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Erika Köth

Foto: Stadtarchiv

Quelle:
Sammlung von Zeitungsausschnitten aus Darmstädter Echo und Tagblatt aus dem Stadtarchiv, die z.T. auf dem Buch »Herzlichst Erika Köth« basieren.

Erika Köth (1925-1988)

Die Nachtigall von Darmstadt

Sie hat in den großen Opernhäusern der Welt gesungen, an der Wiener Oper, der Mailänder Scala, im Londoner Covent Garden, in der New Yorker Metropolitan Opera, bei den Salzburger Festspielen. Zu ihren großen Partien gehörte die »Königin der Nacht« aus Mozarts Zauberflöte. Sie sang sie 278mal, obwohl diese Partie zu den schwersten und nach ihrer eigenen Aussage »nervenbelastendsten« Opernarien gehört. Ab 1973 lehrte sie Gesang als Professorin an der Kölner Musikhochschule, ab 1980 an der Musikhochschule in Mannheim. 1978 zog sich Erika Köth von der Opernbühne zurück, begeisterte ihr Publikum aber weiterhin als Interpretin von Liedern. Die Sängerin lebte mit ihrem Mann, der sich ganz ihrer Karriere gewidmet hat, zeitweise in München und in Neustadt in der Erika-Köth- Straße 94. »Die Musik ist für mich wie Atmen und Leben«. Dieses Bekenntnis hat viele Jahre ihres Lebens geprägt. Begonnen hat es aber unter ganz anderen Vorzeichen.

Kindheit im Martinsviertel

Tanzen wollte sie, nur immer tanzen, und Tänzerin werden war der Traum der kleinen Erika, die nach der frühen Trennung ihrer Eltern als echtes Heinermädchen bei den Großeltern in Darmstadt aufwuchs. Wie in einer Vorahnung künftigen Ruhms behauptete sich die kleine Erika in diesen Kinderjahren zum ersten Mal in der Öffentlichkeit. Beim Einkehren in einen Darmstädter Gasthof entschlüpfte das Nesthäkchen der Familie, gesellte sich zur Blechmusik aufs Podium und sang und tanzte aus Leibeskräften zum Volkslieder-Potpourri. Die auf einem Teller vom begeisterten Publikum gespendeten Zweier und Zehner quittierte der sonst so liebevolle Großvater entsetzt mit einer Ohrfeige.

Dann brach ein schwerer Schicksalsschlag über das quirlige tanzende kleine Mädchen herein. Mit sieben Jahren bekam Erika Kinderlähmung. Sechs Monate lag sie mit vollkommen gelähmten Beinen im Bett. Der behandelnde Arzt erzielte erste therapeutische Erfolge bei seiner jungen Patientin, bevor der Naziterror nach ihm griff. Eines Tages war er nicht mehr in Darmstadt. In einem Ledergeschirr lernte das Kind mühsam wieder gehen, die dreiundachzigjährige Uroma führte es geduldig den Korridor auf und ab, viele, viele Male...

»Ich hatte Beine wie ein Storch, aber mein Wille war eisern«. Erika schleppte sich zur Schule, rechts und links von Freundinnen gestützt, sie lernte schwimmen, sie turnte am Barren, am Reck, sie machte beim Laufen mit, »auch wenn ich immer die letzte war«. Erst mit achtzehn, neunzehn Jahren war sie wieder voll bewegungsfähig, aber der Traum von der Tänzerin war ausgeträumt.

Aber Erikas Talente saßen eben nicht nur in den Beinen, sondern auch in der Kehle, und ihr Vorbild war die damals gefeierte Sängerin Erna Sack. Ihr eiferte sie nach beim Tonleiterüben in der Volksschulsingstunde und auf dem stillen Örtchen, das sie auch später noch zum Üben inspirierte … Gute Feen standen ihr zur Seite, wie die ehemalige Ballettmeisterin Cläre Eckstein, der die Sechsjährige ein Engagement im Chor des Theaters verdankte, daraus folgte mit elf Jahren das erste Solo, eine gesungene Zeile in der Oper »Evangelimann«. Oder Frau Feldern aus der Lichtenbergstraße, die aus dem Souffleurkasten das Lampenfieber der Anfängerin mit Blinzeln besänftigte und der Zwölfjährigen zu Weihnachten eine Ziehharmonika schenkte einschließlich 10 Reichsmark für Unterricht, abgezwackt vom spärlichen Gehalt.

Bei der Familie aber hielt sich die Begeisterung für Erikas frühe Erfolge eher in Grenzen. »Mach kei Bosse, lern liewer koche, Knöpp a’näe, Schreibmaschin schreiwe oder sonst en richdiche Beruf«. Aber dickköpfig erzwang die Fünfzehnjährige den Kompromiss: Kaufmännische Lehre in einer Kohlenhandlung und musikalische Weiterbildung. Noten konnte sie besser behalten als Hausnummern, und so landeten bestellte Kohlen auch schon mal im Haus Rhönring 151 statt 115! Ihr Berufsschullehrer, Herr Diehl, bezahlte der verträumten Schülerin Gesangsstunden. Als später das Stipendium nicht reichte, trug die Mutter in ihren beiden letzten Lebensjahren vor der Arbeit Zeitungen aus.

Im Krieg lag Darmstadt im Bombenhagel, im Luftschutzkeller sang Erika sich und den Anderen die Angst weg. Manchmal bekam sie dafür eine Brotmarke geschenkt. Im August 1944 wurden alle Theater, Opern, Musikhochschulen geschlossen. Erika Köth musste in der Munitionsfabrik in Ober-Ramstadt an der Drehbank zum verhassten Krieg beitragen. Um fünf Uhr morgens auf der Fahrt zur Fabrik Todesangst bei Tieffliegerangriffen... »alle sprangen aus dem Bus in den nächsten Graben.«

Endlich Frieden im März 1945. Erika wurde wegen ihrer Tätigkeit als Blockflötenspielerin beim Bund deutscher Mädel (BDM) von den Amerikanern »entnazifiziert« und musste zur Sühne einige Wochen in der Cambrai- Fritsch-Kaserne putzen. Ohne großes Schuldbewusstsein hat sie in der Küche für sich und ihre hungernde Familie Lebensmittel geklaut, so viel sie erwischen konnte.

Im Abendkleid aus einem alten Vorhang hat Erika Köth in amerikanischen Klubs Jazz gesungen, als einziges weibliches Mitglied der »Wilhar-Melodiker« und sich damit ihr Studium finanziert. Im Winter 1945/46 öffnete die Darmstädter Akademie für Tonkunst ihre Pforten und Erika Köth konnte ihre Ausbildung beginnen. 1947 errang sie den ersten Preis bei einem Nachwuchs-Wettbewerb des Hessischen Rundfunks in Frankfurt unter 300 Mitbewerberinnen. Sie debütierte 1948 am Theater Kaiserslautern und gehörte von 1950 bis 1953 zum Ensemble des Staatstheaters Karlsruhe. Das war der Beginn ihres Aufstiegs zur weltberühmten Sängerin. In Darmstadt hat Erika Köth mehrmals gastiert. Den Theaterneubau hat sie allerdings für einen Alptraum gehalten. Ihre Heimatstadt hat ihr die Merck-Ehrung verliehen, den Namen dieser großen Künstlerin aber mit keiner Straße, keinem Platz oder Gebäude geehrt. 1989 ist Erika Köth gestorben. Sie liegt auf dem Alten Friedhof begraben.

Barbara Obermüller

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