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MATHILDE

 

Wir danken der Autorin Birgitta M. Schulte für den kostenlosen Vorabdruck aus dem im Juli 1999 im Christel Göttert Verlag Rüsselsheim erscheinenden Buch
»Ich möchte die Welt einreißen – Ilse Langner 1899-1987« .
Ein Porträt von Birgitta M. Schulte, ISBN 3-922499-35-X, 44 DM

Auf die Spur gesetzt

Ilse Langner, 1899 - 1987

Denn im Irdischen leistet das Überpersönliche nur, wer stark und entschlossen in seinem Ich und seinem Geschlecht verharrt. (Ilse Langner in »Die Zeit« vom 26. 9. 1958)

Im Mai 1998. Das Telefon klingelt. Meine Verlegerin! Ich freue mich immer, mit ihr zu sprechen. Meistens verändert sie meinen Blick auf die Dinge. Ich kann ihr gut zuhören, denn sie hört mir zu. Neugier, Offenheit, Anteilnahme prägen unser Verhältnis. Was gibt‘s? Ob ich ein Buch schreiben wolle? Das Porträt einer Schriftstellerin? Es müsse aber bis zum 21. Mai 1999 fertig sein, zum hundertsten Geburtstag der Bühnenautorin.

Ja, 1899 sei sie geboren, in Breslau, ihre ersten großen Erfolge habe sie in den späten zwanziger Jahren in Berlin gehabt, gestorben sei sie in Darmstadt. Ja, in der Region. Eine Festschrift also? Ein Buch zu einem Fest.

Schon die Uraufführung ihres ersten Stücks im Berliner Theater Unter den Linden sei ein Erfolg gewesen: Frau Emma kämpft im Hinterland, über die Frauen im ersten Weltkrieg. Ihre Frau Emma habe die Rolle der Ernährerin nicht wieder an ihren Mann abgetreten, als der heimkam. Alfred Kerr - aha, der große Kritiker aus den Zwanzigern - habe den Feminismus wohl bemerkt, das Talent aber trotzdem gerühmt. Das zweite Stück habe Max Reinhardt - Max Reinhardt! - an sein Theater am Kurfürstendamm genommen: Die berühmte Agnes Straub in der Rolle einer amerikanischen Sektengründerin. 1933 sei die Weiterarbeit an ihrem vierten Stück Die Amazonen noch während der Proben verboten worden.

Ja, immer Frauen im Mittelpunkt der Stücke. Sie habe aber nicht nur für‘s Theater geschrieben. Auch Romane. Und Essays in den Frankfurter Heften. Über ihre Reisen. 1933 das erste Mal um die Welt, in den 60er Jahren erneut, und nach Afrika. In Indien habe sie mit Indira Gandhi gesprochen.

Sie sei vielfach geehrt worden, Bundesverdienstkreuz 1. Klasse 1974, Bundesverdienstorden 1981, Willibald Pierckheimer Medaille und Goethe-Plakette, Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt seit 1950. Dafür mußte sie vorgeschlagen werden, auch um PEN-Mitglied zu werden. Sie gehörte dieser Organisation, die sich um politisch verfolgte Schriftsteller kümmert, schon seit 1928 an.

Wie hieß diese berühmte Frau? Ilse Langner.

Warum kenne ich sie nicht? Ihre Stücke wurden kaum aufgeführt, ihre Romane fanden kein Lesepublikum. Vieles blieb ungedruckt. Merkwürdig. Will ich über diese Frau schreiben? Ja, ich entscheide mich sofort. Wie aber ist Christel Göttert auf diese Schriftstellerin gekommen, eine der wenigen Dramatikerinnen in Deutschland? Eine alte Dame habe ihr von ihr erzählt. Auf der Buchmesse 1997. Eine kleine, zerbrechlich wirkende Frau im unauffälligen Trenchcoat, die Baskenmütze vorwitzig schräg auf dem grauen Haar, das Tuch von einer Brosche gehalten, die wie ein Erbstück wirkte. Bestimmt brauchte sie unbedingt einen Platz, um sich auszuruhen. Christel Göttert machte sich Sorgen: »Wie kommt diese zarte Person in den Hexenkessel Buchmesse? Und wie wieder hinaus?«

Die Germanistin und Literaturkritikerin Dr. Margarete Dierks, Feuilletonistin des Darmstädter Tageblatts, verließ den Stand des Göttert-Verlages frohgestimmt. Sie hatte Ilse Langner gekannt, zuerst über sie berichtet, sie dann näher kennengelernt, sie schließlich bis in den Tod begleitet. Ihr war es wichtig, die Bühnenautorin nicht nur für die Literaturwissenschaft zu retten. Da hatte eine Frau sich aufgemacht, für eine andere Frau zu sprechen, eine jüngere für eine, die fünfzehn Jahre älter gewesen war als sie selbst.

»Kann man Ilse Langner denn aus anderem als wissenschaftlichem Interesse lesen,« frage ich sie dann, »lohnt die Beschäftigung mit ihr?« »Ja«, antwortet mir die alte Dame mit Gewißheit, »sie hat in beinah einhundertjährigem Schaffen - sie starb im Januar 1987 - jeweils die Themen der Zeit aufgegriffen. Sie ist die erste deutsche Dramatikerin, die die brennendsten Gegenwartsfragen auf die Bühne gebracht hat, und zwar mit Frauen in den Hauptrollen.«

Diese Frauengestalten sind höchst unterschiedlich. Ilse Langner zeigt die vielen Charakterzüge, die Frauen haben können. Sie stellt sie dar in ihrem Eigenwert, wesensmäßig unterschieden vom Mann. Sie zeigt sie als die für das Leben Verantwortlichen, als die, die gebären und nähren und die, die das Ende setzen. Von der Frau aus erzählt sie die griechischen Sagen. Und sie bekennt sich zum Leben, gegen den Krieg, gegen atomare Zerstörung, gegen todbringende Wissenschaft.

Ich besuche Margarete Dierks in Darmstadt, in ihrer kleinen Wohnung unter dem Dach, die sich seit ihrem Einzug im Mai 1978 nicht verändert hat. Ich bin gefangengenommen von einer Atmosphäre des Bewahrten. In den Mustern von Decken und Kissenbezügen, im Stil von Vasen und Tassen, in Postkarten und Kalenderblättern an der Wand steckt das Designempfinden meiner Kindheit. In der Aufrichtigkeit unserer Begegnung, in der Präzision ihrer Sprache, in der liebenswürdigen Gastfreundschaft dieser Überachtzigjährigen lebte die Grundhaltung, die ich als Schülerin an meiner Realschullehrerin wahrgenommen hatte. Ich fühlte mich wieder als Lernende, als Nehmende. Aufgefordert, der Fülle in Ilse Langners langem Leben nachzuspüren, begegne ich dem Reichtum eines zweiten gelebten Lebens. Freigebig läßt mich Margarete Dierks an ihren Wissensbeständen teilhaben. Beinahe unverhüllt zeigt sie, wie sehr sie Ilse Langner zugetan war.

Was mochte die beiden Frauen verbunden haben? Diese Frage beschäftigt mich mehr als der Widerspruch zwischen der Vielfalt eines Schreibens und der mangelnden Neugier seiner Adressatinnen und Adressaten.

Ich bin auf die Spur gesetzt.

»Schlesisch bin ich geboren ...«

Ilse Langner erzählt aus ihrem Leben anläßlich ihres 60. Geburtstags. Aufnahme des Hessischen Rundfunks für den Rias Berlin, 1959.

In meinem Garten mitten im westlichen Berlin stehen hohe alte Bäume, vor meinem Haus blühen Rosen und auf der Terrasse rankt wilder Wein. Wenn ich nicht wüßte, daß ich in diesem Mai 60 Jahre alt werde, würde mich das Rauschen der Bäume, der Duft des Flieders, das Läuten der nahen Kirche so stark an mein Vaterhaus in Sprottau erinnern, daß ich wirklich glauben könnte, noch ein junges Mädchen zu sein und daheim. Die Gestalten meiner griechischen Dramen Klytämnestra, Dido und die Iphigenie aus Iphigenie kehrt heim scheinen mir in der Erinnerung aus den griechischen Statuen zu erwachsen, die sich in der dunklen Halle unseres Hauses wie leibhaftige Wesen abhoben. Und Bücher dünkten dem Kind sicher etwas Heiliges, da die Bibliothek meines Vaters die gotischen Gewölbe bis unter die Spitzbogendecke erfüllten. Mein Vater, der heute noch mit fast neunzig Jahren in der Ostzone lebt, denn weiter trugen ihn im Treck seine alten Füße nicht, sprach das schönste Latein, das ich je gehört habe, mit weltmännischer Selbstverständlichkeit. Dieser alte Mann, der alles verloren hatte, das ehrwürdige Haus am Kirchplatz in Sprottau gegenüber seinem Gymnasium, den alten Burggarten, in dem er kurz vor der Vertreibung die Terrassen für die Rosen aufgeschüttet hatte, er klagte niemals. Besitz ist Schimäre, lehrte er mich, aber was du dir durch bittere Erfahrung zu eigen gemacht hast, das gehört dir auch bis zum Ende. Bewahre dir im Niedergang wie im Aufstieg eine Zelle der Besonnenheit, ein heimliches Tabernakel, dann kann dich äußerliches Glück und Unglück nicht überwältigen. So sprach mein Vater, und er lächelte.

Meine Mutter stammte aus den weiten schlesischen Wäldern, fünf Generationen Forstbeamte waren ihre Vorfahren. Darum besaß sie den echten Sinn für das Aufforsten des Wertvollen im Menschen, für das Ausrotten von Schmarotzern. Sie war eine Heldin des bürgerlichen Lebens und von unzerstörbarem Humor. Während der schwersten Bombennächte hielt sie sich ungebeugt, sie verzagte nie vor übermenschlichen Gewalten, doch Gemeinheit und Hinterlist konnten sie zu Zornesausbrüchen hinreißen. Nein, meine Mutter war kein literarischer Mensch und gerade darum meine unbestechlichste Kritikerin. Sie klopfte mit dem Finger auf den Tisch und sagte: »So fest und einfach wie dieser Tisch müssen deine Sätze sein, sonst taugen sie nichts. Und du kannst deine Ideen und deine Poesie niemals darauf aufbauen.« Ja, meinen Eltern danke ich die Wurzeln meines Wesens, die unverfälscht und darum tragfähig waren, zwei Weltkriege und eine hinfällige Friedenszeit auszuhalten. Am herzlichsten aber danke ich ihnen eine Lebenskraft, die sich trotz Trübsal und Enttäuschungen Daseinsfreude bewahrte.

Darum möchte ich an diesem Erinnerungstage nicht an meine Eltern und die eigene Mühsal denken, sondern an das Lachen, das meiner Mutter so kräftig tönend aus der Brust springen konnte, an das Lächeln meines Vaters, das er mit einer weitausschwingenden Bewegung des linken Armes zu begleiten pflegte, während die Rechte stets die Zigarre hielt. Ohne Humor, Freunde, sind wir verloren, ja, wir wären umsonst gealtert, wenn uns nicht die eigenen Fehler wie die Irrtümer dieser Welt zur Heiterkeit hinreißen würden. Nörgler zernörgeln sich selbst, Griesgrame zergrämen sich das eigene Leben, und wenn ich Positives durch die Jahrzehnte nicht nur bewahrt, sondern ganz bewußt in mir erhalten habe, so ist es Schmunzeln, Lächeln, Lachen. Weise wird jeder auf seine Art. Ich durch Heiterkeit.

Doch vom Frohsinn allein lebt niemand in unserem Zeitalter, ohne unerbittliche Arbeit am Wort wäre mir kein Werk gelungen. Wer schlecht arbeitet, ist nicht ehrlich, wer nicht ehrlich ist gegen sich selbst und gegen sein Handwerk, dem kann kein wahres Kunstwerk gelingen. Mit sieben Jahren, als ich noch nicht schreiben konnte, denn ich bin ein Spätkind der Schulwissenschaft, dichtete ich meine ersten Verse vom Schnee. Es war in Breslau, an einem Wintertag. Der Schnee krönte Büsche und Bäume, und ich pendelte an der Hand meines Vaters so für mich dahin. Längst vergessenes Gedicht, keine Strophe blieb zurück, aber das untrügliche Gefühl des ersten schöpferischen Aufspringens ist in mir lebendig geblieben. Ich spürte ein Wunderreich jenseits des Greifbaren und des gewohnten Daseins und ich war glücklich. Mit vierzehn Jahren dann zu meiner Konfirmation hatte mir mein Vater in roten, blauen, goldenen Einbänden meine ersten Gedichte, die »Tautropfen« vervielfältigen und binden lassen. Ich war nicht einmal sehr stolz darauf, ich war bestürzt, denn ich hatte zum ersten Mal Eigenes, aus meinem Innern Erwachsenes in der Hand.

Fröhlich klingt nichts von alldem, was in meiner Kindheit und Jugend entstand, auch die Kurzgeschichten, die während meines 15. und 16. Lebensjahres in der »Breslauer Zeitung« gedruckt wurden, waren melancholisch. Mein erstes Drama, das ich mit siebzehn schrieb, war ein realistisches schlesisches Bauernstück, es handelte um Geld.

1931 folgte im Max-Reinhardt-Theater am Kurfürstendamm Die Heilige von USA. Ich hatte den damals höchsten Punkt dramatischen Ruhmes erreicht, doch brach diese stark aufsteigende Linie jäh ab und das Dritte Reich brach an. In den bösen Jahren habe ich in Berlin gelebt, eingehaust zwischen Bäumen und durch ein gütiges Geschick dem ärgsten Verhängnis entgangen....Und wenn ich mich heute im Spiegel betrachte, so blickt mich, kaum graviert von Runen, mein schlesisches Gesicht an. Immer noch rund wie ein Borsdorfer Apfel. Schlesisch bin ich geboren, und mit der barocken Heiterkeit meiner unvergeßlichen Heimat umfange ich die Welt.

Birgitta M. Schulte

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