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17 gnadenlose Tage Olympia

Es ist vorbei. – Endlich kann ich wieder meinem Tagwerk nachgehen, ohne etwas zu verpassen. Der erste Griff am Morgen gilt wieder der Kaffeekanne, nicht der Fernbedienung. Und natürlich ist eine Seite zu wenig für eine Olympia-Nachlese. Trotzdem ...

Kanutin Birgit Fischer holte sich zwei Goldmedaillen und ist damit mit 7 x Gold und 3 x Silber die erfolgreichste deutsche OlympionikIn aller Zeiten. Fischer (38), alleinerziehende Mutter zweier Kinder, sieht den momentanen Trubel jedoch nüchtern: »Ich weiß doch, am Ende des Jahres werden sich die Leute wieder überlegen: »Was ist Kanu? Wer ist Birgit Fischer?« ... Wir sind gut genug, die Statistik der deutschen Olympia- Mannschaft aufzubessern, und das war‘s.« Sie muß es wissen; sie war zum fünften Mal bei Olympischen Spielen dabei. Ihre internationale Karriere hat sie in Sydney beendet. Sie will weiter als Stützpunkttrainerin in Berlin arbeiten.

Nach mehreren Jahren voller Verletzungen und Enttäuschungen sprang Heike Drechsler (35) zu ihrem zweiten Olympiasieg. Drechsler ist seit 1983 international erfolgreich. Mit ihrem ersten Platz machte sie der US-Amerikanerin Marion Jones (25) einen Strich durch die Rechnung, die unbedingt 5 Goldmedaillen nach Hause hatte tragen wollen: Jones gewann zwar die 100 m und 200 m, landete im Weitsprung aber aufgrund ihrer miserablen Technik, die den meisten von uns im Sportunterricht mit Ach und Krach eine Vier minus eingebracht hätte, auf Platz 3. Danach gewann sie mit der 4 x 400 m-Staffel und wurde mit der 4 x 100 m-Staffel Dritte. Zufrieden war sie damit nicht.

Bei den Beachvolleyballerinnen gibt es strenge Kleidungsvorschriften. Das Höschen darf bei den Frauen an der Außenseite des Oberschenkels nicht breiter als 3,5 cm sein, anderenfalls droht die Disqualifikation. Das gilt natürlich nicht nur für Olympia, sondern für alle offiziellen Wettbewerbe. Der Sport müsse attraktiv sein für die Zuschauer, nur so könne man ausreichend Sponsoren anlocken, begründet der Weltverband die »Maß»-Nahme. An die Zuschauerinnen denkt dabei niemand, denn die Männer durften ungestört in Bottichhosen bis zum Knie spielen. Mal davon abgesehen, dass frau sich am Strand von St. Peter-Ording in den knappen Höschen die Nieren verkühlt, macht mich eine solch unverschämte Vorschrift einfach fassungslos. (Auch den Volleyballerinnen wird jetzt vorgeschrieben, körperbetonte Trikots zu tragen, um die Attraktivität ihrer Sportart zu erhöhen.)

Das andere Extrem: Manijeh Kazemi nahm als einziges weibliches Mitglied der iranischen Mannschaft am Pistolenschießen teil – mit Kopftuch und langem Mantel.

Botswana, Kuweit und Saudi-Arabien hatten keine Frauen am Start. Afghanistan war wegen der Extreme, die die Diskrimierung von Frauen in diesem Land angenommen hat, von den Spielen ausgeschlossen.

Erstmals olympisch war Taekwondo (beide Geschlechter), der Moderne Fünfkampf der Frauen (Reiten, Laufen, Schießen, Schwimmen und Fechten) und das Gewichtheben der Frauen. 85 Teilnehmerinnen gingen in 7 Gewichtsklassen an den Start und erwiesen sich dem Männergewichtheben auch gleich in Sachen Doping als ebenbürtig.

Überhaupt ging es bei den ach so fröhlichen Spielen von Sydney ziemlich häufig um Doping. Der Ehemann von Marion Jones durfte nicht starten, weil er im Vorfeld gleich viermal positiv getestet worden war. Fast 30 gemeldete chinesische SportlerInnen wurden von ihrem NOK wegen Einnahme illegaler Substanzen bereits vorher zurückgepfiffen. Für Juan Antonio Samaranch, den senilen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), war dies ein Beweis dafür, wie ernst China die Dopingbekämpfung nimmt. Für den Rest der Welt war es ein Beweis, dass in China systematisch gedopt wird.

Mitleid hatte ich mit der Turnerin Andrea Raducanu (17) aus Rumänien, deren Mannschaftsarzt ihr ein ephedrinhaltiges Erkältungsmittel verabreichte, was zur Aberkennung ihrer Vierkampf-Medaille (Pferdsprung, Stufenbarren, Boden und Schwebebalken) führte. Der Mann hätte es wirklich besser wissen müssen. Beim Schwimmen gab es diesmal keinen Dopingfall, aber die Weltrekorde purzelten nur so. Da einige Schwimmerinnen ihre Bestzeiten im Vergleich zum Vorjahr um mehrere Sekunden gesteigert haben, drängt sich mir allerdings die Frage auf, wie nah sie an der Apotheke wohnen. Auch beim Anblick einiger Sprinterinnen habe ich mich gefragt, ob das wirklich alles mit hartem Training und Vitaminpräparaten zu erreichen ist.

Solange jedoch nicht in allen Ländern unangemeldete Trainingskontrollen bei den SportlerInnen durchgeführt werden dürfen, wird das olympische Motto »Dabeisein ist alles« fröhlich durch die Devise ersetzt: »Wenn du dabei sein willst, darfst du dich nicht erwischen lassen.«

Andrea C. Busch

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