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MATHILDE

Ich wollte immer forschen

MATHILDE im Gespräch mit der Biologin Prof. Dr. Ute Stewart

Wir trafen sie zu einem anregenden Gespräch in ihrer gemütlichen Wohnung, die Biologin Frau Professor Stewart. Wir lernten eine aufgeschlossene und selbstbewußte Frau kennen, die ihr Arbeitsleben den Themen Immunologie und Biochemie widmete.

Ute Stewart wurde 1932 in Würzburg geboren, ist in Köln aufgewachsen und machte 1950 in Nördlingen Abitur. Ihr erstes Studienjahr im Fach Biologie absolvierte sie im Rahmen der ersten deutschen Austauschgruppe des Fulbright-Programms in Amerika. Nach ihrem Aufenthalt in den USA begann sie mit dem Promotionsstudiengang Biologie in Tübingen. In ihrem letzten Studienjahr ging sie mit ihrem Doktorvater Adolf Butenandt nach München, wo sie 1957 über das Thema Insektenverpuppung promovierte. Zu dieser Zeit war es unmöglich, als Frau im Fachbereich Biologie eine Anstellung zu bekommen. So ging sie wieder nach Amerika, dieses Mal für drei Jahre als Postdoc an die University of California in Berkeley. Es war akademisch und persönlich ihre wichtigste Zeit. 1959 heiratete sie einen amerikanischen Arzt, der mit ihr zurück nach Deutschland ging, wo sie 1960 als Assistentin in der medizinischen Fakultät in Würzburg anfing. 1965 wurde ihr Sohn geboren, eine anstrengende Zeit begann, in der sie Familie und Karriere vereinbaren mußte. Doch Ute Stewart war und ist eine mutige und selbstbewußte Frau, die für ihre Ziele kämpfte. Um eine Stelle zur Habilitation zu bekommen, bot sie an, in Würzburg ein Hormonlabor aufzubauen. 1969 habilitierte sie sich über Muskelproteine. 1975 folgte der Ruf nach Darmstadt, eine Professur für Biologie an der TU, die eine große Herausforderung war. Sie lehrte bis zu ihrer Pensionierung vor zwei Jahren hier und brachte in dieser Zeit 120 KandidatInnen zum erfolgreichen Abschluß. Nach ihrer Pensionierung verbrachte sie ein ehrenamtliches Forschungsjahr in einer Arbeitsgruppe in London.

Während ihrer beruflichen Tätigkeit erhielt sie zwei wichtige Auszeichnungen. Den Adolf Fick-Preis für hervorragende wissenschaftliche Arbeit. Dieser Preis wurde ihr 1979 für ihre Arbeit an der Erforschung der Muskelproteine verliehen. Bisher wurde der Preis an keine weitere Frau verliehen. Die zweite Auszeichnung, den Erasmus-Kittler-Preis, erhielt sie 1998 für ihr Engagement für Frauen an der Hochschule. Nominiert wurde sie von den nichtwissenschaftlichen Mitarbeiterinnen der TU Darmstadt. Außerdem war sie in der Jury für die Verleihung des Lise Meitner-Preises, der Frauen für besondere wissenschaftliche Arbeiten verliehen wird.

Frau Professor Stewart, Sie waren viele Jahre in der wissenschaftlichen Forschung und Lehre tätig. Wie kamen Sie zu diesem naturwissenschaftlichen Beruf? Gab es in Ihrer Kindheit und Jugendzeit bereits Hinweise auf Ihren späteren Lebensweg?

»Von meinem Vater und meinem Großvater habe ich die erste Biologie gelernt: Sie brachten mir die Natur und die Landschaft, in der ich aufwuchs, nahe, und ich war davon fasziniert. Ich bin in einer Mediziner-Familie aufgewachsen. Aus irgend einem Grund wollte mein Vater jedoch nicht, daß ich wie er und meine Brüder Medizin studierte, sondern brachte mich zur Biologie – wie, weiß ich nicht mehr. Ich war jedoch immer sehr zufrieden mit dieser Wahl. In meiner Familie wurde nie darüber diskutiert, ob ich als Mädchen studieren darf oder nicht. Das war selbstverständlich. Ich hatte immer die volle Unterstützung von Vater und Mutter. Dafür bin ich sehr dankbar, vor allem, weil ich mitbekam, daß es für andere Mädchen meines Alters überhaupt nicht selbstverständlich war zu studieren.«

In den naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen und im Lehrkörper ist der Anteil der Frauen sehr gering. Ausnahme ist die Biologie, wo es derzeit 53% Studentinnen in Darmstadt gibt. Wie erklären Sie sich den starken Frauenanteil in Ihrem Fach?

»Biologie war und ist ein Fach, das Frauen sehr interessiert. Der Umgang mit Pflanzen und der Natur ist ein frauenspezifischer Bereich. Bereits in meinem Studienjahrgang gab es viele Studentinnen, die aber zumeist in den Lehrerinberuf gingen. Aber auch die Zahl der Frauen, die promovierten und an der Universität unterrichteten, war im Fachbereich Biologie im Verhältnis zu den anderen naturwissenschaftlich-technischen Bereichen übermäßig hoch. Drei Professorinnen von fünf weiblichen Lehrkräften insgesamt an der TU Darmstadt kamen aus der Biologie. Ich hatte nie das Gefühl, daß Frauen in meinem Fach diskriminiert werden.

In den anderen naturwissenschaftlich-technischen Fächern sieht es wohl anders aus. Dort gibt es nur sehr wenige Frauen. Und natürlich ist es sehr schwierig, als einzige Frau in einen Hörsaal zu gehen, wenn die Männer pfeifen. Da braucht die Frau dann sehr viel Kraft und Selbstbewußtsein. Ich habe immer gesagt: Pfeif doch dagegen! Das ist leider schwierig, doch mit einer selbstsicheren Einstellung kann sie es schaffen.

Ich hatte immer sehr viel Rückendeckung von meiner Familie und meinem Partner. Das ist sehr wichtig, um als Frau die akademische Laufbahn zu machen. Es gibt viele Durststrecken, die nur mit Kraft und Willen zu bewältigen sind. Ich bin immer von meiner Familie ermuntert worden weiterzumachen. Sehr viel moralische Unterstützung bekam ich später auch von anderen Frauen, zum Beispiel einer Oberin in der Klinik oder von Sekretärinnen. Dabei ist mir bewußt geworden, wieviel Kraft in Frauen steckt.«

Sind Frauen in der Position einer Hochschullehrerin einem anderen Druck ausgesetzt, als Männer, und müssen sie sich tatsächlich mehr beweisen und besser sein, um ernst genommen zu werden? Sehen Sie Unterschiede zwischen Deutschland, England und den USA?

»Ich denke schon, daß Frauen einem größeren Druck ausgesetzt sind, da sie in der Regel alleine stehen. Es war zu meiner Zeit selbstverständlich, daß Männer gefördert werden, für Frauen war es das nicht. Man gehörte nicht zum boys-club.

Die ersten Akademikerinnen traf ich kurz vor meiner Promotion in England. Diese Frauen waren älter als ich. Sie waren stark und entspannt, das fand ich sehr schön. Denn oft machten Frauen einen sehr maskulinen Eindruck, wenn sie sich in einer Männerwelt behaupten mußten. Das wollte ich nicht. Ich wollte forschen und lehren, aber ich wollte so bleiben, wie ich war. Und da waren die englischen Akademikerinnen ein gutes Vorbild für mich.

In Amerika sah es vor 30 Jahren auch nicht anders aus als in Deutschland. Nur wenn eine Frau sehr, sehr gut war, konnte sie gefördert werden.«

Welche Themen waren für Sie die wichtigsten, mit denen Sie sich im Laufe Ihrer Berufsjahre beschäftigt haben? Hatten Sie bei Ihren Forschungsthemen oder in der Lehre andere Ansatzpunkte und Interessen als Ihre Kollegen?

»Ich erforschte die Biochemie und Immunologie von kontraktielen Proteinen (Aktin, Myosin), Rezeptoren und Regulatoren der Muskulatur. Hierfür entwickelte ich spezielle Antikörper, die es nach meinem Ausscheiden aus der Forschung leider nicht mehr geben wird. Da mein Interesse mehr auf medizinischem Gebiet lag und auch meine Arbeitsweise wenig mit der meiner Kollegen gemeinsam hatte, gab es zu meinem Bedauern wenig Austausch.«

Fiel es Ihnen schwer aufzuhören? Was ist heute Ihr »Lebensthema«? Worin besteht der Unterschied zu Ihren beruflichen Jahren?

»Es war hart: Schlüssel abgeben und fertig. Ich wußte es ja schon lange vorher und war darauf vorbereitet, aber es tut trotzdem weh aufzuhören, wenn man mit so viel Begeisterung gearbeitet hat. Es war besonders schwer, weil der Bereich geschlossen wurde und meine Stelle in einen anderen Bereich verlagert wurde. Dadurch hörte nicht nur die Arbeit, sondern auch mein Lebenswerk auf. Deshalb war es ganz gut für mich, daß ich nach meiner Pensionierung für ein Jahr nach London ging, um dort noch an der Erforschung von ATP-Rezeptoren (ATP = Adenosintriophosphat) im Nervensystem zu arbeiten. Diese Rezeptoren sind entwicklungsbiologisch sehr alte Rezeptoren, für das Nervensystem allerdings erst wenig erforscht.

Für die Zukunft habe ich viele Ideen und Projekte, mit denen ich mich beschäftigen möchte. Ich reise sehr gerne, und ich möchte mich noch weiterbilden, denn meine Schulbildung in den Kriegsjahren hat viele Lücken offen gelassen. Vor allem Kunst- und Religionsgeschichte interessieren mich. Außerdem habe ich noch Reisetagebücher aus den 50er Jahren, die ich für meinen Sohn von der Kurzschrift in Langschrift übertragen möchte. Natürlich werde ich mich auch weiterhin für mein Forschungsgebiet interessieren.«

Frau Professor Stewart, vielen Dank für das interessante Gespräch. Wir wünschen Ihnen für Ihre zukünftigen Pläne viel Erfolg und Spaß.

Herta Westerman & Gabriele Merziger

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