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MATHILDE

Aber das nur nebenbei ...

Eine Kurzgeschichte von Liliane W. Spandl

Ich bin Sekretärin, und im Grunde liebe ich meinen Beruf. Aber in der letzten Zeit habe ich immer öfter an Kündigung gedacht. Schließlich habe ich das alles doch gar nicht nötig. Wir leben in einer Demokratie, sagt unser Grundgesetz, und jeder kann tun und lassen, was er will, solange er nicht die Freiheit und die Rechte eines anderen beschneidet. Und das ist der springende Punkt! Wo fängt eigentlich die Freiheit des einzelnen an, und wo hört sie auf?

Nehmen wir doch nur einmal die sogenannte Gleichberechtigung: Obwohl uns dieses Recht laut Verfassung verbürgt ist, werden wir Frauen doch tagtäglich weiter unterdrückt. Wenn ich mich in meinem Bekanntenkreis umsehe, erlebe ich immer nur, dass Frauen ihren Männern und Kindern »zuliebe« auf ihre Gleichberechtigung verzichten. Da überhaupt von Liebe zu sprechen, ist direkt ein Hohn.

Auf ein Studium verzichten, damit der Mann studieren kann; den Beruf aufgeben, damit der Mann »Karriere« machen kann (das könnte er nämlich nicht, wenn er keine vernünftige, einsichtige Frau zu Hause hätte, die seine Kleider wäscht, seine Hemden bügelt und abends mit dem Essen auf ihn wartet); einen uninteressanten Halbtagsjob annehmen, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen: Von welchem Mann wird das eigentlich verlangt oder zumindest erwartet?

Ich kenne keinen einzigen, aber mindestens ein Dutzend Frauen allein im näheren Verwandten- und Bekanntenkreis. Und von Hunderttausenden von Frauen weiß ich es ebenfalls, ohne dass ich jede einzelne kenne. - Aber das nur nebenbei.

Ich habe es jedenfalls nicht nötig, mich weiterhin unterdrücken und ausbeuten zu lassen. In einem Arbeitsverhältnis ist es ja ähnlich wie in einer Ehe: Die Frauen machen die Hauptarbeit, die man eigenartigerweise »Kleinkram« nennt, und die Männer, die im Grunde alles »mundgerecht« vorgesetzt bekommen, tragen die Verantwortung und haben das höhere Einkommen. - Aber das nur nebenbei.

Jedenfalls bin ich nicht mehr gewillt, mir diese Schufterei weiter gefallen zu lassen. Schließlich möchte frau ja nebenbei noch ein bisschen was vom Leben haben. Zugegeben, ich habe es immer noch besser als die meisten berufstätigen Frauen. So habe ich praktisch keine Wegzeit, da mein Arbeitsplatz im selben Haus liegt, nur eine Treppe tiefer. Ich muss nicht allzu früh aufstehen, kann das Auto in der Garage stehen lassen und bin auch nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen.

In meinem Arbeitszimmer hat sich allerdings seit zwanzig Jahren nichts geändert: Der Teppichboden ist fadenscheinig, die Gardinen sind vergilbt, die Schreibtischschubladen klemmen und die Schreibmaschine ist fast ein Museumsstück. Von wegen Computer! Der Alte ist viel zu geizig, um einmal ordentlich in sein Vorzimmer zu investieren. Bei sich, ja da hat er Geld übrig. Bei ihm muss es schließlich ordentlich aussehen, schon wegen der Besucher, sagt er immer. Bei mir hält sich sowieso keiner lange auf, dafür sorgt er schon. Er hört kaum die Außentür gehen oder mich ein paar Worte mit jemandem wechseln - schon streckt er seinen Kopf heraus. Manchmal denke ich fast, er ist eifersüchtig. - Aber das nur nebenbei.

Früher, als er noch nicht verheiratet war, ist er ganz anders mit mir umgegangen. Da ist er sogar manchmal abends mit mir essen gegangen. Na ja, nicht gerade in die teuersten Restaurants – ein bisschen geizig war er damals schon – aber immerhin, es war doch eine nette Geste. Wie eine Ehe doch einen Menschen verändern kann!

Auch das mit den Blumen hat er sich schnell abgewöhnt. Er hat mir nämlich immer am Jahrestag meiner Arbeitsaufnahme, an meinem Geburtstag, zu Weihnachten und nach dem Urlaub einen Strauß Blumen auf den Schreibtisch gestellt. Aber wie gesagt: Lang, lang ist’s her. – Übrigens habe ich seit Jahren auf meinen Urlaub verzichtet.

Einmal habe ich mir selber einen Blumenstrauß gekauft und ihn mir vom Blumengeschäft ins Büro schicken lassen. Da ist er fast ausgerastet. Als ob er einen Grund hätte, eifersüchtig zu sein! Ich sei schließlich als Sekretärin bei ihm engagiert und nicht als Primadonna, hat er gebrüllt und mich aufgefordert, die Blumen verschwinden zu lassen. Ich habe sie dann mit nach oben genommen. – Aber das nur nebenbei.

Kürzlich hat er sich in seinem Büro umgesehen und mit dem Finger über die Möbelkanten gewischt. Natürlich war ein bisschen Staub dran. Jede Hausfrau weiß doch, dass sich eine Staubschicht innerhalb weniger Tage bildet, und ich kann nur einmal in der Woche Staub wischen. Mehr schaffe ich einfach nicht, weil ich ja auch noch staubsaugen, die Papierkörbe leeren und dort aufwischen muß, wo kein Teppich liegt. Der Alte hat nämlich in seinem Büro einen Berber liegen, der nicht den ganzen Fußboden bedeckt. Darunter liegt Parkett, und das muss ja auch gepflegt werden. – Aber das nur nebenbei.

Jedenfalls hat er sich über das bisschen Staub fürchterlich aufgeregt, vor allem, weil ich ihm vorgehalten habe, dass ich ihm auch noch helfe, eine Putzfrau einzusparen. Das lässt sich so ein Patriarch natürlich nicht gern sagen. Er kenne sein Budget selbst gut genug, hat er gebrüllt, um zu wissen, was er sich leisten könne und was nicht. Und es sei schließlich nicht zu viel verlangt, wenn ich darauf achtete, dass es einigermaßen sauber sei.

So sind im Laufe der Jahre viele Kleinigkeiten zusammengekommen, die mir immer mehr die Lust an der Arbeit genommen haben, zumal ich ja auch noch einen Haushalt habe und einen Ehemann versorgen muss, der nicht gerade anspruchslos ist. Wenn der Alte nur ein bisschen entgegenkommender wäre! Er spricht kaum ein persönliches Wort mit mir, und Lob von ihm kenne ich überhaupt nicht. Sicher weiß er, was er an mir hat, aber das würde er nie zugeben.

Gestern Nachmittag ist dann etwas passiert, was das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Es kam ein Klient, den ich gleich ins Büro gebracht habe –ich kenne ihn schon ziemlich lange, und er wechselt immer einige nette Worte mit mir –, wo er sich eine ganze Weile aufhielt. Als er sich schließlich in Gegenwart des Alten von mir verabschiedete, sagte er zu ihm – wohl um mir eine Freude zu machen –: »Eine nette und tüchtige Sekretärin haben Sie!«

Mich traf fast der Schlag, als die Antwort kam, zynisch und taktlos, ganz wie es die Art dieses unmöglichen Menschen ist: »Na ja, heutzutage muss man nehmen, was man kriegt; aber die Jüngste ist sie halt auch nicht mehr!«

Der Besucher sah mich verlegen an und beeilte sich, fortzukommen. Ich war natürlich restlos bedient und konnte mich nicht mehr beherrschen. Das ist nun der Dank für jahrelange Schufterei zu einem Lohn, den man kaum als Taschengeld bezeichnen kann. In keiner Gewerkschaft bin ich gewesen, es gab keinen Tag, an dem ich krank war, von meinem Urlaubsverzicht will ich gar nicht erst reden. – Und dann das! Ich habe ihn einfach stehen lassen und bin fortgegangen. - Es war übrigens sowieso kurz vor Feierabend.

Ich bin fest entschlossen, ab morgen nicht mehr zu ihm ins Büro zu gehen, und wenn er mich auf den Knien darum bitten würde. Schließlich habe ich auch meinen Stolz, und den kann mir keiner nehmen. Jahrelang habe ich zu allem geschwiegen, habe Privatleben und Beruf streng getrennt, habe meine Pflichten als Hausfrau und als Sekretärin erfüllt, aber nun ist Schluss!

Soll er doch eine junge Sekretärin einstellen und sehen, was die kostet! Wo er doch so geizig ist. Und dann müsste er ja auch in sein Vorzimmer investieren, weil die jungen Frauen heutzutage nicht mehr auf altmodischen Schreibmaschinen tippen wollen. Mit der eingesparten Putzfrau ist es dann auch vorbei. Auch mich braucht er jedenfalls im Büro nicht mehr zu zählen. Auch wenn ich zufällig noch mit ihm verheiratet bin. – Aber das nur nebenbei.

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