Untergebene von größter Bedeutung. Je nachdem, wie ich mein Gegenüber anspreche, gebe ich zum Ausdruck, was ich von ihr/ihm halte. Entsprechend fühlt sie/er sich akzeptiert, vollwertig behandelt oder herabgesetzt oder nicht ernt genommen. Wer von uns will schon bevormundet, dominierend oder einengend behandelt werden?

Ursula Wessling

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