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Verschwistert - verlobt - verheiratet?

Partnerstädte von Darmstadt

Es geht auch in diesem Beitrag um Europa. Nicht das »große«, wirtschaftliche oder politische, sondern um das »kleine«, ganz private und ideelle. Und für genau dieses Europa setzen sich länderübergreifende Städtepartnerschaften ein. Ein Gedanke, der zwar schon nach dem 1. Weltkrieg Befürworter fand, aber erst nach dem 2. Weltkrieg auch konkret umgesetzt wurde. So »verschwisterten« sich im November 1951 als erste europäische Städte das französische Troyes mit dem belgischen Tournai. Ende der 1950er streckte auch Darmstadt seine Fühler aus und knüpfte in den Jahren 1958/59 »schwesterliche« Bande mit eben diesem Troyes, aber auch Alkmaar in den Niederlanden und Chesterfield in Großbritannien. Insbesondere im deutsch- französischen Verhältnis wurden die Städtepartnerschaften als gutes Mittel gesehen, die »Erbfeindschaft« beider Länder endlich zu beenden. Dies bekräftigten auch Adenauer und de Gaulle im Deutsch-Französischen Vertrag vom 22. Januar 1963.

Inzwischen erstrecken sich ganze Partnerschaftsnetze quer durch Europa und darüber hinaus. Allein Darmstadt ist heute mit 14 Städten verschwistert. Die Bande reichen von Frankreich, England, Norwegen über Italien und die Schweiz bis nach Ungarn und Lettland. Solche Verschwisterungen müssen freilich auch gepflegt werden! Und was aus so einem Besuch in der Partnerstadt werden kann, mag das folgende Beispiel verdeutlichen:

Als Betreuerin einer Gruppe Darmstädter Jugendlicher kam ich nach Chesterfield, wo wir von den Mitgliedern des dortigen »twinning club« in Empfang genommen wurden. Dieser »club« - eine ganz typische englische Einrichtung - hatte in Zusammenarbeit mit der für die Verschwisterung zuständigen Angestellten der Stadtverwaltung, Unterkunft und Progamm für unseren Aufenthalt in der Partnerstadt organisiert. Ebenfalls vor Ort waren Jugendliche aus Troyes bei Paris, zugleich Partnerstadt von Chesterfield und Darmstadt. Wie bei solchen Auslandsaufenthalten nicht unüblich, spielten sich mehr oder weniger große Liebesdramen ab. Auch ich verliebte mich Hals über Kopf - und zwar in einen der englischen Organisatoren. Zu meiner großen Freude ging es ihm auch nicht anders. So fuhr ich zwar nach unseren acht Tagen Aufenthalt mit meiner Gruppe Jugendlicher zurück nach Deutschland, mein Herz blieb in England. Und dahin kehrte auch ich fast postwendend zurück, nachdem ich die Jugendlichen bei ihren Eltern abgeliefert hatte. Die folgenden 1 1/2 Jahre waren sehr zum Gewinn deutscher und englischer Telefonunternehmen und Fluggesellschaften. Danach hatten wir beide von dieser Situation genug, und nach einer erfolgreichen Bewerbung bei einer deutschen Firma zog »mein« Engländer zu mir. Seine Kenntnisse der deutschen Sprache beschränkten sich zu dem Zeitpunkt noch weitgehend auf die lebensnotwendigen Dinge, die Sprachanfängern in Volkshochschulkursen so beigebracht werden wie »Eine Tasse Kaffee, bitte!« oder »Wo geht es hier zum Bahnhof?«. Dies hat sich inzwischen geändert, wenngleich der Kampf mit der deutschen Grammatik noch nicht endgültig entschieden ist. Die Sprache ist und bleibt ein Problem, wir reden Englisch und Deutsch und – was wirklich nicht gut ist – manchmal ein Gemisch von beidem.

Nachdem wir uns durch sämtliche Mühlen der Bürokratie gekämpft haben, ist es uns tatsächlich gelungen zu heiraten. Jeder Tag ist ein Stück gelebtes Europa. Wenngleich die kulturellen Unterschiede nicht so groß sind, sind sie doch vorhanden und prägen uns und unsere Beziehung, denn wir müssen uns auch damit immer wieder auseinandersetzen. Da ist zum Beispiel die unterschiedliche Vorstellung unserer Wohnsituation: in England ist der Erwerb eines eigenen Häuschens ganz selbstverständlich, während hier die meisten Menschen glücklich in Miete leben ohne weiters darüber nachzudenken. Da ist das Denken in Klassenkategorien in England, das mir als gedankliches Konzept fremd ist, und da sind viele andere kleine Dinge. Gut verstehen kann ich beispielsweise seinen Ärger über das fehlende Wahlrecht. In England dürfen Ausländer mit festem Wohnsitz schon nach relativ kurzer Zeit das passive Wahlrecht ausüben. Dahinter steckt einfach ein anderes demokratisches Grundverständnis.

Auch unsere Essgewohnheiten sind »europäischer« geworden. Dank Gyros, Pasta und Pizza ist die deutsche, mit indischem und chinesischem Essen die englische Küche in- ternationalisiert. Bei uns mischt sich das alles – Hauptsache es schmeckt. Wir können aus beiden Kulturen das raussuchen, was uns gefällt. Nationalisten werden ob dieser »Kulturvermischung« aufschreien. Aber jede Kultur verändert und entwickelt sich ohnehin und wir alle sind inzwischen auf dem Wege zu einer europäischen Kultur, in der auch regionale Eigenheiten abgeschwächt werden, aber doch Bestand haben. Wir leben längst in Europa – schon seit Jahrhunderten – viele habe das nur noch nicht gemerkt.

Cora G. Molloy

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