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Der zweigeschlechtliche Männerkörper

Ausschnitte eines Gesprächs mit Ebba D. Drolshagen

Bei meiner Suche nach der modernen Vorstellung von weiblicher Schönheit stieß ich auf ein bemerkenswertes Buch von Ebba Drolshagen mit dem Titel »Des Körpers neue Kleider«.

Die Autorin arbeitet als freie Schriftstellerin und Übersetzerin und lebt in Frankfurt am Main. Vor kurzem habe ich sie in ihrer Wohnung im Stadtteil Sachsenhausen besucht.

Die Fenster ihres Wohnzimmers geben den Blick frei auf die alten Bürgerhäuser ihrer Wohngegend und im Hintergrund, auf der anderen Seite des Mains, kann ich die Bürotürme des Bankenviertels erkennen.

Eigentlich bin ich gekommen, um von Ebba Drolshagen einiges über das weibliche Schönheitsideal unserer Zeit zu erfahren, doch jetzt, während ich vorsichtig den frisch gebrühten Tee trinke, drängt sich erneut die Frage in den Vordergrund, die mich schon bei der Lektüre ihres Buches beschäftigt hatte: »Hat diese jahrelange intensive und kritische Auseinandersetzung mit der Herstellung weiblicher Schönheit Sie persönlich in irgendeiner Weise verändert?«

Sie scheint überrascht, so als ob sie selbst sich diese Frage nie gestellt hätte. Nachdenklich räumt sie dann aber ein, dass es eine Veränderung wohl doch gegeben hätte. Im Verlauf dieser Arbeit habe sich ihr Sehen verändert, sagt sie.

Wir leben heute in einer Welt der Bilder

»Angefangen hat alles mit meiner Suche nach Engel- und Frauendarstellungen auf alten Friedhöfen, die später zu meinem ersten Buch geführt hat,« erzählt sie mir.

»Wir leben ja heute in einer Welt der Bilder, während es noch vor hundert Jahren nur wenige Fotos gab, vor hundertfünfzig Jahren noch gar keine. Da gab es Gemälde, Heiligendarstellungen in Kirchen, die aber niemals den Anspruch erhoben, ein Abbild der Wahrheit zu sein. Heute sind wir ständig mit Menschen oder Fotos von Menschen konfrontiert, die eigens dafür hergerichtet sind, von uns angeschaut zu werden und uns eine Realität vorzugaukeln, die es so nicht gibt. Auch wenn manche Leute behaupten, davon nicht beeinflusst zu werden, bin ich fest überzeugt, dass dies unmöglich ist.«

Frauen sind meist unzufrieden mit sich

»Ich bin sehr dafür, dass wir uns die Werbung genauer anschauen,«sagt sie. »Was reizt mich daran, finde ich sie witzig und warum? Achten Sie einmal darauf, wie zum Beispiel Frauenzeitschriften zu uns Frauen sprechen, wie sie unterschwellig suggerieren, dass wir so, wie wir sind, eigentlich nicht in Ordnung sind. Das kratzt dann unser sowieso schwach ausgeprägtes Selbstbewusstsein an, und dann lesen wir weiter, um uns durch die dort offerierten Schönheitstipps helfen zu lassen. Dort wird suggeriert, dass Wässerchen, Cremes oder Schminke und natürlich die richtige Kleidung uns angeblich erst zu einer richtigen Frau machen. Die Werbung gibt immense Summen aus, um uns zum Kaufen zu animieren. Dabei geht es nicht so sehr darum, ein spezielles Produkt, sondern überhaupt Produkte zu kaufen.«

Wir nähern uns immer mehr dem Ideal des zweigeschlechtlichen Männerkörpers

»Frauen sind meist unzufrieden mit sich, irgendetwas empfinden sie immer als ungenügend und dem kann dann durch bestimmte Produkte abgeholfen werden. Nur weil in unseren Köpfen eine Vorstellung von >perfekter< Schönheit herumspukt, können wir etwas an uns als >Fehler< bezeichnen. Das zeigt, dass wir uns (bewusst oder unbewusst) an einer Norm messen, von der wir in (oder: an!) bestimmten Punkten abweichen.

Selbst der Körper ist von diesem Trend nicht ausgenommen. Schon vor Jahren habe ich gesagt, dass sich das gesellschaftliche Ideal immer mehr dem Ideal des zweigeschlechtlichen Männerkörpers annähert. Brüste gelten zwar immer noch als Symbol für Verführung, Weiblichkeit usw., aber trotzdem soll der Frauenkörper eher knabenhaft, also männlich sein. Das entspricht dem Schönheitsideal von heute.«

Man will ja nicht zickig sein

»Wir leben in einer Männergesellschaft. Deshalb sind Dinge wie Menstruation, Schwangerschaft, Gebären und Stillen für Frauen zu Nebenangelegenheiten geworden. Sie sollen im Berufsleben möglichst unbemerkt vonstatten gehen, man will ja nicht zickig sein. Auch die Kleidung von Frauen ist über Jahrzehnte immer männlicher geworden, besonders im Berufsleben, wo bevorzugt Hosenanzüge getragen werden.

Ein weiterer Anspruch an den Frauenkörper ist, dass er immer und zu jeder Zeit »natürlich« aussehen soll. Ich frage mich, warum alle nur so in diese Natürlichkeit vernarrt sind. Dabei wird selbstverständlich strikt unterschieden zwischen >natürlich< und >naturbelassen<. Naturbelassen wird praktisch mit »ungepflegt« gleichgesetzt.

Unter >natürlich< wird allerdings etwas ganz anderes verstanden. Es beschreibt die Kunst, all die Zeit, Mühe und den finanziellen Aufwand völlig unsichtbar werden zu lassen. Jede Frau weiß, dass der Anschein von Absichtslosigkeit die vermutlich schwierigste und arbeitsaufwendigste Art ist sich zu kleiden, so wie auch der Anschein eines völlig ungeschminkten Gesichts die schwierigste und arbeitsaufwendigste Art des Make-ups ist.

Der Anschein von Natürlichkeit ist alltagstauglich, aber nicht ,sexy’ – viele Männer scheinen immer noch von sowas wie einer fleischgewordenen Barbie zu träumen, an der wirklich alles künstlich ist; von den platinblonden Haaren, über die kindliche Piepsstimme, den silikongestützten Busen bis zu den fettabgesaugten Beinen ist nichts mehr unbearbeitet.«

Schnippeln und spritzen

»Ach ja, damit sind wir bei den Schönheitsoperationen, die sind richtig in Mode gekommen. Wussten Sie, dass Fettabsaugen heute die häufigste Operation nach Lifting und Nasenkorrekturen ist? Seien es die zu dicken Oberschenkel, der zu kleine oder zu große Busen, das Doppelkinn oder die Tränensäcke, für jeden ,Defekt’gibt es die passende Operation. Man kann es machen, warum also soll man es nicht machen? Nur merken dürfen andere von all dem natürlich nichts. Alle sollen das gute Aussehen bewundern, aber niemand soll ahnen, wie es zustande gekommen ist. Es soll ja ganz natürlich aussehen.«

Wahre Schönheit kommt von innen

»Seit Jahren halte ich Vorträge zum Thema ,Frauenkörper und Schönheitsideal in unserer Zeit’ – ich versuche zu zeigen, wie kompliziert das Verhältnis von Medien, Zeitgeist, heutiger Frauenrolle, psychischen Faktoren und manchem anderen ist. Und dann höre ich bei den anschließenden Diskussionen unweigerlich, Äußerlichkeiten seien doch nicht so wichtig, wahre Schönheit komme doch sowieso von innen. Eine Frau solle ihren Körper so annehmen, wie er ist. Ja, vielleicht stimmt das, vielleicht sollte ja wirklich jede Frau dazu stehen, wie sie ist. Aber ich wehre mich nicht seit den siebziger Jahren entschieden und (immer noch) wütend gegen jede Bevormundung von Frauen, um sie jetzt selbst darin zu bevormunden. Was ist, wenn eine Frau ihre Oberschenkel zu dick und ihren Busen zu flach findet? Wenn sie deswegen unglücklich ist? Welche Schönheitsmittel und –korrekturen eine Frau für sich wählt, sollte einzig und allein sie selbst entscheiden.

Die Grenzen sind bei jeder Frau jederzeit fließend und sie verändern sich auch mit den Jahren.«

Christa Bertz

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