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Alexandra, die letzte Zarin

Zarin Alexandra im Königsornat

Zarin Alexandra mit ihrem Sohn Alexej um 1913

Die russische Kapelle

Quellen:
Elisabeth Heresch: Alexandra, Verlag Langen Müller
Kurt Schleucher: Darmstädter draußen

Alexandra

- die letzte Zarin -

Sehr oft schon bin ich am Schloss in Darmstadt vorbei gegangen, immer wieder hat mich dieses großartige Bauwerk fasziniert, doch blieb dieses Schloss für mich doch stets nur das Gebäude, in dem unter anderem die Landesbibliothek und ein Polizeirevier untergebracht sind. Dass aber jahrhundertelang Menschen darin lebten, die die Geschichte Hessens und sogar Europas entscheidend mitgestaltet haben, hatte ich bis vor kurzem völlig ignoriert.

Es waren zunächst die Landgrafen, später die Großherzöge von Hessen-Darmstadt und bei Rhein, die dort residierten und die Geschicke unserer Region bestimmten.

Bemerkenswert ist, dass Frauen aus dem Hause Hessen-Darmstadt durch Heirat bis in die höchsten Ränge des europäischen Hochadels aufgestiegen sind und somit weit mehr Macht und Ansehen erlangten als ihre männlichen Familienmitglieder, die ihre ererbten Adelstitel natürlich lebenslang behielten und deren Machtbereich allein auf Hessen-Darmstadt beschränkt blieb.

Vier Prinzessinnen aus dem hessischen Fürstenhaus haben in die russische Zarenfamilie geheiratet, zwei von ihnen sind Zarinnen geworden:

Großfürstin Wilhelmine (1755-76), Zarin Marie (1824-1880), Großfürstin Elisabeth (1864-1918) und deren Schwester, Prinzessin Alix, später Zarin Alexandra Fjodorowna, die letzte Zarin (1872-1918), von der hier die Rede sein soll.

Alix war das sechste der sieben Kinder des Großherzogs Ludwig IV., die vierte von fünf Töchtern. Bereits mit sechs Jahren verlor sie ihre Mutter Alice, die eine Tochter der Queen Victoria von England und Prinz Albert von Sachsen-Coburg-Gotha war. Das große Vorbild der Mutter, die in ihren nur 35 Lebensjahren außergewöhnlich nachhaltig und bahnbrechend in Darmstadt und dem Hessenland gewirkt hat, vor allem durch Gründung des Alice-Hospitals, der Alice-Schwesternschaft und einer Frauenfachschule, war für Alix wie für all ihre Geschwister bestimmend. Nach dem Tod der Mutter nahm sich die Großmutter in England der Darmstädter Enkel besonders an, was sich in der Erziehung merklich niederschlug.

Unbestreitbar war Alix, die sich als englische Prinzessin empfand und neben Deutsch und Französisch vorwiegend Englisch sprach, die Lieblingsenkelin von Queen Victoria und wurde von ihr liebevoll »Alicky« genannt.

Großherzog Ernst Ludwig (1868-1937, Regent von 1892-1918), der mit seiner Schwester Alix ein sehr inniges Verhältnis hatte, charakterisierte sie in seinen Privatmemoiren folgendermaßen:
»Alix war schön, ein ernst angelegter Mensch mit einem großen Herzen und grenzenlosem Pflichtgefühl, ein guter Kamerad für den Vater. Wir waren immer zusammen und später, außer ihrer Familie, war ich ihr der Liebste, was sie auf dieser Erde hatte. Ihr Leben war schwer von Anfang an: die offizielle Verlobung in der Krim und am Totenbett Alexander III. Dann die Rückfahrt mit der Leiche durch ganz Rußland und zwei Tage danach die Hochzeit.«

Als Alix im Jahre 1884 als zwölfjähriges Mädchen zur Hochzeit ihrer Schwester Elisabeth mit Großfürst Sergej, einem Bruder des Zaren, mit nach Russland fuhr, fand der russische Thronfolger Nikolaus großen Gefallen an ihr. Diese Zuneigung hielt er jahrelang durch, sowohl gegen den Widerstand seiner Eltern als auch ihres Vaters.

Obwohl sie die Liebe des jungen Zarewitsch, wenn auch nur zögernd erwiderte, sträubte sich Alix gegen eine Ehe mit ihm, weil sie sich als künftige Zarin von ihrer protestantischen Religion zu lösen hatte. Ihr starker Glaube war eine unerschütterliche Stütze ihres jungen Lebens, nahm aber in späteren Jahren zunehmend fanatische Formen an.

Nur um seine geliebte Alix sehen zu können, erwirkte Nikolaus bei seinen Eltern die Teilnahme an der Hochzeit von Großherzog Ernst Ludwig mit Victoria Mellita im Jahre 1894 in Coburg. Obwohl sie ihn bis dahin immer wieder zurückgewiesen hatte, machte er Alix bei diesem Zusammentreffen einen offiziellen Heiratsantrag und sie nahm ihn voller Zweifel an.

Alix hatte keine Gelegenheit, in ihre Rolle als Zarin hineinzuwachsen. Kaum war sie mit dem Thronfolger verlobt, starb Zar Alexander III., und als Alexandra Fjodorowna wurde sie zweiundzwandzigjährig die Frau an der Seite des ebenfalls unvorbereiteten jungen Zaren Nikolaus II.

Als Zarin hatte Alexandra größte Schwierigkeiten, vom russischen Volk anerkannt und geliebt zu werden, so sehr sie sich auch darum bemühte. Ein Grund dafür war unter anderem die Tatsache, dass sie erst vier Töchtern das Leben schenkte, bevor endlich im Jahre 1904 der lang ersehnte Thonfolger geboren wurde. Wie sich später herausstellte, hatte sie die von ihrer englischen Großmutter ererbte Bluterkrankheit auf ihn übertragen.

Die Sorge um das Leben des kleinen Alexej überschattete von da an das Leben der gesamten Zarenfamilie und wurde für seine Mutter zum Lebensinhalt. Für Alexandra galt es nicht nur, das Leben ihres Sohnes und Thronerben zu erhalten, es ging ihr vielmehr darum, ihm auch die Krone Russlands in der Staatsform der Autokratie unversehrt zu bewahren. Der Gesundheitszustand des Kindes war immer wieder lebensbedrohend; selbst kleinste Verletzungen verursachten kaum zu stillende Blutungen.

In ihrer Sorge um das Leben des Thronfolgers suchte Alexandra verzweifelt nach Helfern und geriet schließlich in die Abhängigkeit von Rasputin. Er war ein Scharlatan, der aber die Rolle des heiligmäßigen Mönchs und Heilers so geschickt zu spielen vermochte, dass er allmählich das Vertrauen der Zarin gewann. Durch seine hypnotische Begabung gelang es ihm sogar mehrfach, die Blutungen ihres Sohnes zum Stillstand zu bringen.

Dafür war ihm Alexandra von ganzem Herzen dankbar und sie befolgte kritiklos seine Ratschläge, die zunächst nur gesundheitlicher und religiöser Art waren, sich später aber mehr und mehr auch auf politische Angelegenheiten erstreckten.

Alexandras Auffassung von der Zarenwürde als rein autokratischer Regierungsform, in welcher der Zar und die Zarin ausschließlich Gott – und nicht etwa einem Parlament – verantwortlich seien, hatte sich in ihrem gläubigen Wesen von der eindrucksvollen Krönungszeremonie an so tief festgesetzt, dass sie nicht imstande war, sich davon zu lösen.

Gegen ihren erklärten Widerstand hatte der Zar im Jahre 1905 eine schrittweise Abtretung der Macht an das Parlament eingeleitet, um aufgestaute Emotionen durch sukzessives Nachgeben unter Kontrolle zu halten. In dieser Entwicklung sah Alexandra bereits eine zu große Machteinbuße, und je stärker sich die Ereignisse in diese Richtung entwickelten, desto hartnäckiger widersetzte sie sich dem Zaren und seinen Ministern.

Als 1914 der erste Weltkrieg ausbrach, war Russland gerade im Begriff, zu einer prosperierenden Großmacht aufzusteigen. Der Zar war meist im Generalstab oder an der mehrere tausend Kilometer langen Front unterwegs, so dass er weitgehendst auf die Informationen aus den täglichen Berichten der Zarin angewiesen war, was die Vorgänge in der Hauptstadt und bei Hofe betraf.

So wenig Zar Nikolaus von der Heiligkeit Rasputins hielt, an die Alexandra unerschütterlich glaubte, so sehr entglitt ihm die Übersicht und allmählich auch die Macht über die innenpolitischen Vorgänge, in denen Rasputin in raffinierter Form die Fäden zog. Die Zarin war ihm regelrecht verfallen und glaubte, er sei ihr von Gott zugeführt worden. Sie brachte den von seinen Herrscherpflichten völlig überforderten Zaren auf Drängen Rasputins dazu, wichtige politische Persönlichkeiten, die die Entfernung des machthungrigen Mönchs vom Hof gefordert hatten, zu entlassen, wodurch die Handlungsfähigkeit der Regierung mehr und mehr geschwächt wurde.

Streitereien zwischen dem Parlament und den Ministern des Zaren und ganz besonders der negative Einfluss Rasputins bei Hofe erzeugten eine revolutionäre Stimmung in der anfangs noch opferbereiten Bevölkerung. Für treue Monarchisten galt Rasputin als Ursache allen Übels und so wurde er im Juli 1916 ermordet.

Die Angriffe richteten sich nun zunehmend gegen die Zarin, der man den Großteil der Verantwortung für die herrschenden existentiellen und politischen Zustände zuschob. Dass der Zar und die Zarin auch nicht vor der Anwendung von Gewalt zurückschreckten, um den in ihren Augen »verbrecherischen Aufruhr« niederzuschlagen, beschleunigte den Lauf der Dinge noch mehr. Die Februarrevolution von 1917 war vorprogrammiert, der Untergang des mächtigen Reiches in Chaos und Anarchie vorgezeichnet. Im März 1917 wurde der Zar zur Abdankung gezwungen und zusammen mit seiner Familie nach Sibirien deportiert. Während für Lenin und seine Revolutionäre, die insgeheim vom deutschen Kaiserhaus unterstützt wurden, die Ermordung der Zarenfamilie schon beschlossene Sache war, pokerten russische und deutsche Regierungsvertreter offiziell noch um die Freilassung der Zarin als gebürtige Deutsche.

Zunächst gelang es den Bolschewiken nicht, ein Exekutionskommando zusammenzustellen. Russische Soldaten weigerten sich, auf die Zarenfamilie zu schießen und so rekrutierte man kurzerhand je sechs ungarische und österreichische Kriegsgefangene. Zar Nikolaus und Zarin Alexandra wurden zusammen mit ihren Kindern am 16. Juli 1918 im Keller ihres letzten Zufluchtsorts in Jekaterinburg ermordet.

In Darmstadt wird die Erinnerung an dieses letzte Zarenpaar durch die Russische Kapelle wach gehalten, die Nikolaus seiner Frau 1899 zum Geschenk gemacht hatte.

Christa Bertz

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