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Brieffreundschaften

Eine andere Art von Freundschaft

Brieffreundschaften sind eine besonere Form von Freundschaft. Sie unterscheiden sich von der normalen Freundschaft vor allem durch die räumliche Distanz. Die Brieffreundin steht nicht spontan und jederzeit für ein Gespräch zur Verfügung. Zu einem schriftlichen Dialog, der normalerweise eher ein Monolog ist, muss frau/man sich aufraffen, sich Zeit nehmen. Positiv an einer Brieffreundschaft ist, dass man alte Briefe immer wieder nachlesen kann (sofern man sie aufbewahrt). So bleiben viele Dinge, die im Lauf der Zeit besprochen wurden, wie in einem Archiv aufgezeichnet und sind ständig abrufbereit.

Brieffreundschaften können auf unterschiedlichste Weise entstehen: durch Wegziehen von FreundInnen, mit denen man trotzdem weiter verbunden sein möchte; aus Urlaubs- oder Kurbekanntschaften; durch Kontaktanzeigen in Zeitungen oder Zeitschriften.

Meine Mutter schrieb 1941 unter einer Feldpostnummer an einen unbekannten Soldaten, der schließlich ihr Mann und mein Vater wurde. Häufiger ist wahrscheinlich die Brieffreundschaft zwischen zwei Frauen (oder zwei Männern).

Meine erste Brieffreundschaft war die mit einer Kurfreundin. Ich war siebzehn, sie achtzehn, wir teilten damals im Allgäu ein Zweibettzimmer und schrieben uns anschließend mehrere Jahre lang, bis wir beide verheiratet waren und uns durch Umzug aus den Augen verloren. Bis heute habe ich sporadischen Briefkontakt mit einer Schulfreundin; eine weitere Brieffreundschaft entstand 1990 durch eine Kur; zu einer guten Bekannten aus einer Bürgerinitiative, die 1991 nach England zog, halte ich die Kontakte durch Briefwechsel aufrecht.

Die ungewöhnlichste und zugleich intensivste Brieffreundschaft jedoch geht auf einen von mir verfassten Leserbrief zurück, der am 12. März 1981 im »Darmstädter Echo« abgedruckt war.

Darin hatte ich mich über einen Bericht unter dem Titel »Sind Frauen wirklich weniger kreativ?« geäußert, in dem die Fähigkeit von Frauen in Frage gestellt wurde, »bedeutende und allgemein anerkannte Werke im Bereich der Kreativität zu schaffen«. »Frauen scheinen den äußeren Umständen und Schwierigkeiten, die dabei eine behindernde Rolle spielen, weniger oder gar nicht gewachsen zu sein«, hieß es in dem Artikel weiter. Für mich, die ich schon immer gern »kreativ« geschrieben habe, war klar: Frauen »scheinen« nicht äußeren Umständen und Schwierigkeiten weniger gewachsen zu sein, sondern sie sind tatsächlich größeren Belastungen ausgesetzt. Das konnte und kann ich als kreativ schreibende Frau mit schulpflichtigem Kind aus eigener Erfahrung bestätigen. Als Beispiel hatte ich aus dem unterschiedlichen Arbeitsalltag Thomas Manns und mehrerer Schriftstellerinnen zitiert.

Neben einigen telefonischen Reaktionen erreichte mich auch die Zuschrift einer Leserin – Brigitte C. aus Michelstadt -, die mir ihren Alltag mit zwei kleinen Kindern schilderte, der sie bei der Entfaltung von Kreativität (Malerei) stark einschränkte. Ich schrieb zurück, sie mir wieder – so entstand eine dauerhafte Brieffreundschaft.

Obwohl wir nur einen »Katzensprung« (zwanzig Autominuten) voneinander entfernt wohnen, haben wir uns in diesen zwanzig Jahren nur dreimal persönlich getroffen und einmal miteinander telefoniert, aber etwa hundert Briefe gewechselt: lange, kurze, manchmal nur Weihnachts- oder Urlaubsgrüße. Dabei haben wir Freud und Leid miteinander geteilt: private Sorgen und Nöte, unsere Ansichten über Feminismus, Umweltprobleme und Religion, Berufs- und Freizeitaktivitäten, Familienurlaub, Krankheiten ... Bei allem Meinungs- und Erfahrungsaustausch hatten wir durchaus auch unterschiedliche Ansichten, zum Beispiel bei der Kindererziehung.

Wir stellten fest, dass wir fast gleich alt und uns auch in der äußeren Erscheinung ähnlich sind. Trotz unterschiedlicher Biografie gibt es viele Gemeinsamkeiten und eine ähnliche Weiterentwicklung im Lauf dieser 20 Jahre.

Ich bin sicher, dass diese Brieffreundschaft noch weitere – vielleicht zwanzig – Jahre andauern wird und freue mich auf die nächsten 100 Briefe...

Liliane W. Spandl

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