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Mich interessiert das Menschliche

Interview mit einer Kriminalhauptkommissarin

Dorothea Jung, Jahrgang 1960, ist seit 1979 bei der Polizei. 1989-91 hat sie ein Studium an der Verwaltungsfachhochschule, FB Polizei absolviert. Sie hat einen 17jährigen Sohn aus erster Ehe, ist wieder verheiratet und hat eine kleine Tochter. Zur Zeit ist sie in der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Polizeipräsidiums Wiesbaden tätig.

Stand es für Sie schon früh fest, dass Sie zur Polizei gehen würden?

Ich war nach dem Abi nicht besonders berufsorientiert, wußte nicht, wofür ich geeignet war. Besondere Talente konnte ich an mir auch nicht entdecken, wollte aber unbedingt etwas mit Menschen zu tun haben. Ich habe die Aufnahmeprüfung bei der Polizei gemacht, und sogar ein paar Wochen katholische Theologie studiert. Als ich die Zusage von der Polizei bekam, habe ich zugegriffen.

Hatten Sie romantische Vorstellungen von dem Beruf? So eine Art Ritterin für die Gerechtigkeit?

Nein. Ich habe mir den Beruf aber schon aufregend vorgestellt, abwechslungsreich und interessant. Außerdem wollte ich finanziell unabhängig sein.

Waren Sie nach der Ausbildung dann mit Uniform im Streifenwagen unterwegs?

Nein, Polizistinnen in Uniform gab es damals noch gar nicht. Das fing erst Anfang der 80er an. Zu meiner Zeit konnte man nach dem Abitur oder nach einer abgeschlossenen Lehre in den mittleren Dienst einsteigen. Heute fangen alle in Uniform an, als PolizeikommissaranwärterInnen, und absolvieren ein Fachhochschulstudium. Nach meiner Ausbildung habe ich in verschiedenen Sparten gearbeitet: Kfz-Diebstahl, Betrug, Rauschgift, Kriminaldauerdienst. Im Verlauf der ersten Berufsjahre habe ich stark gespürt, dass viele Beschuldigte auch kranke und sozial vernachlässigte Menschen sind. Dass zum Beispiel die, an die ich menschlich herankam, die mir vielleicht auch ihre Lebensbeichte abgelegt hatten, oft hart verurteilt wurden, die Dealer dagegen gute Anwälte hatten und glimpflich davonkamen.

Sie haben auch mal in Darmstadt gearbeitet?

Ja, nach meiner Zeit an der Fachhochschule. Ein halbes Jahr bei der Sitte, ein halbes Jahr im Bereich Wirtschaftskriminalität. Mir hat es in Darmstadt sehr gefallen. Die Stadt ist schön, und das Arbeitsklima war gut. Ich bin dort sehr positiv aufgenommen worden.
Die Arbeit bei der Sitte liegt mir. Da geht es häufig um komplizierte Sachverhalte, die tief ins persönliche, psychologische gehen. Da sind die Beziehungen manchmal so alt und so verwoben, dass die Täter/Opfer-Frage völlig verschwimmt. In dem Bereich arbeiten wir auch viel mit Hilfsinstitutionen zusammen, das finde ich wichtig.

Sie hatten auch mit Tötungsdelikten zu tun. Die meisten Menschen tun sich schwer, mit dem Tod umzugehen. Wie war das für Sie?

Ich habe das erst bei der Arbeit gelernt. Das war nicht einfach. Ich mußte mich mit dem Tod und meinem eigenen Sterben auseinandersetzen, und mit dem körperlichem Verfall. Man wird ja ständig drauf hingewiesen. Du kannst es abwehren und mit Roheit reagieren, oder dich bewußt damit auseinander setzen. Ich kann solche Dinge schlecht abwehren, ich bearbeite sie lieber. Dadurch habe ich ein Verhältnis zum eigenen Tod und natürlich auch zum Leben entwickelt. Mein Mitgefühl habe ich mir dabei zum Glück erhalten können. Mitgefühl ja, Mitleid nein.

Was ist für Sie der Unterschied?

Wenn du Mitleid hast, verlierst du die professionelle Distanz. Außerdem nimmst du die Dinge mit nach Hause, trägst sie in dein Privatleben hinein, leidest selbst darunter. So kannst du aber nicht arbeiten. Mit Mitgefühl kannst du signalisieren, daß du die Menschen annimmst, aber doch in deiner Funktion als Ermittlerin die Grenzen ihres Schmerzes überschreiten mußt.

Haben Sie diese Arbeit gern gemacht?

Ja. Ich habe zum Beispiel festgestellt, daß ich bei Leichensachen den Angehörigen die Situation etwas leichter machen konnte. Außerdem kannst du in solchen Fällen zeigen, was du gelernt hast, kannst alle Mittel ausschöpfen. Wenn Untersuchungen gemacht werden müssen, Waldstücke zu durchkämmen sind, dann stehen dir auch alle Möglichkeiten zur Verfügung. Hinzu kommt wieder der menschliche Aspekt, die Hintergründe einer Tat. Das liegt mir mehr als die reine Fahndungsarbeit beim Raub.

Gehen Männer und Frauen unterschiedlich mit solchen Situationen um?

Ich glaube, das ist eher eine Persönlichkeitsfrage. Da ich damals aber die einzige Frau war, habe ich wenig Vergleichsmöglichkeiten. Beim Kriminaldauerdienst sind wir ja auch allein vor Ort gewesen, da könnte ich nicht sagen, wie andere damit umgegangen sind. In internen Besprechungen wurde der Ton häufig etwas roher, zur Abwehr. Da wird schon mal an der falschen Stelle gelacht.

Im Durchschnitt hat die Polizei einen Frauenanteil von 11 Prozent, davon über 90 Prozent im Streifendienst. Wie leicht oder schwer ist es für Frauen bei der Polizei?

Früher gab es die Weibliche Kriminalpolizei, das waren Frauen, die mit einer psychologischen oder pädagogischen Ausbildung zur Polizei kamen und dort im Bereich Kinder, Jugend, Sitte eingesetzt wurden. Die wurden aber von den Männern nicht als Konkurrenz empfunden; die Arbeitsbereiche waren ja getrennt. Als die Schutzpolizei in den 80er Jahren für Frauen geöffnet wurde, gab es von der Tradition her schon Schwierigkeiten mit dem Frauenbild. Da gab es nicht nur offene Arme; schließlich war es in erster Linie eine politische Entscheidung, weil es in einer Zeit wirtschaftlichen Aufstiegs Nachwuchssorgen gab.
Am Anfang sind ja alle in der Bereitschaftspolizei und kaserniert; erst nachher wird auf die Dienststellen (Kripo oder Revier) verteilt. Es kam früher schon vor, dass Frauen eher in den Einzeldienst entlassen wurden. Daraus leitete sich dann das Vorurteil ab, dass Frauen schneller befördert werden.
Die Ungleichbehandlung in dem Bereich ist abgeschafft, und das Klima ist besser geworden. Die Diskussionen über die Eignung (Frauen haben nicht genug Kraft, die werden schwanger und gehen dann sowieso in den Innendienst) gibt es aber nach wie vor.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Eine allgemeingültige Aussage darüber kann niemand machen. Das ist verschieden, je nach Persönlichkeit und Grundstimmung. Meiner Erfahrung nach kommen Polizisten am besten mit Kolleginnen zurecht, die kumpelhaft sind und ihre Weiblichkeit verstecken. Nicht alle Frauen sehen das so wie ich. Viele nehmen die Haltung ein: »Eine Frau, die was auf sich hält, hat solche Probleme nicht.«
Ich freue mich, wenn Frauen sich stark fühlen, aber ich höre natürlich auch die Männer reden. Wenn eine Frau versagt, wird das schon in erster Linie aufs Frausein zurückgeführt.

Sie haben schon viele Sparten Ihres Berufes kennengelernt. In welchem Bereich möchten Sie nicht mehr arbeiten?

Im Raub. Das ist reine Fahndungs- und Ermittlungsarbeit, bei der das Motiv auf der Hand liegt. Menschlich ist das nicht so interessant.

Und wo sollte es beruflich hingehen, wenn Sie es sich aussuchen könnten?

Zur Zeit vertrete ich das Polizeipräsidium in einem Arbeitskreis zum Thema »Häusliche Gewalt«. Das ist schon ein guter Anfang. In diese Richtung würde ich gern weiterarbeiten. Prävention finde ich ganz besonders wichtig, auch die Zusammenarbeit mit Hilfsinstitutionen und Beratungsstellen. Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass Opfern geholfen wird, und ich möchte verhindern, dass Täter wieder Straftaten begehen.

Könnten Sie sich auch einen anderen Beruf vorstellen?

Wenn, dann müßte der Schwerpunkt auch im Bereich Beratung liegen. Ich bin mit meinem Beruf zufrieden. Da gibt es genug interessante Arbeitsbereiche.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Andrea C. Busch

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