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MATHILDE

Und ewig die Rose

Was wir heute noch durch die Blume sagen

  • »Rosen, Tulpen, Nelken,
    alle Blumen welken,
    nur die eine nicht,
    und die heißt Vergissmeinnicht."
    «

Mal ehrlich: Welche Frau liest diesen Vers nicht mit einem leisen Seufzer, denkt an ihr Poesiealbum, Glanzbildchen und die verblasste Schönschrift der Freundin aus Kindertagen? Ein Gruß aus vergangenen Zeiten, ein paar Vokabeln Blumensprache, zu einem Strauß gereimt.

Die Liebe vergeht, aber die Sehnsucht bleibt. Vergiss nicht, vor lauter Leidenschaft, vor lauter stolzem Glutrot, frühlingsstrotzender Farbenpracht, hochnäsig gerüschter Steifheit, an das Wesentliche zu denken: Es gibt Wichtigeres als den Genuss des Augenblicks: Treue, Sehnsucht, Erinnerung, Vergissmeinnicht.

Wie kitschig. Wie blumig. Und wie wahr. Blumen sind uns seelenverwandt. Sie spiegeln in ihrem Jahreszyklus von Werden und Vergehen unseren Lebenslauf wider, bringen Sprösslinge hervor, entfalten sich, verwelken, werden entwurzelt oder in ihrer Blüte gebrochen.

  • »Du bist wie eine Blume
    so hold und schön und rein;
    ich schau dich an, und Wehmut
    schleicht mir ins Herz hinein.«

Symbole treffen immer das Herz, vor allem bei Heinrich Heine.
Nicht von ungefähr erfuhr die feinsinnige Symbolsprache, in der Blumen, Blütenzweige, ja sogar bestimmte Obst und Gemüsesorten als "Herzensboten" betrachtet wurden, vor etwa zweihundert Jahren in der Romantik ihren Höhepunkt. Bücher wie "ABC der Blumensprache" und "Die Blumensprache oder die Symbolik des Pflanzenreiches" wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt. Sie galten als Nachschlagewerke für die Verschlüsselung von Gefühlen, für die es keine Worte gab oder geben durfte.

"Was laut nicht der Mund, der bewachte, darf sagen, das waget die Huld sich in Blumen zu klagen", heißt es in einem Lied von Franz Schubert aus dieser Zeit. Wo es nicht möglich war, unverblümt über seine Gefühle zu sprechen, wurde jede Kleinigkeit bedeutungsschwanger. Die auf der Gartenbank liegen gebliebene Blume konnte, je nach Frisch, Farbe und Art, bereits Zeit und Ort eines heimlichen Treffen verraten. Die ins Haar gesteckte Blüte signalisierte Ablehnung, trug die Frau sie jedoch an ihrem Herzen, war die Blumenbotschaft liebevoll aufgenommen worden. Kein Zeichensystem war verbindlich, die Bedeutungen widersprachen einander, mussten immer im Zusammenhang mit Blicken, Gesten und der eigenen Intuition gesehen werden.

Die Welt der Romantik hatte Stimme, sang von Liebe im samtigen Rot der Blütenblätter, weinte mit welkendem Laub, hoffte mit der Unschuld der närrischen Schneeglöckchen und der zurückhaltenden Veilchen.
Die Akelei erzählte vom Sieg des Lebens über den Tod, stichelte: "Sei nicht so schüchtern!" oder wurde ganz direkt: "Ich halte dich für einen Schwächling!" Die Primel strahlte Zufriedenheit und Freude aus, wahrte jedoch hinter all ihrer farbigen Fröhlichkeit das märchenhafte Geheimnis, wo verborgene Schätze zu finden waren. Die Lilie sagte nichts und duftete sich die Seele aus dem Leib, ein bisschen zu erhaben mit ihrem "Lass mir meine Reinheit!". Die Schwertlilie dagegen kündigte entschlossen an: "Ich werde um dich kämpfen!", der Goldlack schickte in seinem süßen Honigduft die Sehnsucht auf die Reise.

Und dann das Gänseblümchen! "Er liebt mich, er liebt mich nicht, von Herzen, mit Schmerzen, über alle Maßen, kann gar nicht von mir lassen, ein klein weinig oder gar nicht." Sonnenbraut hieß es, Liebesblume, Maßliebchen, und lispelte mit kindlicher Unschuld und Blühfreude: "Ich hab dich gern."

Soll ich noch mehr erzählen? Lieber nicht. Denn was hat das alles mit uns zu tun, die wir unsere Blumen im Supermarkt und an der Tankstelle kaufen können, bereits in Holland zu Fertigsträußen in Plastikmanschetten eingetütet?
Wir müssen kein Blatt mehr vor den Mund nehmen, wenn wir reden. Wir leben im 21. Jahrhundert. Wenn wir uns verabreden wollen schicken wir eine SMS von Handy zu Handy, eine Kaffeetasse mit Fragezeichen etwa, oder ein schäumendes Glas mit der sinnigen Frage: "Bock auf Bier?" Wo sollten wir schließlich auf die Schnelle ein paar Zweige Weinlauf auftreiben? Ein kurzes, quäkendes "Piep", und schon ist die Sache übermittelt. Wir können sogar kleine Bildchen von Rosen verschicken. "Für dich" steht dann daneben. Die muss man nicht pflücken, kaufen oder ins Wasser stellen. Klare Raster, klare Botschaften, digital, unkaputtbar, zum immer wieder Abrufen.
Die Gärten schweigen. Wer Duft braucht, kauft ihn in kleinen Fläschchen; zwei Tropfen in Wasser, Kerze drunter, fertig. Wer Romantik möchte, geht ins Kino.

Doch die Blumen blühen weiter, in den Oasen der besonderen Anlässe: Geburtstage, Muttertage, Jubiläen, Hochzeiten, Beerdigungen.
Ein ganzer Wirtschaftszweig lebt gut davon. Für ihre Blumen geben die Deutschen im Jahr rund 6,5 Milliarden Mark aus; etwa 70 Prozent der Sträuße werden als Geschenk gekauft. Themensträuße sind große Renner: Zum Beispiel "Geburtstagsküsschen" ("Zarte Farben für die Dame - herb, aber herzlich für den Mann"), oder "Du bist die Beste" ("Welche Frau hört das nicht gern? Lassen Sie den Worten Taten folgen!").
Und dann gibt es noch die Zeitreisenden, die die immer mit einem Bein in einer Maßliebchen-Wiese zu stehen scheinen. Sie führen ihren ganz eigenen Dialog mit den Blumen - nach ihrer Interpretation zu fragen, ist fast schon zu persönlich. "Ich gehe immer zu einem ganz bestimmten Floristen", erzählt Margit. Ein Samstag ohne frischen, selbst zusammengestellten Blumenstrauß ist für sie undenkbar. Das kann dann auch schon mal ein Arm voll Frauenmantel oder wilder Kamille sein, die sie durch das Wochenende begleiten.
Kerstin dagegen mag kein "Grünzeug", sondern pralle, farbenfrohe Sträuße. Hella liebt duftende Blütenzweige wie Jasmin oder Flieder, ein Stück Kindheit im elterlichen Garten.
Keine von ihnen würde eines dieser Tütchen ins Blumenwasser schütten, das die Sträuße länger haltbar macht. Die Blumen werden nicht welk, doch die Knospen gehen nicht auf. Sie verlieren einfach ihre Frische, ihren lebendigen Schmelz.
"Ich will doch keine Mumien auf meinem Wohnzimmertisch!", erklärt Margit.
Rote Rosen sind die letzten sprechenden Blumen, und nur Liebende können sie hören. Rote Rosen, aus dem Lächeln Amors entstanden, aus den Haaren der Morgenröte gefallen, aus dem ersten Blut gewachsen, das auf Erden vergossen wurde. Unendlich die Zahl der Legenden, die sich um sie ranken. Die Königin der Blumen ist kein verzärteltes Pflänzchen sondern ein starkes Symbol. Und sie verkauft sich in Deutschland rund 1,4 Millionen mal jährlich.

"Die Bedeutung der anderen Blumen kennt heute niemand mehr," erklärt die Floristin von nebenan, die sich im vergangenen Jahr selbstständig gemacht hat. "Sie sollen halt passen." Zum Hochzeitskleid oder zur Wohnung, zum Beschenkten oder zum Geldbeutel. Und sie fügt noch hinzu, dass Nelken als typische Friedhofsblumen nicht unbedingt zum Geburtstag verschenkt werden sollten, auch wenn sie ab und zu welche in die gemischten Sträuße schmuggelt. Dafür versucht sie auch schon mal, einen Grabschmuck mit lebhafteren Farben zu gestalten. "So eine Beerdigung ist ja schon trist genug."
An den Brautstrauß hängt sie aber immer noch gerne zwei verschlungene Myrtenringe und bindet eine Regenbogenkristall mit ein, "weil das Glück bringt"
Die Myrte - gab es da nicht diese Geschichte von der Geburt der griechischen Liebesgöttin Aphrodite, die aus dem Schaum des Meeres geboren wurde und am Ufer nur einen Myrtenstrauch fand, in dem sie ihre Nacktheit verbergen konnte?

Aber davon ein andermal. Das gehört ja wieder in die Romantik-Abteilung, zu Alice im Wunderland:

  • "Oh du Feuerlilie", sagte Alice, denn eine solche wuchs da und schaukelte anmutig im Wind, "wenn du doch nur reden könntest!"
    "Wir können schon", sagte die Feuerlilie, "Solange jemand da ist, mit dem es sich lohnt."

Wie kitschig. Wie blumig. Und wie wahr.

Sabine Kumm

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