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Alice Salomon (1872-1948)

Vor 50 Jahren, am 30. August 1948 starb Alice Salomon im New Yorker Exil. Sie war vor allem als Pionierin auf dem Gebiet der sozialen Berufsausbildung sowie als bedeutende Gestalt der deutschen und internationalen Frauenbewegung allgemein bekannt und wurde – wie viele bedeutende Frauen und Männer nach 1933 – wegen ihrer jüdischen Herkunft aus Deutschland vertrieben.

Anläßlich ihres Todestages ist vor kurzem eine Biographie von Manfred Berger über Alice Salomon beim Verlag Brandes & Apsel erschienen, nachdem der an der Evangelischen Fachhochschule in Darmstadt lehrende Professor Joachim Wieler 1987 ihre Exiljahre nachgezeichnet hatte.

Alice Salomon gehörte der ersten Generation von Frauen an, die nach einem Studium der Nationalökonomie zum Dr.phil. promoviert haben. Das Thema ihrer Dissertation mit dem Titel »Die Ursachen der ungleichen Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit« ist noch heute von Interesse. Weniger auf dem theorethischen Gebiet als mit ihrer praktischen Tätigkeit hat Alice Salomon jedoch im ersten Drittel dieses Jahrhunderts innovative Impulse gesetzt: sie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die zwar wohlmeinende, aber oft dilettantische, unbezahlte »soziale Hilfstätigkeit« zu einem staatlich anerkannten Beruf entwickelte. Ihr pädagogisches Konzept an der von ihr gegründeten Sozialen Frauenschule in Berlin (1908) wurde vorbildlich für die bezahlte Sozialarbeit auch in anderen Ländern. Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit - zu ihrem Lebenswerk gehören 28 Schriften in Buchform und mehr als 250 Beiträge in Fachzeitschriften und Zeitungen - und praktischen Tätigkeit als Dozentin, engagierte sich Alice Salomon bereits in jungen Jahren in der deutschen und internationalen Frauenbewegung. Seit 1900 gehörte sie dem Vorstand des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF) an: erst als Schriftführerin, später bis 1920 als stellvertretende Vorsitzende. Auch im Internationalen Frauenbund (ICW) wurde seit 1909 die Mitarbeit von Alice Salomon vom Vorstand hoch angesehen, sie war mit der langjährigen Präsidentin des ICW, Lady Aberdeen eng befreundet.

Während des Ersten Weltkrieges mußte sie im allgemeinen Kriegstaumel ihre internationalen Verbindungen unterbrechen, sie war jedoch eine der ersten, die nach dem Krieg die Kontakte mit ausländischen Frauenverbänden aufnahm. Mit ihrer pazifistischen und kosmopolitischen Einstellung geriet Alice Salomon jedoch bald in Widerspruch zur BDF-Führung. Als auch antisemitische Äußerungen einiger im BDF zusammengeschlossenen Verbände laut wurden, trat Alice Salomon Anfang der 20er Jahre von allen Ämtern im BDF zurück und konzentrierte sich fortan mit großem Erfolg auf die wissenschaftliche Begleitung der neuerstandenen Fachschulen für Sozialarbeit. Alice Salomon erhielt viele Ehrungen, z.B. 1932 die Verleihung des Ehrendoktors der Medizin der Berliner Universität und die Umbenennung der »Sozialen Frauenschule« in die »Alice-Salomon-Schule«. In der Verleihungsurkunde des Ehrendoktortitels an Alice Salomon heißt es: »Sie ist führend in ihrem Vaterlande für die soziale Bewegung gewesen, für den Schutz der Arbeiterinnen, insbesondere der Mütter und in der Ausbildung der Frauen für die sozialen Berufe... Durch ihre Schriften und ihre Lehrtätigkeit wie durch ihre große Organisationsgabe vollzog sie eine Lebensleistung, welche für das Wohl und die Gesundheit der Menschheit große Bedeutung hat und ihr den Dank gerade der medizinischen Wissenschaft sichert«.

Kaum ein Jahr später wurde Alice Salomon durch die neuen Machthaber aller ihrer öffentlichen Ämter beraubt, die »Frauenakademie« aufgelöst und ihre Veröffentlichungsreihe über Untersuchungen der Frauenarbeit eingestellt. Bis 1937 blieb sie noch in Deutschland, arbeitete aktiv bei Hilfsmaßnahmen für gefährdete Menschen, gehörte zum Kreis um Martin Niemöller und hielt, soweit es möglich war, die internationalen Kontakte im Bereich der Sozialarbeit aufrecht. Nach einem Zwischenaufenthalt in England fand die 65jährige schließlich in den Vereinigten Staaten von Amerika Zuflucht. Ihren Lebensunterhalt bestritt sie mit Hilfe von Freundinnen und Freunden und durch Vortragsreisen.

Nachdem sie 1945 noch zur Ehrenpräsidentin des International Council of Woman (ICW) und der »Internationalen Vereinigung der Schulen für Sozialarbeit« ernannt wurde, starb Alice Salomon in der Emigration, ohne Deutschland wiedergesehen zu haben. Joachim Wieler, Professor für das Studium der Sozialarbeit an der Evangelischen Fachhochschule Darmstadt ist es zu danken, dass das englischsprachige Manuskript von Alice Salomons Autobiographie mit dem Titel »Charakter ist Schicksal« übersetzt und 1983 erscheinen konnte. Sie ist ein wertvolles Dokument nicht nur über das Leben einer bedeutenden Frau, sondern auch über die Geschichte der nationalen und internationalen Frauenbewegung. Erst reichlich spät, erst vor fünf Jahren kam es zu einer Art Wiedergutmachung: Die Berliner Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik wurde nach Alice Salomon benannt.

Literatur:
- Alice Salomon: Charakter ist Schicksal: Lebenserinnerungen (1983);
- Joachim Wieler: ErInnerung eines zerstörten Lebensabends: Alice Salomon während der NS-Zeit (1933-1937) und im Exil (1937-1948);
- Manfred Berger: Alice Salomon: Pionierin der sozialen Arbeit und der Frauenbewegung.
Diese Bücher sind in der LUISE-BÜCHNER-BIBLIOTHEK vorhanden.

Agnes Schmidt

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