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Das Grundgesetz und eine Frau der »ersten Stunde«:

Frieda Nadig

Der in diesem Jahr zu würdigende 50ste Geburtstag des Grundgesetzes bietet uns Gelegenheit, an eine der vier Frauen zu erinnern, die zu seiner Entstehung beitrugen: Frieda Nadig.

Die Herforderin fand bislang wenig Beachtung in der überörtlichen Öffentlichkeit. Sowohl in der historischen Forschung als auch in der Erinnerung ihrer Genossinnen und Genossen rangiert sie auf den hinteren, unteren Plätzen. Sehr zu Unrecht, wie bereits ein erster Blick auf ihre Lebensgestaltung zeigt.

Frieda Nadig wurde am 11. Dezember 1897 in Herford geboren. Ihr Vater war als Handwerksmeister in Herford sesshaft, er war stark von der sozialdemokratischen Ideenwelt geprägt. Frieda Nadig besuchte die Volksschule und arbeitete zunächst als Verkäuferin. Ihr Wunsch, anderen Menschen zu helfen. motivierte sie zur Weiterbildung an der Sozialen Frauenschule in Berlin. Dort legte sie 1922 ihr Staatsexamen für Wohlfahrtspflege ab. Nach ihrem Examen arbeitete sie als Wohlfahrtspflegerin im Jugendamt in Bielefeld. Während der NS-Zeit wurde sie aufgrund ihrer politischen Einstellung entlassen und war lange Zeit arbeitslos, fand dann aber eine Anstellung als Fürsorgerin im Kreis Ahrweiler. Ihr starkes berufliches Engagement zeigte sich in ihrem Einsatz für die Arbeiterwohlfahrt (AWO), an deren Wiederaufbau sie nach dem Krieg hohen Anteil hatte. Aufgrund ihrer Initiative entstanden die verschiedensten Altenheime in Brockwede, Vlotho und Oerlinghausen, mehrere Müttererholungsheime und Schulungsstätten sowie eine Reihe von Kindergärten der AWO. Ab 1945 bis zum 30. 6. 1966 war sie Geschäftsführerin der Arbeiterwohlfahrt des Bezirks Ostwestfalen.

Aufgrund ihrer Sensibilität für soziale Ungerechtigkeiten und überlebte Gesellschaftsformen entwickelte sie schon sehr früh ein starkes Interesse für politische Fragen. Sie trat bereits mit 16 Jahren in die Sozialistische Arbeiterjugend ein, ab 1916 war sie Mitglied der SPD, von 1929 - 1939 als Abgeordnete im Westfälischen Provinziallandtag. Sie war Mitglied des Zonenbeirats, ab 1947 MdL in Nordrhein-Westfalen (Sozialausschuß), Mitglied des Parlamentarischen Rates 1948 - 1949, MdB von 1949 - 1961 (u. a. im Rechtsausschuß), im Vorstand der SPD und Vorsitzende des Bezirksausschusses der SPD Bezirk Ostwestfalen-Lippe. Die politische Bühne verließ sie nicht gerne und nicht freiwillig. Nach einer Kampfkandidatur unterlag sie 1961 in ihrem Wahlkreis einem Mann. Auf der Landesliste wollte man sie nicht absichern, da es bereits eine Frau auf einem aussichtsreichen Platz gab.

Während ihrer Tätigkeit im Parlamentarischen Rat wirkte sie an der Gestaltung des Grundgesetzes mit. Im Bundestag, dem sie über drei Legislaturperioden angehörte, setzte sie sich für ein fortschrittliches Familienrecht und für die Gleichstellung nichtehelicher Kinder ein. In ihren Vorträgen und Reden versuchte sie immer wieder, Menschen aufzurütteln und von ihren Zielen zu überzeugen. Für ihre Verdienste wurde sie mit dem Großen Verdienstkreuz ausgezeichnet und am 17. 1. 1970 mit der Marie -Juchacz - Plakette (Juchacz war die Begründerin der AWO).

Am 14. 8. 1970 starb sie mit 73 Jahren im Krankenhaus in Bad Oeynhausen. Auf eigenen Wunsch wurde sie in aller Stille beigesetzt.
Die Politikwissenschaftlerin Birgit Meyer äußert sich in ihrem Aufsatz »Das Grundgesetz und die Frauen der ersten Stunde« über Frieda Nadig: »Sie war es auch, deren Beiträge sich fast ausschließlich auf die Durchsetzung der Gleichberechtigung im Ehe- und Familienrecht konzentrierten. Vielleicht war dies der Grund, weshalb sie keine erinnerungswürdige Herausforderung wurde und nicht in die Annalen der SPD-Parteigeschichte einging? Sie lieferte sich keine spektakulären Rededuelle mit ihren Kritikern und gab kaum Anlaß zur Häme und Aggression. (...) Erst Wochen später vermeldete der Pressedienst ihrer Partei ihren Tod«.

Christel Maria Fuchs

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