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MATHILDE

»Geliebtes Wesen ...«

Vita Sackville-West und Virginia Woolf

Sollte der Satz stimmen, Freundschaft ist Liebe ohne Begehren, dann träfe er zumindest auf diese beiden Frauen nicht zu: Virginia Woolf und Vita Sackville-West.

Sie sind sich über viele Jahre gegenseitig Freundinnen gewesen, sie haben sich geliebt und - sie haben sich auch begehrt. Ihre Liebe war eine lange, komplizierte und nicht selten quälende Geschichte. Sie ist durch ihre Tagebücher und durch die überwältigende Anzahl von rund siebenhundert Briefen in fast zwanzig Jahren dokumentiert. Manchmal schrieben sie sich fast täglich, obwohl sie zeitweilig nur eine knappe Stunde voneinander entfernt wohnten. Diese beiden hochbegabten, schönen, witzigen und völlig unsentimentalen Frauen waren sich über weite Strecken lebensnotwendig und beflügelten sich gegenseitig zu ihren besten künstlerischen Produktionen als Schriftstellerinnen.

Die beiden Ehemänner begegneten der Liebesbeziehung ihrer Frauen mit großer Gelassenheit. Obwohl ihre Treffen meist in deren Abwesenheit stattfanden, waren sie doch immer darüber informiert.

Virginia hegte eine große Abneigung gegen männliche Sexualität, die vermutlich auf den körperlichen Missbrauch durch ihre Stiefbrüder in ihrer Kindheit zurückzuführen ist. Dieser Tragödie ihres Lebens hat sie in ihren Tagebucheintragungen immer wieder unmissverständlich Ausdruck gegeben. In ihrer Ehe mit dem Verleger Leonard Woolf fand, außer in den Flitterwochen, keine Sexualität statt.

Vita war mit Harold Nicolson verheiratet und Mutter von zwei Söhnen. Auch sie lebte, abgesehen von ihren ersten fünf Ehejahren, eine eher geschwisterliche Beziehung. Harold war primär homosexuell und hatte häufig wechselnde Liebschaften mit Männern. Die unstete und leidenschaftliche Vita machte keinen Hehl aus ihren lesbischen Neigungen und hatte immer wieder heftige Affären mit Frauen. Sie war zeitweise in zwei oder drei Frauen gleichzeitig verliebt und verursachte eine Menge Chaos und seelische Verletzungen.

Zum ersten Mal trafen sich die beiden Frauen am 14. Dezember 1922 in der Wohnung von Virginias Schwager Clive Bell. Virginia war zu diesem Zeitpunkt vierzig Jahre alt, Vita war zehn Jahre jünger. Clive war viel daran gelegen, sie mit der schönen, begabten Aristokratin bekanntzumachen. »Ich bin zu wirr im Kopf, um irgend etwas zustande zu bringen«, schrieb Virginia am Tag danach in ihr Tagebuch. »Das ist zum Teil die Folge des Dinners bei Clive gestern abend...«. Aber sie war auch kritisch und beschrieb Vita als »nicht nach meinem Geschmack – gerötet, schnurrbärtig, papageienbunt...«. Trotzdem war sie beeindruckt, zumal Vita zu dieser Zeit als Schriftstellerin schon weitaus bekannter war als sie selbst.

Vita war ihrerseits auch sehr angetan von Virginia und schrieb ihrem Mann, der sich als Diplomat gerade im Ausland aufhielt: »Ich bete Virginia an, und das würdest du auch tun ..... Mrs. Woolf ist so einfach: Sie macht unbedingt den Eindruck von etwas Großem ..... Sie ist völlig ungekünstelt und ganz ohne äußere Verzierungen - sie zieht sich abscheulich an. ... Sie ist ziemlich alt. Ich bin selten von jemand so eingenommen gewesen und glaube, sie hat mich auch gern. Zumindest hat sie mich nach Richmond eingeladen, wo sie wohnt. Liebster, ich habe richtig mein Herz verloren.«

Nach diesem Treffen in Richmond schrieb Virginia an eine Freundin: »Ich mag Mrs. Nicolson: eine reelle Person«, während Vita in ihrem Überschwang in einem Brief an Harold schon wesentlich weiter ging: ».... Ach, wie sehr ich diese Frau liebe.« Doch sie betrachtete sie zu dieser Zeit noch mit dem Blick der wesentlich Jüngeren, fast mit Ehrfurcht und Anbetung, aber schon mit offenem Begehren.

Auch für Virginia war Frauenliebe keineswegs fremd. Sie kommentierte entsprechende Neigungen anderer Frauen in ihrem Bekanntenkreis durchweg mit Sympathie und Selbstverständlichkeit. Sie selbst hatte mehr als einmal die zärtlichsten Gefühle für Frauen gehegt, ohne über sexuelle lesbische Erfahrungen im engeren Sinne zu verfügen. Jetzt geriet sie zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder in den Bann einer Frau und es schmeichelte ihr, dass diese schöne Aristokratin offensichtlich in sie verliebt war. » ... alt wie ich bin.« Sie schien sehr verwundert darüber zu sein. Eine Freundin hatte ihr berichtet, mit welcher Begeisterung Vita über sie gesprochen hatte.

Dann aber traten einige Ereignisse ein, die eine weitere Annäherung vorerst verhinderten. Der übereifrige Versuch Vitas, eine Aufnahme Virginias in den PEN-Club zu erwirken, lief deren Prinzipien so sehr zuwider, dass sie zunächst auf Abstand ging. Sie hatte sich bisher grundsätzlich von allen Schriftstellerverbänden ferngehalten und nannte den PEN »einen reinen Dinner-Club.« Auch ein unangemeldeter und enttäuschender Besuch des Ehepaares Nicolson im Hause Woolf trug nicht gerade dazu bei, die Freundschaft zu vertiefen. Zusätzlich mag auch Vitas unverholenes Werben Virginia dazu verlasst haben, ihr möglichst aus dem Weg zu gehen.

Damit riss ihr Kontakt zunächst ab. Sie sahen sich fast ein Jahr lang nicht und schrieben sich auch nicht. Erst als sie sich im Februar 1924 wiederbegegneten, betrachteten sie sich mit anderen Augen und verliebten sich schließlich ineinander.

Von da an besuchten sie sich regelmäßig. Zwischendurch wechselten sie Briefe, manchmal nur, um sich gegenseitig mitzuteilen, wie sehr sie sich auf das nächste Treffen freuten.

Virginia bat Vita darum, für die Hogarth-Press, den Verlag ihres Mannes, einen Roman zu schreiben, was Vita sofort zusagte. Von Zeit zu Zeit legte sie Virginia ihre fertigen Manuskriptseiten zur Beurteilung vor. Sie erkannte deren größere schriftstellerische Begabung rückhaltslos an und wusste ihre konstruktive, offene Kritik sehr zu schätzen. Diese Zusammenarbeit trug entscheidend dazu bei, den Kontakt der beiden Frauen wieder zu intensivieren. Virginia schrieb in ihr Tagebuch: »Oh ja, ich mag sie, ... und ich glaube, wenn das Leben es zulässt, könnte das eine Art Freundschaft werden ...«. Und wenig später: »Freundschaft ist nie ohne einen Anflug von Erotik...«.

Ihre gegenseitigen Besuche dehnten sie allmählich auf mehrere Tage aus. Sie genossen es, auf dem Fußboden beieinander zu sitzen und Gespräche bis in die Nacht zu führen. In dieser Zeit kamen sie sich auch körperlich näher. Virginia erlebte den wahrscheinlich ersten Orgasmus ihres Lebens, und Vita erinnerte sie mehrfach mit gespielter Empörung in ihren Briefen »... an jenen Abend hier, als du dich so skandalös benommen und mein Herz für immer gewonnen hast«.

Tagsüber kutschierte Vita sie mit ihrem Auto herum. Nicht nur in diesem Punkt war sie die Mutigere, während Virginias Fahrversuche unglücklicherweise gleich zu Anfang mit einem kleinen Unfall geendet hatten. Daraufhin hatte Leonard ihr das Autofahren einfach verboten. Er war immer sehr besorgt um ihr Wohlbefinden, weil ihr Körper sehr schwächlich war und sie von Zeit zu Zeit von Zusammenbrüchen heimgesucht wurde, die sie tagelang ans Bett fesselten. Außerdem litt sie an Migräne.

Auch psychisch war sie sehr instabil. Depressionen lähmten immer wieder ihre Schaffenskraft und ihren sonst fast unwiderstehlichen Drang zum Schreiben. Zweimal hatte sie sogar schon Wahnsinnsanfälle erlitten.

Während sich Virginia ihrer Liebe zu Vita immer mehr bewusst wurde und diese auch zu zeigen begann, war Vitas Interesse, zumindest was das Sexuelle betraf, schon wieder geringer geworden. Dennoch schrieb sie ihr zärtliche Liebesbriefe und blieb hin und wieder über Nacht bei ihr. Auch wenn Vita auf Reisen war oder während ihrer langen Auslandsaufenthalte als Diplomatengattin schrieben sie sich regelmäßig.

Inzwischen hatte sich Vita in neue Liebesabenteuer gestürzt, was Virginia natürlich nicht verborgen blieb. Die Eifersucht quälte sie, obwohl sie tapfer versuchte, diese vermeintliche Schwäche zu unterdrücken. Ihre Liebe zu Vita blieb dennoch unerschütterlich, weil sie erkannt hatte, dass sie einfach nicht zur Treue fähig war.

Unter dem Einfluss dieser schmerzlichen Erfahrungen hatte sie die Idee zu ihrem berühmten Roman »Orlando«. Nach dem Erscheinen des Buches war für alle Welt klar, dass die Gestalt des Orlando eigentlich Vita Sackville-West verkörperte. Es war Virginia damit eine sehr sensible und detaillierte Charakterstudie Vitas gelungen. Gleichzeitig war es aber auch eine Art Rache für die erlittenen Kränkungen. Virginia wollte die Freundin in einem doppelten Sinne veröffentlichen, sie in ihrer Zwiespältigkeit und ihren Widersprüchen erkennbar machen und ausstellen.

Vitas Untreue brachte Virginia keineswegs dazu, sich von ihr zu entfernen oder sie weniger zu begehren, aber ihre Beziehung war doch ständigen Schwankungen ausgesetzt.

Einmal schrieb Vita: »...bisher kein Lebenszeichen von dir – ist es nicht sonderbar, diese jähen, sprunghaften und heftigen Vereinigungen zwischen uns, und dann die Tage völligen Schweigens ...«. Zweifellos liebte sie Virginia, aber eben auf ihre Art. Sie bestätigte Virginia in der Gewissheit, die einzig »wichtige« Frauenliebe in ihrem Leben zu sein, die weit über den »Affären« stand, obwohl sie schon wieder in einer neuen Liebesbeziehung schwelgte. Sie hielt Hoffnungen aufrecht, die zu erfüllen sie nur noch wenig Lust verspürte.

Virginia mochte die Entfremdung bereits unbewusst registriert haben, sie fühlte intuitiv, dass etwas zu Ende ging. Ausdruck dieser Krise war, dass sie ernsthaft krank wurde und fast sechs Wochen das Bett hüten musste. Halb liegend schrieb sie zu Herzen gehende Liebesbriefe an Vita. »Geliebtes Wesen ...«. Aber ihre Briefe gingen bereits ins Leere, sie erreichten Vita nicht wirklich, weil sie ihres Begehrens schon lange überdrüssig war.

Die folgenden Jahre waren geprägt von gelegentlicher Nähe, meistens aber blieb eine gewisse Distanz zwischen ihnen, gegen die Virginia in ihren Briefen ankämpfte. Immer häufiger wurde sie durch lange anhaltende Despressionen niedergedrückt. Sie fürchtete, wahnsinnig zu werden. Leonard machte sich ernsthafte Sorgen. Er ließ sogar ihre Schwester Vanessa kommen, die Virginia immer sehr nahe gestanden hatte, aber auch ihr gelang es nicht, sie aufzuheitern.

Vitas Besuche und ihre ehrliche Besorgnis wurden für Virginia zu seltenen Lichtblicken. Immer tiefer sank sie in die Depression, obwohl sie mit all ihrer Kraft dagegen ankämpfte. »Dieses tiefe Wellental soll mich, ich schwöre es, nicht verschlingen«, schrieb sie im Januar 1941. »Die Einsamkeit ist groß. Das Leben in Rodmell ist sehr bedeutungslos. Das Haus ist feucht. Das Haus ist unaufgeräumt. Aber es gibt keine Alternative. Die Tage werden auch wieder länger werden.«

Sie beendete ihren Roman »Zwischen den Akten« trotz ihrer zittrigen und teilweise gelähmten Schreibhand. Sie arbeitete, sie bewirtete Gäste, sie begann ihre letzte Erzählung »Das Symbol« und niemand schien zu bemerken, dass etwas sie quälte. Schließlich konnte Virginia weder essen noch schlafen. Sie hörte Stimmen und konnte kaum noch klar denken, wie sie ihrer Schwester Vanessa in einem Brief berichtete.

Die Briefe, die Vita und Virginia in dieser Zeit wechselten, waren voller Zuneigung und beiderseitigen Liebesbeteuerungen. Es ist deutlich zu spüren, wie sehr sie sich verbunden fühlten. Vita schickte zwei Pfund frische Butter, was in jenen Kriegstagen ein Geschenk von unschätzbarem Wert bedeutete. Virginia dankte ihr überglücklich.

Am 28. März 1941 verließ Virginia ungesehen das Haus. Als sie zum Mittagessen nicht zurück war, suchte Leonard im Haus nach ihr und fand ihre Abschiedsbriefe. Sie hatte sich in dem Fluss Ouse ertränkt, an dessen Uferböschung man sie erst drei Wochen später fand.

Vita wurde von Leonard brieflich benachrichtigt und war untröstlich. An ihren Mann schrieb sie: ».... Ich habe gerade den furchtbarsten Schock erlebt: Virginia hat sich umgebracht. ... Ich kann es nicht fassen. Dieser herrliche Verstand, dieser herrliche Geist. Und es schien ihr so gut zu gehen, als ich sie das letzte Mal sah ...« Sie kam nur schwer über diesen Verlust hinweg. Jahre später schrieb sie an Harold: »... Ich glaube immer noch, ich hätte sie retten können, wenn ich nur dort gewesen wäre und gewusst hätte, in welche Geistesverfassung sie geriet.«

Christa Bertz

Quellen:
- Susanne Amrain: So geheim und vertraut, Suhrkamp Taschenbuch
- L. DeSalvo u. M. A. Leaska: Geliebtes Wesen, Fischer Taschenbuch

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