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MATHILDE

Christine Löbbert

Filme aus dem eigenen Leben

Christine Löbbert ist nicht nur für das StadtKino in Darmstadt zuständig, sie ist selber auch Filmproduzentin und berichtet über ihren Werdegang und ihre Erfahrungen in einer von Männern dominierten Berufssparte.

Fotografin und Filmproduzentin

Das Kommunale Kino ist ein kleiner Teil meiner Arbeit, aber es ist eine Arbeit, die mich in der jetzigen Form nicht wirklich fordert. Es könnte eine Herausforderung werden. Aber dazu bedarf es einfach mehr Mittel.

Ich habe zwei Ausbildungen, zuerst eine als Fotografin: Ich habe sehr viele Fotos gemacht und habe dann gemerkt, meine Bilder sollen sich bewegen. Da habe ich mich bei der Filmschule in Berlin beworben, an der Deutschen Film- und Fernsehakademie und bin nach zwei oder drei Anläufen auch genommen worden und habe dort vier Jahre studiert. Das war zu der Zeit die Elitefilmausbildung in unserem Land. Sie hat heute immer noch sehr hohes Ansehen, auch weltweit.

Damals ging es darum, politisch wichtige Filme zu machen, weniger um einen tollen Karriereweg. Das sage ich, weil ich ein Kind dieser Zeit bin und da auch gar nicht so richtig rauskann. Meine Geschichten sind aus diesen Gründen Dokumentarfilme, nicht Spielfilme, Filme von Frauen aus weiblicher Sichtweise, die ich ja entwickelt habe. Aber ich bin immer noch auf der Suche nach der Antwort, was männliche und was weibliche Sichtweise ist.

Nach dem Studium habe ich in der Filmwirtschaft gearbeitet. Und auf Grund meiner Fotografinnenausbildung ist die Kamera mein Hauptthema. Doch wir haben in der Ausbildung noch gelernt, alles zu tun, zu schreiben, zu produzieren und auch in die Kinos zu bringen. Früher ist das oft so abgelaufen, daß wir kleine Filme gemacht haben, meistens Kurzfilme, irgendwelche dokumentarischen Sachen, irgendwelche politisch brisanten Geschichten, die uns wichtig erschienen. Wir haben alles gemacht, gedreht, geschnitten, kopieren lassen, und dann sind wir mit unserm Film unterm Arm in die Kinos gegangen und haben gesagt: »Ihr zeigt das jetzt hier als Vorfilm.« Wir haben dabei keine bürokratischen Schritte unternommen oder irgendwelche Vereinbarungen getroffen. Uns war wichtig, dass unsere kleinen Filme, ähnlich wie die Wochenschauen in die Kinos kamen, dass die Leute das sehen, und da sind wir hintenherum in die Vorführerräumchen gegangen und haben den Vorführern gesagt: »Ihr zeigt das jetzt, los, mach, kriegst auch ein Päckchen Zigaretten dafür.« Und das haben die Vorführer dann auch gemacht bis einer von der Kinoleitung kam und uns herausgeworfen hat. Aber wir hatten das erreicht, was wir wollten: unsere Filme mit unseren Themen waren in der Öffentlichkeit gezeigt worden.

...aus dem eigenen Leben

Nachdem ich später dann in der Filmwirtschaft gearbeitet und damit meinen Lebensunterhalt verdient hatte, wurde mir klar, dass ich eigene Sachen machen will. Und als ich dann auch eine Familie gegründet und Kinder bekommen hatte, sah die Welt nochmal ganz anders aus. Doch meine Erfahrung in der Filmwirtschaft reichte aus, dass ich wusste, so will ich es nicht machen. Ich möchte, dass meine Arbeit ein Teil meines Lebens ist und dass die Filmprojekte aus dem kommen, was ich lebe. Als Bildermacher ist man ja doch sehr voyeuristisch, ich gehe da irgendwohin, schau mir etwas an, mache Fotos oder Filme, halte mein Mikrofon hin, interview die Leute und dann gehe ich wieder weg. So bin ich letztendlich eine Voyeuristin auf höchster kultureller Ebene. Das ist auf die Dauer sehr unbefriedigend. Ich möchte Projekte machen, in denen der Film als Technik eingesetzt wird und diese Projekte sollen etwas mit mir zu tun haben, ich will dadrin leben oder sein oder arbeiten, mindestens so lange, bis ich entsprechende Einblicke habe.

»Guru Nanaks Children«

Der Film über die Sikhs, an dem ich derzeit arbeite, wird »Guru Nanaks children« heißen, also Englisch, weil er in Englisch gedreht wird. Das hat sich so ergeben, da ich schon als Kind mit Sikhs in Berührung kam. Wir hatten zweimal im Jahr Besuch von indischen Familien. Einer der Sikhs erzählte mir als Kind eine Geschichte von Guru Gobensingh. Es war eine abenteuerliche Geschichte: In Erinnerung ist mir geblieben, dass dieser Guru Gobensingh sein Volk geeint hat und gesagt hat, Männer und Frauen sind vor Gott gleich. »Ihr Männer sollt eure Frauen respektieren und auf sie hören und auf das, was sie sagen, und ihr Frauen sollt die Männer respektieren.« Die Männer bekamen den Beinamen Singh – Löwe, ihr sollt so stark sein wie die Löwen. Die Frauen bekamen den Beinamen Kaur, was so viel heißt wie Fürst. Er verlieh den Frauen männliche Ehren. Er sagte nicht Prinzessin, Fürstin oder so etwas, sondern er gab ihnen den Beinamen Fürst. Und er sagte: »Ihr Männer respektiert eure Frauen, wie ihr einen Fürsten respektiert!« Das blieb mir ganz stark in Erinnerung. Doch obwohl der Guru sagt, dass Frauen und Männer gleich sind, ist es nicht ganz so einfach im Alltag. Es sind sehr, sehr viele Männer zu sehen und zu hören in diesem Film, aber ich bin alleine ohne Team dort hingefahren und habe mit digitalem Video alles alleine aufgenommen. Das war ein sehr großer Vorteil. Ich habe Zugang gehabt zu Menschen, zu Gruppen, zu Sachen, zu denen ich keinen Zugang gehabt hätte mit einem Team. Ich habe mich natürlich angepasst. Ich habe dort immer einen Turban getragen, weil jeder und jede sich die Haare bedeckt. Ich habe Dinge filmen können, die noch nie gefilmt wurden, es ist ein ethnografisch sehr interessantes Material. Ich habe jetzt 42 Stunden zusammen und noch nicht zu Ende gedreht und bei weitem noch nicht geschnitten. Bis es in einem Kino gezeigt oder im Fernsehen abgespielt werden kann, ist noch ein langer Weg. Aber das ist aus mein Leben entstanden, ich habe nichts gemacht, weil es sich gut verkaufen lässt. Ich möchte, dass etwas aus meinem Leben entsteht.

»Wächter«

Einen anderen Film habe ich vor ein paar Jahren über Gabriele von Lützau gemacht. Sie ist Bildhauerin und lebt im Odenwald. Das hat sich aus einer Freundschaft ergeben. Ich kannte sie seit fünfzehn Jahren. Ich kannte sie und ihre Familie, ich wusste, dass sie Bildhauerin ist, aber ich wusste nicht warum. Als sich die Entführung der Landshutmaschine in Mogadischu zum zwanzigsten Mal jährte, erfuhr ich von ihr, dass sie damals Stewardess in dieser entführten Maschine war. Sie wurde überall interviewt und war bekannt als »Engel von Mogadischu«. So wurde sie nach zwanzig Jahren wieder konfrontiert mit dieser alten Geschichte. Sie war zehn Tage Mitgeisel der Palästinenser gewesen und hat durch diese Erfahrung ein Trauma davongetragen. Sie hat zwar das Bundesverdienstkreuz bekommen, aber keinerlei psychologische Hilfe, die es heute in solchen Fällen wohl gibt. Sie stand alleine da, sie konnte nicht mehr fliegen, sie wollte damals auch nicht mehr fliegen. Sie hat versucht das zu verarbeiten. Dadurch ist sie Bildhauerin geworden. Sie hat eine Kettensäge in die Hand genommen und hat Baumstämme bearbeitet. Sie baut Wächterfiguren und stellt sie um ihr Haus. Irgendwann ist sie in die Öffentlichkeit gegangen und zeigt diese Wächterfiguren. Ja, und nun nach zwanzig Jahren ist sie wieder konfrontiert worden mit sich und mit ihrer Geschichte als Opfer, auf das sie reduziert wird, dagegen wehrt sie sich. Diese Sensationslust, Opfer zu interviewen und im Fernsehen zu zeigen, hat sie sehr mitgenommen. Daraus ist mein Film entstanden. Ich habe gesagt, wir machen etwas über dich als Frau, als Bildhauerin, als Mutter, als Ehefrau und wir werden nichts über Mogadischu erzählen. Sie sagt in dem Film: »Kunst braucht einen Auslöser«, aber das Wort Mogadischu oder Flugzeugentführung kommt in diesem 40-Minuten-Film nicht vor. Der Film heißt »Wächter«. In Teilen wurde er im Fernsehen im Zusammenhang mit den Interviews gezeigt. Auch zu ihren Ausstellungen wird er gezeigt, und jeder der ein Kunstwerk von ihr kauft, bekommt von ihr diesen Film geschenkt.

als Frau im Filmgeschäft

Die Rolle der Frau im Filmbusiness war damals sehr sehr schwierig, ich hatte als Kamerafrau einen schweren Stand. Es gibt auch heute nicht sehr viele Kamerafrauen. Die Männer haben uns spüren lassen, dass da wieder so eine ist, die uns die Arbeit wegnimmt. Heute gibt es natürlich im Fernsehbereich jede Menge Frauen, aber in der Technik ist es immer noch nicht so, da hat sich kaum etwas geändert. Es gibt auch nicht so viele Filmproduzentinnen. Die Frauen haben nach wie vor einen schweren Stand, auch ich mit meinem Film, den ich über die Sikhs mache. Wenn ich sage, ich war in Indien und habe da gedreht und will das fertigmachen, dann sagen sie: Was? Sie als Frau allein in Indien? Das kriege ich bis heute immer noch gesagt. Die Männer meinen, dass wir uns in ihre Domänen hineingedrängt haben. Frauen haben halbnackt vor der Kamera zu stehen, aber bitte nicht in Hosenanzügen mit Schlips hinter der Kamera.

Männeranzüge

Ich habe früher, als ich studiert habe, immer Männeranzüge getragen: Ich habe mir alte Männeranzüge, Schlipse und Männerhemden in Second-Hand-Shops gekauft und mich angezogen wie ein Mann. Meine Tochter lacht sich heute natürlich darüber kaputt. Aber für mich war es wichtig, mich in so einem Jackett auch so zu fühlen. Man kann sich nicht irgendwie herumlümmeln mit diesen Schulterpolstern, das gibt eine gewisse Haltung und einen gewissen Schutz. Ich habe geglaubt, ich brauche das, um mich da durchzusetzen. Ich habe damals überhaupt nicht darüber nachgedacht, ich habe das aus dem Bauch entschieden. Ich fand diese Hosen mit den Bundfalten, die alten Anzugshosen mit den Taschen richtig gut, sie waren auch superbequem. Aber es ging ja auch darum, sich so zu gebärden wie ein Kerl.Das war in der Zeit der Frauenbewegung. Wir durften ja auch nicht in Hosen in die Schule gehen, das war jahrelang überhaupt verpönt. Ich bin mit sechzehn als erstes Mädchen in der Klasse in einer Hose in die Schule gegangen und nach Hause geschickt worden, dass ich mir gefälligst einen Rock anzuziehen hätte. Ich habe mich geweigert und gefragt, wo das steht, und ich habe die Hose angelassen. Damals sagte man noch Niethose, weil es eine der Jeans war, die gerade erst aufkamen. Irgendwann brauchte ich das nicht mehr als Protest.

Keine Unterstützung von Männern

Wir haben es uns dadurch im Grunde ein bisschen schwer gemacht. Ich z. B. mit meinen Anzügen in dem Männerberuf. Wenn ich als Kameraassistentin für einen Kameramann gearbeitet habe, die Koffer, die Gerätekoffer sind saumäßig schwer, dann haben sie sich hingestellt und haben gesagt, wollen wir doch mal gucken, ob du das packst.
Ich habe mir mein Kreuz damit kaputt gemacht. Ich habe seither immer wieder ziemlich starke Kreuzschmerzen. Ich weiß, das ist aus dieser Zeit, als ich dachte, ich kann alles, ich kann diese Dinger heben, und ich kann diese 18-kg-Kamera auf der Schulter tragen und ich kann Handkamera machen. Die Männer haben so etwas genossen und geguckt, ja wie machen die Mädels das denn? Untereinander haben sie sich geholfen, ihre Sachen zu tragen, aber ich mußte immer hingehen und fragen: »Kannste mal mit anfassen?« – »Nee, ich habe jetzt gerade keine Zeit.« So etwas habe ich sehr wohl erfahren und es hat mich angekotzt, ich fand es furchtbar. Aber in dieser Zeit der Frauenbewegung mußte das sein, wo wir uns befreit haben. »Ja, dann befreit euch mal, dann macht doch mal! Wenn ihr euch befreien wollt, dann habt ihr das auch zu tragen!« Wir haben es uns damit wirklich ein bisschen schwer und den Männern haben wir es leicht gemacht.

Das Gespräch mit Christine Löbbert wurde aufgezeichnet und gekürzt
von Herta Westerman und Margret W.-Simon

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