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MATHILDE

Barbara Gasch 1991

Barbara Gasch arbeitet an ihrem Goldschmiedewerkbrett in ihrem Dugout

Fotos: Gasch

Frei sein

Die Künstlerin und Goldschmiedin Barbara Gasch riss vor zwölf Jahren ihre Wurzeln in Deutschland aus und sprang in ein neues Leben in White Cliffs, Australien. Das neue Leben in der Einsamkeit und der Weite eines wilden Landes, die Naturverbundenheit und die große Freiheit haben die Frau und ihr künstlerisches Schaffen verändert. Lebhaft schildert sie uns ihr bewegtes Leben:

Die Wurzeln

Geboren bin ich am 15. April 1942 in Darmstadt, meine ersten Lebensjahre verbrachte ich in Blaubeuren am Blautopf, wo der Sage nach die schöne Lau in einem unterirdischen Palast lebte. 1949 kehrten meine Eltern zurück nach Darmstadt, mein Vater begann nach dem Krieg ein zweites Studium als Biologe. Wir wohnten am Fuß des Hochzeitsturms auf der Mathildenhöhe und die zertrümmerten Jugendstilvillen, die verlassenen Brauereikeller und die verwilderten Gärten waren ein wundervoller Spielplatz für uns Kinder. Damals begann ich leidenschaftlich, gefundene Objekte zu sammeln, und wann immer ich nach Hause kam, hatte ich meine Taschen voll mit Schätzen.

1961 machte ich Abitur an der Viktoriaschule, doch ich wollte nicht studieren, sondern eine Goldschmiedelehre machen. Damals war das ein sozialer Abstieg. Ein Jahr später bekam ich mein erstes Kind, Daniel, eine erneute Herausforderung an das Establishment.

Ich war Lehrling bei dem inzwischen verstorbenen Goldschmiedemeister Horst Seiffarth, bei dem ich unglaublich viel lernte. Aber nach zwei Jahren musste ich die Lehrzeit abbrechen, weil ich meine Arbeits- und Mutterpflichten nicht mehr miteinander vereinbaren konnte. Mein drittes Lehrjahr absolvierte ich bei Meister Rudolf Deutler in Blaubeuren, wo Daniel mit in der Werkstatt sein konnte, und 1964 machte ich meine Gesellenprüfung in Ulm. Zurück in Darmstadt richtete ich eine Werkstatt an der Odenwaldbrücke in einem kleinen Hexenhäuschen ein. Den winzigen Raum teilte ich mir mit Daniel. Meine Ehe mit Daniels Vater war am Zerbrechen, wir versuchten aber noch ein Zusammenleben und zogen gemeinsam nach Berlin, wo mein zweites Kind, Eva, 1966 zur Welt kam.

Direkt nach Evas Geburt studierte ich zwei Semester an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin, wo ich das Baby in den ersten Monaten dabeihaben konnte. Daniel war in einer Kinderkrippe.

Eigene Schritte

Mein Mann war keine große Hilfe, er war mehr interessiert an anderen Frauen, und so entschloss ich mich 1967, ihn und Berlin zu verlassen und an der Kunstakademie in Prag weiter zu studieren. Ich nahm meine Kinder mit, ließ sie tagsüber von einer Kinderfrau betreuen und machte, wohl aus Verzweiflung, meine ersten großen aufsehenerregenden Schmuckstücke.

1967 und 1968 vibrierte Prag vor Hoffnung und Kreativität und Sehnsucht nach Demokratie, der »Prager Frühling« war allgegenwärtig und der Freiheitstaumel eines ganzen Volkes riss mich mit. Zur Einschulung von Daniel gingen wir zurück nach Darmstadt - wir verließen Prag gerade rechtzeitig, bevor die Russen einmarschierten und alle Hoffnung auf Freiheit und Demokratie zerstörten.

1969 machte ich meine Meisterprüfung in Frankfurt und eröffnete meine Werkstatt im Watzeviertel. Es war eine wunderbare kreative und rebellische Zeit, ich entwickelte mein politisches Bewusstsein, machte wilden Schmuck und hatte viel Erfolg. Eva Franke-Weißgerbers »Galerie Oeuf«, Manfred Vitts »Schnuffelkant« und meine »Galerie für Neuen Schmuck« waren damals Zentren kreativen Geschehens im Watzeviertel.

Von 1972 bis 1977 studierte ich an der Technischen Hochschule Pädagogik, Soziologie und Politik, mein erwachtes politisches Bewusstsein sehnte sich nach Wissen. Nach meinem Abschluss arbeitete ich für drei Jahre als Sozialberaterin für arbeitslose Erwachsene beim Internationalen Bund für Sozialarbeit in der Frankfurter Straße. Zwischendurch besuchte ich Ägypten, und meine Erlebnisse dort weckten den Wunsch, wieder Schmuck zu machen.

Für eine kurze, aber heftig intensive Zeit hatte ich eine Werkstatt-Galerie zusammen mit Henning Boetius am Riegerplatz. Wir waren mittlerweile nach Roßdorf gezogen, und dort eröffnete ich eine neue Werkstatt und nahm zwei Lehrlinge zur Ausbildung an. Meine Werkstatt war sehr klein, und ich sehnte mich danach, mit anderen Kunsthandwerkern unter einem Dach zu arbeiten. So gründete ich das Handwerkshaus »Goldene Nudel« in Ober-Ramstadt, und nach mühevoller Renovierung konnten wir Ende 1983 dort einziehen. Es war ein aufregendes kulturelles Zentrum im konservativen Ober-Ramstadt. In meiner Werkstatt machte ich hauptsächlich Auftragsarbeiten, Amulettschmuck und Fetischobjekte. Mein Motto war: »Ich fasse deine Träume und Ängste in Gold und Silber«.

Fünf Jahre lang arbeitete ich im Handwerkshaus als Goldschmiedin und leitete die Galerie, es wurde Zeit für mich, weiterzugehen.

Neue Wege

Ich brauchte eine neue Herausforderung für die zweite Hälfte meines Lebens. Ich war Ende vierzig, meine beiden Kinder waren erwachsen, meine Eltern waren gesund und unabhängig, ich hatte keine feste Beziehung - zum ersten Mal im Leben war ich wirklich frei und für niemanden verantwortlich. Mein Leben war so chaotisch reich und angefüllt, ich sehnte mich nach einem einsamen Ort, weit weg. Ich wollte noch einmal über meinen Schatten springen, mich losreißen aus der Geborgenheit und Sicherheit sozialer Anerkennung - ich wollte in der weiten Welt meinen Platz finden - den Inbegriff meiner Träume. Es war reiner Zufall, dass ich zuerst nach Australien reiste, es war halt sehr weit weg und etwas ganz Unbekanntes, Neues.

Natürlich bereiste ich die Orte, wo Gold und Edelsteine gefunden werden. Einer dieser Orte, damals noch sehr unbekannt, war White Cliffs, mitten im australischen Outback, dem »Never Never«. Ich verliebte mich spontan in den Ort. Alles stimmte! Ungebändigte Natur, rauhe, stachlige, giftige, wunderbare Tiere und Pflanzen, extreme Wetter und Temperaturen, ein grenzenloser Himmel, nachts voll mit glänzenden Sternen.

Aber das unglaublichste an diesem Ort war, dass hier Höhlenleben und unterirdisches Suchen nach verborgenen Schätzen alltäglich sind, dass hier das schönste Bergwerk der Welt ist und dass hier einer der wertvollsten und schönsten Edelsteine gefunden wird, der Opal, der Regenbogenstein.

Im April 1989 kaufte ich spontan mein Dugout (eine unterirdische Höhlenwohnung) für umgerechnet 7500 DM. Nachdem ich in Deutschland alles verkauft und aufgelöst hatte, riss ich meine Wurzeln aus und machte den Sprung nach White Cliffs.

Im Grunde wurde hier mein anarchistischer Traum wahr: keine Polizei, keine Obrigkeit, Probleme werden untereinander gelöst. Der Platz hier ist frei von sogenannter »zivilisierter« Kultur. Allgegenwärtig ist jedoch die jahrtausende alte Kultur spürbar, gegenwärtig durch unzählige ewig alte Steinwerkzeuge, Artefakte, die verstreut herumliegen. Und sie ist immer noch in den Aboriginees gegenwärtig, trotz aller Versuche, ihnen die europäische Zivilisation aufzuzwingen. Zu meinen besten Freunden hier gehören Aboriginees, die wunderbare Holzarbeiten für unsere Galerie herstellen.

Seit April 1990 lebe ich hier in White Cliffs zusammen mit Dony, der einfach da war in dieser Einsamkeit. Unser Leben ist sehr einfach und gesund. Wir können biodynamisch angebautes Getreide in Säcken bestellen und anliefern lassen, ich mahle das Mehl für Brot und Kuchen immer frisch, Gemüse und Obst bauen wir im Garten an, wir trinken unser wunderbares Regenwasser.

Ansonsten haben wir eine gut funktionierende kleine Gemeinde, wo es eine Schule, ein Krankenhaus, eine Post gibt, natürlich auch einen Eckladen und eine Kneipe.

Ärzte kommen einmal in der Woche mit dem flying doctor service eingeflogen und wenn etwas außerhalb der Besuchszeiten passiert, kommt der flying doctor so schnell wie möglich, und fliegt die PatientInnen ins entsprechende Krankenhaus.

Fast alle meine antrainierten Verhaltensmuster wurden wertlos hier. Diese Tatsache, verbunden mit dem nicht mehr vorhandenen sozialen Netzwerk, macht mich einerseits sehr verletzlich - gibt mir aber andererseits ein unglaubliches Glücksgefühl.

Und ich bin frei - muss mich niemandem mehr unterordnen oder anpassen, muss keine gesellschaftlichen Erwartungen mehr erfüllen - jetzt endlich kann ich mein ganz eigenes moralisches und künstlerisches Wertesystem entwickeln.

Neue Wurzeln schlagen

Meine ersten Jahre waren sehr einsam in White Cliffs, ich war ja doch mehr oder weniger ein Eindringling. Von Anfang an war klar, dass ich so schnell wie möglich einen Laden eröffnen wollte, um meine Goldschmiedearbeiten zu verkaufen und davon zu leben.

Da White Cliffs aber vom Tourismus lebt, fühlten sich natürlich die anderen Geschäfte bedroht. Außerdem waren Dony und ich frisch verliebt und genossen unsere Einsamkeit. Da White Cliffs ein Sammelort von Aussteigern und Abenteurern mit Goldgräbermentalität ist, bleiben die meisten sozialen Kontakte natürlich an der Oberfläche. Was ich aber unglaublich positiv erlebt habe, ist die Tatsache, wenn jemand wirklich Hilfe braucht, jeder ohne Einschränkung sofort da ist und hilft.

Ich habe jetzt eine richtige Freundin hier in White Cliffs, wir können uns total aufeinander verlassen. Auch habe ich zu vielen, meistens jüngeren, Frauen freundschaftliche Kontakte. Aber wir sind nicht oft zusammen, mein Leben hier ist so ausgefüllt, dass ich oft wochenlang niemanden außer Dony und Besuchern in unserem Laden sehe. Aber es ist ein beglückendes Gefühl, dass die anderen da sind und sich freuen, mich zu sehen. Was meine Familie und Freunde in Deutschland anbelangt, so hat sich eigentlich kaum etwas geändert, durch Ausschalten von Alltäglichkeiten hat sich unsere Beziehung eher vertieft.

1995 haben wir unseren shop eröffnet, »Outback Treasures«, nachdem wir mühsam alle Räume selbst ausgebaut hatten. In dem Laden verkaufen wir meinen Schmuck, Opale, Souvenirs, Postkarten und Aboriginal Art von unseren Freunden, die zur BarKankji tribe in Wilcannia gehören.

Für mich war es eine große Herausforderung, mich den neuen Bedürfnissen anzupassen. In Deutschland hatte ich individuelle Auftragsarbeiten gemacht, während hier in White Cliffs Touristen für möglichst wenig Geld ein kleines Andenken kaufen wollen.

Da ich aber meine Handarbeit nicht unter Wert verkaufen wollte, arbeitete ich mich in das electroforming Galvanoverfahren ein. In einem galvanischen Bad kann ich Insekten, Pflanzenteile, Häute, gefundene Objekte in Edelmetall sozusagen einwickeln und zu einer selbsttragenden Schicht aufbauen. Diese Teile, welche das Outback verkörpern, kann ich in meinen Schmuck integrieren und mit den üblichen Goldschmiedetechniken verbinden. Dadurch haben sich meine Ausdrucksmöglichkeiten unwahrscheinlich erweitert.

Opal, der Regenbogenstein, ist natürlich meine größte Herausforderung: Himmlischer Schmuck - Opal kombiniert mit Sternen - Wolken - Himmelsfetzen, Opal in Muttergestein verwoben mit Pflanzenteilen und Insekten, Erdiger Schmuck, Busch- und Paradiesschmuck ... Mein neuer Lebensraum inspiriert mich zu neuem Schmuck. Schmuck, welcher das Gefühl von Gottverlassenheit und Schönheit mit dem magischen Regenbogenstein Opal verbindet.

Barbara Gasch / Gabriele Merziger

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