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Illustrationen: Doris Zorn

Der ideale Körper?

Eine Zusammenfassung von Daniela Glenzer mit Illustrationen von Doris Zorn

Welche Frau kennt sie nicht, diese Wunschgedanken: ein Pölsterchen weniger könnte es an dieser Stelle schon sein oder da würde eine kräftigere Wölbung den letzten Schliff geben. Kaum jemand kann sich dieser Gedanken oder Gefühle erwehren.

Ein Streben nach Schönheit hat es schon immer gegeben. Es ist nicht allein die Figur, sondern der Ausdruck des gesamten Körpers und die innere Ausstrahlung sind der Maßstab für Schönheit und Ästhetik. Eine genormte Schönheit gibt es jedoch nicht. Abhängig von der jeweiligen Geisteshaltung der Menschen belegen vielfältige Ausdrucksformen die Vergänglichkeit dieser Werte. In der menschlichen Zeitgeschichte veränderte sich das Schönheitsideal immer wieder, es kann sogar von extremen Wandlungsformen gesprochen werden. Was sich im Laufe der Zeit wiederholte, sind die vielfältigen Bestrebungen der Menschen ihr Ideal zu erreichen, von einfachen pflanzlichen Mitteln bis hin zu operativen Eingriffen.

Die ersten Abbildungen von Körpern, überwiegend weiblichen Geschlechts wurden uns durch die Entdeckungen der Höhlenmalereien und die Figurinen aus Fundstätten in Eurasien aus der jüngeren Altsteinzeit zugänglich. Ihr Körper zeichnete sich aus durch üppige Brüste, breite Hüften, die einen prächtigen Bauch umschlossen. Stämmige Oberschenkel standen im Gegensatz zu zierlichen Armen. Vielleicht wurde Korpulenz angestrebt, da dicke Menschen durch die vermehrten Fettzellen widerstandsfähiger gegen Eiszeiten und Hungersnöte waren.Vielleicht wurden die Rundungen der Frauen aufgrund ihrer Fortpflanzungs- und Nährfunktion verehrt.

In der frühgeschichtlichen Epoche prägten Mythen das angestrebte Ideal. Der menschliche Körper stand im Dienste der Gottheiten. Sumerische Schreiber dokumentierten die Hochzeit der Großpriesterin des Tempels Uruk mit dem König des Stadtstaates Ur als eine Zeremonie, die der Erde Fruchtbarkeit schenken und die Trockenheit und Hungersnot bannen sollte. Die außergewöhnliche Korpulenz der Priesterin symbolisierte die feuchte fruchtbare Erde, die nach Bearbeitung verlangte. Für dieses Fest wurde ihr Körper mit Zedernöl eingerieben, die Haare mit Rosenblättern parfumiert, die Lippen mit Henna gefärbt und ihre Augen und Brauen mit Khol, einer Tusche aus Antimon geschminkt. Der seit Monaten gemästete König reiste mit seinem Gefolge zum Tempel der Priesterin, wo sie beide nach einer rituellen Reinigung die heilige Vereinigung vollzogen. Nachdem ihre Aufgabe erfüllt war, bat die Priesterin den König um viel Sahne und fette Milch, damit die Magerkeit nicht über sie kommen und das Land entvölkern könne.

Ein Sprung in das alte Ägypten zeigt uns die damalige Verehrung des schlanken Körpers, nicht nur bei Gottheiten und Prinzessinnen sondern auch bei Frauen aus dem Volk.Das höchste Streben war ein perfekter Körper beider Geschlechter. Fettpolster, Sommersprossen und unerwünschter Haarwuchs wurden mit diversen Ölen und Balsamen bekämpft. Zur Betonung der Lider benutzten Frauen spezielle Farben, mit Parfum und Geschmeide unterstrichen sie ihre Schönheit. Zusätzlich standen auch Massagen und Hydrotherapie zur Verschönerung auf dem Plan. Abführmittel aus Öl und Honig waren gegen Blähungen und Fettleibigkeit ein beliebtes, fast täglich eingesetztes Mittel.

In den in medizinischen Texten verfassten Schlankheitsempfehlungen wurde Frauen geraten, allzu schnell aufeinanderfolgende Entbindungen zu vermeiden, da der Körper ansonsten zur Fettleibigkeit tendiere. Die Einführung eines mit der Flüssigkeit von Akazienschoten, Kolonquinten, Datteln und Honig getränkten Tampons in die Vagina war eine der Verhütungsmethoden dieser Zeit. Zur Abtreibung wurde empfohlen, Krokodilkot in die Genitalorgane einzuführen. Anhand anatomischer Maßeinheiten wurde in der Kunst ein perfektionistischer Körper berechnet und dadurch das Ideal dieser Zeit vorgegeben.

Die Athenerin im antiken Griechenland bevorzugte einen schlanken großen Wuchs, notfalls verhalfen ihr Einlagen in den Schuhen zu mehr Körpergröße. Sie benutzte Büstenhalter um ihre Brust zu formen. Wachs oder ein Rasiermesser wurden zur Enthaarung eingesetzt. Neben der Ernährung besaß die Hygiene und die körperliche Betätigung einen großen Stellenwert in dieser Kultur. Das Streben nach Schönheit war eng verbunden mit dem Bedürfnis nach Natürlichkeit und Lebendigkeit. Die Ästhetik im antiken Griechenland kennzeichnete sich durch das ausgewogene Verhältnis der Proportionen aus. Als schön wurde bezeichnet, wenn alle Teile des Körpers harmonisch aufeinander abgestimmt waren. Im 5. Jahrhundert vor Christus hat der Bildhauer Polyklet dies schon niedergeschrieben.

Dagegen stellt das Ideal im antiken Rom das völlige Gegenteil dar. Korpulenz bedeutete Glück und Reichtum, galt als Geschenk der Götter des Pantheon. Körperliche Fülle um jeden Preis, denn Abmagern weckte den Verdacht auf Krankheiten oder Armut. Ob arm oder reich, sobald sich die Gelegenheit zum Essen bot, wurde geschlemmt. Bevorzugt wurde ein untersetzter molliger Körper mit ausladenden Hüften und breitem Becken. Thermen trugen zur Schönheit bei. Im Gegensatz zu den griechischen Grundsätzen hatten sie zum Ziel, den Appetit durch das Schwitzen und Trainieren anzuregen.

Im antiken Gallien tranken Frauen zur Schönheitspflege ihrer Brüste Korma, ein Weizenbier mit Honig. Für ihre Körperpflege brauchten sie mehrere Stunden. Sie kannten verschiedene Mittel zur Reinigung des Körpers, zum Beispiel Sapo, eine Masse aus Ziegentalg und Buchenasche, sie hatten Salben zur Verschönerung, Schminkzeug, Parfums, Kämme, Spiegel und Nadeln. Mit Bänder wurde der Oberkörper eingewickelt, um die Taille schlanker wirken zu lassen und die Brust zu betonen. Haarschmuck wurde in die langen offen getragenen Haare oder in Zöpfe eingesteckt. Angestrebt wurde ein aparter, anmutiger und schlanker Körper.

Mit dem Beginn des Christentums begann bei den Anhängern dieser Lehre eine Veränderung des Bewusstseins. Ausschweifungen und Luxus wurden verurteilt. Viele bisherige Werte wurden verdammt, so trat eine Geringschätzung bis hin zu der Ablehnung intensiver Pflege des Körpers ein. Werte wie Sinnlichkeit, Frommheit und Keuschheit bedeuteten viel und die Nächstenliebe war das höchste Ideal. Es entstand ein Schönheitsideal, eine strahlende Ästhetik, unabhängig von der Körperlichkeit des Menschen.

Bei den Reichen im Mittelalter waren Schlemmen und Beten großgeschrieben. Auf Burgen und in Klöstern nutzten die Menschen jede Gelegenheit Festtage zu feiern. Neunzig Prozent der Gesellschaft hingegen lebten in völliger Armut.
Als schöne Frauen galten derzeit jene, die einen schlanken und hochgewachsenen Körper hatten. Kleine runde Brüste faszinierten ebenso wie Anmut, Besinnlichkeit und Eleganz. Auch in dieser Zeit gab es viele Abhandlungen über kosmetische Probleme, es gab allerlei Schönheitsprodukte und Raffinessen um den Körper zu verschönern. Bekannt war damals das große Medizinhandbuch der Autorin Trotula, die in ihrem ersten Band zahlreiche kosmetische Empfehlungen gab. Kleider unterstrichen die Eleganz des Körpers, wenn die Brust gestützt oder eng eingebunden und die Taille optisch verlängert wurde.

Zur Zeit der Renaissance fanden beim Adel als auch bei den Bürgern ausschweifende Gelage statt. Die Menschen waren so dick, dass der Erzbischof von Sens auf die Idee kam, einen Tisch auszubuchten.
Magere Frauen waren »müde Klepper« und es wurde ihnen nachgesagt, dass sie zum Gebären unfähig seien. Die Idealvorstellung weiblicher Reize in dieser Zeit beschrieb der Arzt Jean Liebault 1582 in seinen Werken zur Verschönerung und zum Schmuck des menschlichen Körpers folgendermaßen: Ein pausbäckiges Gesicht mit Doppelkinn, fleischig, dazu kräftige Arme, mit einem ausladenden Oberkörper, wogenden Brüsten und rundlichen Händen und Füßen, seien verführerisch und zeichneten einen schönen weiblichen Körper aus.

In der französischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts zeichnen sich durch eine enorme Leibesfülle positive Attribute wie Erfolg und Intelligenz ab. Um Magerkeit zu verhindern griffen Frauen wie Männer zu zucker- und fetthaltigen Lebensmitteln, Diäten zur Gewichtszunahme und kosmetischen Produkten. Die Menschen scheuten sich trotz Verbote nicht, ihr Ideal durch von Hexen und Zaubermeistern hergestellte Zaubertränke anzustreben. Auch Schwangerschaftsverhütung und Abtreibungen wurden zur Erhaltung eines jugendlichen Körpers angewandt.

Eine Besonderheit dieser Zeit war die häufige Anwendung von Klistieren. Zur guten Verdauung wurden sie regelmäßig und häufig angewandt. Daneben wurde der Leib mit diversen Elixieren und Ölen massiert und die Schenkel, der Rücken und der Bauch geschröpft. Die Armen der Gesellchaft halfen sich mit einem mit »Rosenhonig« versetzten Absud aus Rhabarber, Kassie und levantinischen Senneblättern.

Zu Beginn der französischen Revolution war die Schönheit einem weiteren Wandel unterzogen. Frauen schnürten sich ihren Oberkörper und die Taille wieder in einem Korsett ein. Um eine schlanke Taille zu erreichen setzten mollige Frauen sogar Blutegel ein. Innerhalb kurzer Zeit wandelte sich das Schönheitsideal in den Wirren der Revolution und unter der Hungersnot. Eine volkstümliche gesundheitsorientierte Körperpflege machte Schminke überflüssig. Starke, muskulöse und kämpferische Frauen wirkten verführerisch. Nach der Revolution diktierte Napoleon das vorherrschende Schönheitsideal, das Kleid mit hoher Taille war Vorschrift am Hof.

Mitte des 19.Jahrhunderts waren die meisten Männer korpulent. Sie liebten jedoch blasse melancholische Frauen. Das in männlicher Phantasie entstandene Ideal einer zierlichen Frau zeigte Züge von Schwindsucht und Bleichsucht. Verführerisch waren jene Frauen, die von Stimmungsschwankungen und Ohnmachts- und Schwächeanfällen ereilt wurden.

Während der Zeit der Belle Époque gab es in der Ästhetik extreme Tendenzen. War einerseits ein magerer weiblicher Körper mit üppigem Busen nach dem gängigen Geschmack der Männer das erstrebenswerte Ziel so gab es aber auch Teile der Gesellschaft, die wie Cézanne eine Vorliebe für die Rundungen schwergewichtiger Frauen hatten.
Der schönheitsbewusste Mensch dieser Zeit war einer Flut von Werbung für Schlankheitsmittel und -methoden ausgesetzt. Das vielversprechende Schilddrüsenextrakt Jodhyrin versprach gesundes Abnehmen, Doktor Jawas’ Mexikanischer Tee war ein Klassiker der Pflanzenkur und Urodonal wurde als Wundermittel gegen Übergewicht und diverse Erkrankungen propagiert.
Neben sportlicher Betätigung, Badekuren in den oberen Schichten und Ernährungsbewusstsein gab es für Frauen unterschiedliche Schlankheitsgürtel, die das Erreichen dieses Ideals unterstützen sollten.

Die Entwicklung des Schönheitsideals im Laufe der Jahrtausende war sehr vielfältig. Ästhetische Anschauungen haben sich gewandelt, zum Teil sogar zur selben Zeit an verschiedenen Orten. Nach Gottheiten, Mythen und Religionen haben später auch herausragende Menschen wie Kaiser und Könige, Künstler, aber auch soziale und medizinische Bedingungen und zunehmend die Medien das jeweilige Ideal geprägt. Es bleibt unbestritten, dass es Unterschiede in den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten, zwischen Armen und Reichen gab. Auch die Verbesserung der Lebensbedingungen, der Hygiene und Gesundheit der Menschen veränderten die ästhetischen Werte.
Es erscheint lohnenswert den Blick zurück zu richten um unsere heutige Anschauung zu überdenken.

Daniela Glenzer / Doris Zorn

Quelle:
Michèle Didou-Manent, Tran Ky, Hervé Robert: Dick oder dünn?
Bastei Lübbe Verlag, ISBN 3-404-60484-9,14,90 DM

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