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Fotos: Prof. Dr. Gunhild Langosch

Zur Rente ins tropische Australien

Meine Schwester und ich wollten endlich weit fort und solange wir wollten: nach Australien ans andere Ende der Welt. 1788 begann dort die weiße Kolonisierung. Seitdem gibt es mehr und mehr Informationen über diesen riesigen Kontinent. Wir hatten uns mit viel Literaturlesen vorbereitet.

Uns reizten - wie Grzimek schon in den sechziger Jahren prophezeite - die Weiten ursprünglicher Natur und wir nahmen uns die Naturparks des tropischen Nordwestens vor. Ein Viertel Jahr reisten wir von Darwin nach Perth, 5000 km mit allen Abstechern. Die Australier haben etwa zweitausend Naturparks ausgewiesen und z.T. für Besucher erschlossen. Sie legten Wege und einfache Campingplätze an - mit Plumpsklo und Grillplatz, oft sogar mit Trinkwasserbehältern. Etwas zaghaft hofften wir auch Kontakt zu den UreinwohnerInnen zu bekommen.

Im hübschen Hafenstädtchen Darwin betraten wir australischen Boden. Eine Woche verging, bis unsere Ausrüstung eingekauft war. Wir erstanden das größte Auto unseres Lebens - einen 11 Jahre alten Ford Falcon mit Sechs-Zylindern und Klimaanlage - und ein wunderbares australisches Zelt mit großen Gazefenstern, durch die wir nachts die Sterne und morgens die fremdartigen Vögel beobachteten.

Eine Besichtigungstour zur begonnenen Erweiterung Darwins hin zum 20 km entfernten Palmerstone wurde uns ein Beispiel männlicher australischer Mentalität. Wir sahen im Abendlicht riesige Bagger wie Neuzeitdinosaurier in bis zu 10 Metern tief geschürfter Erde - eine ungeheure aufgewühlte Sandwüste. Der Tiefseehafen wird verlegt und die Küstenlinie einem gigantischen Bauplan angepasst - zu einer »schönen neuen Welt«, der wir nicht trauen konnten. Solche Glanzprospektprojekte hatten wir schon an anderen Ecken Darwins gesehen und wenig begeisternd gefunden.

Unser Abenteuer begann im Kakadu Park. Er ist so groß wie ganz Hessen und einer der wenigen Orte, wo die Bindungen der Ureinwohner an ihr angestammtes Land noch einigermaßen intakt blieben, was vor allem das sich anschließende Arnhemland betrifft. Es ist ein für Weiße bisher undurchdringliches hügeliges Gebiet, von tiefen Gräben durchzogen. Hierhin konnten sich einzelne Stämme zurückziehen und ihre alte Kultur weiterleben. Nach den heftigen Aufständen in den sechziger Jahren hat der Staat Northern Territory den Ureinwohnern Landrechte eingeräumt. Die Naturparks gehören ihnen jetzt und RangerInnen verwalten sie. Die Einrichtung von Minen zur Ausbeutung der Bodenschätze in den Naturparks brauchen eine Einwilligung und sollen die heiligen Stätten unberührt lassen. Australische Männer träumen von ihrer Goldmine mit wenig Unterscheidungsmöglichkeit für Traum oder Realität.

Der Kakadu Park erstreckt sich über weite tropische Feuchtgebiete bis hin zum Meer. Ein Viertel des Jahres werden sie von heftigsten Regenschauern unter Wasser gesetzt und von Stürmen heimgesucht. Unsere Reisezeit war das Ende der Trockenzeit und noch immer glänzten Wasserflächen in der Landschaft. Die RangerInnen hatten erzählt, vor einigen Jahren wurde hier ein australischer Traum vom »Wilden Westen« zerstört, als in einem halben Jahr tausende von verwilderten Wasserbüffeln vom Hubschrauber aus erlegt wurden.

In der anschließenden hügeligen Felsenlandschaft überdauerten uralte Felsenmalereien der Ureinwohner und trugen dazu bei, daß der Park bei der UNESCO auf die Liste des Weltkulturerbes gesetzt wurde. Hierhin zogen sich die UreinwohnerInnen während der Regenzeit zurück. Die Felsenmalereien dienten der Erkenntnisvermittlung und Schulung. Sie entstanden zu unterschiedlichen Zeiten und wurden vielfach übermalt und erneuert. Sie sind Ausdruck einer an Mythen aus der Ahnenvorzeit orientierten Lebenweise, Traumzeit genannt. Die Ureinwohner leben in Australien nach heutiger Schätzung bereits seit 53.000 Jahren. Die ältesten Felsenmalereien schätzt man auf 18.000 Jahre – ähnlich den Höhlenmalereien in Südfrankreich und Nordspanien. Mehr noch besteht ihre Kultur aber in ihrer einzigartigen Spiritualität. Gut ausgebildete RangerInnen gaben uns Einführungen und ein lebendes Beispiel für die sicher nicht leichte Zusammenarbeit.

Ein weiser Ureinwohner aus diesem Gebiet, Großer Bill Neidjie, schreibt dazu:

  • Unsere Geschichte ist in das Land eingeschrieben....
  • in ihre heiligen Stätten.
  • Meine Kinder werden diese Plätze bewahren - so das Gesetz.
  • Es sind wichtige Orte unserer Urahnen aus grauer Vorzeit.
  • Du kannst sie nicht zerstören, gleich wer Du bist,
  • egal ob Du reich bist oder ein König,
  • Du kannst sie nicht zerstören!

Die ersten Kolonisten hatten Australien als Terra nullium erklärt und die Ureinwohner ignoriert. Sie galten als rechtlos und wurden getötet, wenn sie im Weg waren. Ihre sich netzartig über ganz Australien erstreckende Kultur vieler unterschiedlicher Stammesgemeinschaften, die friedlich und friedliebend miteinander lebten, wurde nicht geachtet und tausende wurden abgeschlachtet. Expeditionen ins wüstenähnliche Innere kamen um, weil ihre Hybris es ihnen nicht ermöglichte, die Hilfe der Ureinwohner, die hier noch zu leben, anzunehmen.

Anders als wir es kennen, war die Aneignung des Landes durch die Ureinwohner eine spirituelle - keine Inbesitznahme. Mit der Geburt erhalten Aborigines auch eine Zugehörigkeit zu einer mythischen Urahnengruppe. Ihr ganzes Leben lang lernen sie mythische Gesänge über diese Urahnen. Sie ermöglichen singend quer übers Land zu ziehen, zu überleben und die heiligen Stätten, die die Urahnen schufen, aufzusuchen. Sie treffen bei ihrer Wanderung andere Menschen ihres mythischen Klans, die ähnliche Gesänge haben, oft aber eine ganz andere Sprache sprechen.

Erkenntnisse über diese Kultur wurden weitgehend von Männern gewonnen und so kommt da wenig über die besondere Kultur der Frauen herüber. Ein wunderbares Buch von Barbara Wood, »Traumzeit«, hat für mich da mehr gebracht.
Erst in neuester Zeit wird diese hohe und einzigartige Kultur mehr und mehr entdeckt - kurz vor ihrem unwiderruflichen Verlöschen. Die künstlerischen Fähigkeiten konnten entwickelt werden. Die Ureinwohner schufen eine Fülle wunderbarer Designs, die unsere Neuzeitkultur bereichern. In kleinen Zentren werden sie angeleitet und dort wird ihre Kunst uns Reisenden angeboten. Besonders gut gefiel uns der Warringarri Art Center in Kunukurra. In den Museen der Städte fanden wir immer eine gut ausgestattete Abteilung mit alter und neuer Aborigenee-Kunst. SozialarbeiterInnen absolvieren heute Aboriginee-Kultur als ein Fach in ihrem Universitätsstudium.

Australien wurde schon in prähistorischer Frühzeit vom Urkontinent getrennt und entwickelte eine einzigartige Flora und Fauna. In den Naturparks begegneten wir vielen uns fremden Tieren. Die Krokodile hinderten uns am Baden. Der Dingo streifte nachts durchŽs Lager. Ein großer eidechsenähnlicher Waran erinnerte an Urzeiten. Die Vogelwelt machte singend und krächzend auf sich aufmerksam. Ein Kookaburra stahl im Sturzflug mir mein Frühstücksbrot aus der Hand. Sein käckernder Ruf erinnert an Gelächter. Kängurus beäugten mein nächtliches Austreten.

Wir lernten die Besonderheit der Hochländer kennen, die Kimberleys und die Pilbara. Berge sahen wir kaum. Das Land ist alt und die Auffaltungen verwitterten. Bemerkenswert dagegen waren schroffe Schluchten in ihrer jeweils einzigartigen Schönheit, die Flüsse tief in das Hochland eingegraben hatten.

Unser herausforderndstes Erlebnis hatten wir am Katherinfluß. Schon am ersten Tag brachen wir zu einer Wanderung auf - mit Kartenskizze und Wegzeichen, hatten aber bereits zu Anfang den richtigen Einstieg verpatzt. Wir sahen die mit lichten Büschen und Bäumen spärlich bewachsene Hochebene und hatten immer wieder herrliche Einblicke hinunter zum Fluß. Als sich der Tag neigte, fanden wir einen üppigen Wegweiser und wählten den falschen Weg. Nach gut einer Stunde wurde es klar und wir liefen mit der einbrechenden Dunkelheit um die Wette. Beim letzten Lichtstrahl erreichten wir wenigstens die Landstraße. Sonst hätten wir im Hochland die ganzen 12 Stunden Dunkelheit im Kreis laufen dürfen, denn nachts wird es empfindlich kühl und wir hatten uns nur auf die Tagestemperaturen von glatt 40° eingerichtet. Meine Schwester verlor ihren tollen Lederhut. Als wir den Ranger, einen sehr attraktiven Aboriginee fragten, reagierte er so tieftraurig, ihn nicht gefunden zu haben, daß wir ihn gern getröstet hätten und unseren Schmerz vergaßen.

Bei einer Bootstour sahen wir, wie die alten Männer im Naturpark die Ranger dazu herausforderten, die Zigarettenstumpen ihrer Touristen aufzuheben. Im Westen erreichten wir das Meer und bewunderten Delphine, die Monkey Mia vormittags einen Besuch abstatteten und dafür mit Fisch belohnt wurden. Wir versuchten uns im Schnorcheln, um riesige harte Korallenbüsche in ihrer Vielfalt anschwimmen zu können.

In West-Australien sahen wir wenig von der Aboriginee-Kultur und hatten große Schwierigkeiten, solche Stätten zu finden. Um Steinritzungen bei Port Hedland zu sehen, brauchte es drei Anläufe.
Im Oktober brach der australische Frühling aus. Die sehr karge Landschaft erblühte mit einem Teppich winziger Strohblumen - soweit das Auge reichte. In der Kalbarri blühten Büsche und Bäume. Ihre Blütenäste wedelten uns vom Straßenrand her zu und gaben das Gefühl, zu einem traumhaften Fest zu fahren.

Als ich im November zurückkam, fühlte ich mich noch lange Zeit in eine wohlige Wolke eingehüllt und konnte das Grau unserer Tage übersehen. Drei Monate in Sonne und Natur hatten gut getan. Es brauchte Zeit, sich in die Beziehungsnetze hier wieder einzufädeln. Nun bleibt noch, ein wenig von dieser Reise zu vermitteln.

Gunhild Langosch

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