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Literaturhinweise:

  • Sie gingen voran: Vier bedeutende Darmstädter Frauen des 19. Jahrhunderts, hrsg. Von Margarete Dierks. Darmstadt (Verl. Schlapp) 1990.
  • »Gebildet, ohne gelehrt zu sein«: Essays, Berichte und Briefe von Luise Büchner zur Geschichte ihrer Zeit, ausgewählt und vorgestellt von Margarete Dierks. Darmstadt (Liebig Verl.) 1991.
  • Louise Dittmar (1807-1884): Un-erhörte Zeitzeugnisse, ausgew. und vorgestellt von Gabriele Käfer-Dittmar. Darmstadt (Liebig Verl.) 1996
  • »denn sie ist ganz natürlich«: Louise von Gall aus Biographie, Briefen und Werken, hrsg. V. Mrgarete Dierks. Darmstadt (Liebig Verl.) 1996.
  • Gabriele Käfer-Dittmar: Luise von Ploennies 1803-1872: Annäherung an eine vergessene Dichterin. Darmstadt (Verl. Schlapp) 1999.

Schreibende Frauen in Darmstadt im 19. Jahrhundert:

Die vier »L(o)uisen«

Infolge der Herausbildung eines bürgerlichen Lesepublikums und des wachsenden Bedarfs nach Lektüre Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts griffen neben männlichen Autoren immer mehr Frauen zur Feder. Vor allem die Redaktionen vieler neuerstandener literarischer Zeitschriften waren an Beiträgen von Frauen interessiert, wohl wissend, dass viele ihrer Leserinnen Beiträge von Autorinnen gern lasen. Trotz männlichen Spotts und abschätziger Beurteilungen weiblichen Schreibens von Seiten vieler Männer wird der Beruf der Schriftstellerin in der Zeit des Vormärz allmählich von Buchverlagen und vom lesenden Publikum akzeptiert. Die Schriftstellerinnen dieser Epoche kennen bereits die Mechanismen des Buchmarktes, sie treten selbstbewusst für eine angemessene Bezahlung bei den Verlegern auf und beharren auf Selbständigkeit und materielle Unabhängigkeit.

In Darmstadt ist dieser Typus im 19. Jahrhundert durch vier Schriftstellerinnen vertreten. Kurioserweise haben alle vier den gleichen Vornamen L(o)uise, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein bevorzugter Taufname war.

Die älteste der Luisen ist Luise von Plönnies, geborene Leisler (1803 – 1872): Sie ist in Hanau geboren und in Darmstadt bei den Großeltern Wedekind aufgewachsen. Verheiratet mit dem Darmstädter Arzt von Ploennies und früh verwitwet, war sie in ihrer Zeit eine bekannte Dichterin.

Erfolgreich als Schriftstellerin war auch die Freundin von Luise von Ploennies, Louise von Gall (1815 – 1855), die 1843 in Darmstadt Levin Schücking heiratete. Sie hat bereits vor ihrer Heirat zahlreiche Erzählungen und Berichte in der »Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode« und im »Morgenblatt für gebildete Leser« veröffentlicht. Selbsbewusst und gewandt bot die junge Autorin 1842 ihre Erzählung der Redaktion des Morgenblattes an: »Ich nehme mir die Freiheit, der verehrlichen Redaction des Morgenblattes beiliegende kleine Skizze zur gefälligen Aufnahme zu überschicken, und bitte um baldige Antwort und Zurücksendung derselben im Falle sie sich für dieses Blatt nicht eignen sollte«. Die Skizze »Der Neuling« erschien im Sommer 1842 und Louise von Gall avancierte zu einer gern gelesenen Autorin der Zeitung. Ihre noch heute lesenswerten Artikel und Berichte über das Darmstädter Theater oder über eine Ungarn-Reise im Jahre 1841 sind von leichter Hand geschrieben, voll von Witz und Esprit. Dass sie ihre schriftstellerische Tätigkeit nicht als Zeitvertreib, sondern als Beruf berachtete, zeigt ein Brief an den Redakteur des Morgenblattes: »Sie haben gewiß gedacht, mein verehrter Herr, ich habe mit dem Myrthenkranz und mit dem Brautschleier auch die Feder abgelegt und sich vielleicht gefreut, dass es einen Blaustrumpf weniger auf deutschem Boden giebt«. Das Gegenteil sei der Fall, sie beabsichtigte auch nach ihrer Heirat eine »doppelt eifrige Mitarbeiterin« ihres Blattes zu bleiben.

Louise von Gall war trotz vieler Krankheiten, Schwangerschaften (sie hatte fünf Kinder zur Welt gebracht) und finanzieller Schwierigkeiten eine produktive Schriftstellerin: Neben zahlreichen Zeitungsartikeln verfasste sie Romane, Theaterstücke und viele Novellen, deren Heldinnen selbstbewusste Frauen sind. Sie starb bereits mit 40 Jahren in Westfalen, so die Familie Schücking seit 1845 lebte.

Selbstironie und Spott ist auch den Schriften der Louise Dittmar (1807-1844) nicht fremd:
»Glück auf! Wo Darmstadt überwiegt/Die Freiheit im Kanzleistyl/Wo jede Meinung sich verkriecht/Die nicht im Polizeistyl« (»Die Männer von Darmstadt« aus dem Gedichtband »Brutus Michel«, 1848). Die Lebensdaten dieser Dichterin und Philosophin lagen noch vor 22 Jahren völlig im Dunkeln. In dem Reclam-Bändchen »Frauenemanzipation im deutschen Vormärz« mit mehreren Dittmar-Texten schrieb 1978 die Herausgeberin Renate Möhrmann über Louise Dittmar: »Zu dieser Autorin, von der wir einige der kritischsten frauenemanzipatorischen Schriften besitzen, war ... kein biographisches Material zu ermitteln.« Sie vermutete, dass Louise Dittmar im Raum Mannheim gelebt und gewirkt hat. Erst die Nachforschungen der Germanistin Ruth-Ellen Boetcher Joeres und der Soziologin Christina Klausmann in den 80er Jahren brachten mehr Kenntnisse über das Leben dieser Darmstädterin. Schließlich gab eine Nachfahrin der Dittmar, die Journalistin und Schriftstellerin Gabriele Käfer-Dittmar, eine zusammenfassende Darstellung über das Leben und Wirken dieser außergewöhnlichen Darmstädter Schriftstellerin.

Auch wenn Louise Dittmar gelegentlich Gedichte und Erzählungen schrieb, der Schwerpunkt ihres literarischen Schaffens lag im Verfassen von philosophischen Schriften ur Religion und zu Fragen der Frauenemanzipation. Leidenschaftlich und mit hoher Kompetenz zu politischen und philosophischen Fragen ging sie in ihren Schriften den Problemen an die Wurzel, um die Ursachen der politischen Missstände aufzudecken. In ihrer viel beachteten Schrift »Das Wesen der Ehe« entwarf Louise Dittmar die Utopie einer politisch und ökonomisch gleichberechtigten Partnerschaft zwischen Frau und Mann, die heute noch wegweisend ist. Diese hochbegabte, engagierte Schriftstellerin verstummte 1850 nach dem Sieg der Reaktion völlig. Sie lebte bis zu ihrem Tod in Darmstadt in völliger Zurückgezogenheit.

Die jüngste der vier schriftstellerisch tätigen »L(o)uisen« in Darmstadt war Luise Büchner (1821-1877), Mitglied einer Familie, in welcher der Umgang mit der Feder zur alltäglichen Beschäftigung gehörte. Obwohl Luise Büchner eine vielseitige Schriftstellerin war – sie verfasste Erzählungen, Märchen, Gedichte und zahlreiche Essays – wird sie heute vor allem als Vertreterin der frühen Frauenbewegung gewürdigt, die sich vor allem für die berufliche Ausbildung der Mädchen und unverheirateten Frauen einsetzte. Ihr erfolgreichstes Buch »Die Frauen und ihr Beruf«, das mehrere Auflagen nach seinem Erscheinungsjahr 1855 erreichte, machte sie zur Expertin über Frauenbildungsfragen im In- und Ausland. Auch ihre Berichte über die Frauenkongresse in Darmstadt (1872) oder in Frankfurt (1876) sind wichtige Dokumente zur Geschichte der Frauenbewegung.

Die vier Darmstädter »L(o)uisen« hatten gänzlich unterschiedlich gewirkt. Zwei von ihnen (L. v. Plönnies und L. v. Gall) schrieben keine theoretischen Schriften zu Fragen der Frauenemanzipation. Sie haben trotzdem zum Wandel in der Beziehung der Geschlechter durch ihr Leben und schriftstellerische Tätigkeit beigetragen. Die beiden anderen »L(o)uisen« (Dittmar und Büchner) – mit philosophisch-revolutionären Schriften die eine, vorsichtigen sozialreformerischen Ideen und praktischer Tätigkeit die andere – gehören zu der Gruppe von Frauen, die den Emanzipationsprozeß der Frauen angestoßen und für weitere Diskussionen wichtiges Material geliefert haben.

In Darmstat gibt es keine Strassen oder Schulen, die nach den vier Schriftstellerinnen benannt sind. Auch in lokalgeschichtlichen Darstellungen werden sie nur kurz, wenn überhaupt, erwähnt. Dan der Forschungsarbeit von Darmstädterinnen liegen seit einigen Jahren Biographien mit ausgewählten Schriften der einzelnen Autorinnen vor. Es lohnt sich, diese Bücher zu lesen und die vier Darmstädter » L(o)uisen« näher kennenzulernen.

Agnes Schmidt, Projektgruppe »Geschichte Darmstädter Frauen«

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