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Eine Oase ohne Kamele

Das Europäische Übersetzerkollegium

Das Europäische Übersetzerkollegium, das weltweit größte Arbeitszentrum für literarische Übersetzer, ist 20 Jahre alt geworden.

»Ich möchte darauf hinweisen, daß große Dinge nicht immer in großen Städten geschehen und nicht immer mit irrsinnigem Tamtam und Popp und Hopp, das schnell zerplatzt. Ich glaube, daß hier etwas ganz Großartiges geschehen ist, das wahrscheinlich bis heute fast einmalig ist«, so Schirmherr Heinrich Böll in seiner Festrede anläßlich der Eröffnung des neuen Domizils des Übersetzer-Kollegiums am 24. April 1985.

Am Beginn hatte eine Vision gestanden: eine Begegnungsstätte für literarische Übersetzer zu schaffen, einen Ort des kosmopolitischen Austausches ebenso wie der konzentrierten Arbeit, ein Haus vieler unterschiedlicher Schriftkulturen mitten in einer Grenzregion. Fast fünfundzwanzig Jahre nach den ersten konzeptuellen Vorüberlegungen ist dieVision tagtäglich erfahrbare Wirklichkeit geworden: Das »Europäische Übersetzer-Kollegium Nordrhein-Westfalen in Straelen« ist das weltweit erste und größte Arbeitszentrum für literarische und geisteswissenschaftliche Übersetzer. Aus allen Teilen der Welt kommen Übersetzer mit dem Auftrag eines Verlages ins niederrheinische Straelen, nutzen die vielfältigen Hilfsmittel des Hauses, treffen Kollegen, arbeiten allein oder mitunter auch in Gruppen und tauschen Tips und Erfahrungen aus. Auf 2000 Quadratmetern Wohnfläche stehen 30 komplett eingerichtete Appartements zum Wohnen und Arbeiten zur Verfügung. Neben Bibliotheks- und Tagungsräumen gibt es mehrere vollständig ausgestattete Küchen, in denen sich die Gäste selbst verpflegen.

1987 wurde der eingetragene, gemeinnützige Verein gegründet. Seit 1980 existiert ein provisorisches Haus mit sechs Zimmern und der ständig wachsenden Bibliothek. 1985 zog das EÜK um in sein heutiges, aus fünf ehemaligen Stadthäusern bestehendes Gebäude. Seit Mai 1992 ist dieses Gebäude um ein benachbartes sechstes Haus erweitert, in dem jedes Jahr über zwanzig Seminare für AutorInnen und ÜbersetzerInnen stattfinden.

Finanziell möglich gemacht wird die Arbeit des Kollegiums durch das Engagement des Ministeriums für Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, das die gesamten Betriebskosten des Hauses trägt. Darüber hinaus erhält das EÜK einen jährlichen Zuschuß von der Stadt Straelen und Projektmittel verschiedener Institutionen. Das Wohnen und Arbeiten im Europäischen Übersetzer-Kollegium ist für professionelle literarische Übersetzer grundsätzlich kostenlos, denn deren wirtschaftliche Lage ist meist so schlecht, daß sie die wie auch immer gearteten »Benutzergebühren» nicht aufbringen könnten.

Inzwischen nutzen jährlich über 750 Gäste aus aller Welt jeweils für zwei bis drei Monate die Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten im Kollegium. Tausende von Übersetzungen sind hier in den letzten zwanzig Jahren entstanden. Viele Gäste übersetzen entweder aus dem Deutschen oder ins Deutsche. Das Kollegium steht aber grundsätzlich Übersetzern mit allen Sprachkombinationen zur Verfügung.

Herzstück des Kollegiums ist die auf die Bedürfnisse literarischer Übersetzer ausgerichtete Spezialbibliothek mit 95.000 Bänden, bestehend aus 20.000 Nachschlagewerken in über 270 Sprachen und Dialekten, einer 55.000-bändigen Bibliothek mit Werken der Weltliteratur – meist in Original und Übersetzung – und 20.000 Sachbüchern.

Die Bibliothek des Kollegiums sammelt ein- und mehrsprachige Enzyklopädien und Allgemeinwörterbücher in grundsätzlich allen Sprachen und Dialekten und eine Vielzahl fachterminologischer Nachschlagewerke aus nahezu allen Bereichen und Epochen. Gekauft werden insbesondere sehr teure und deshalb für den einzelnen oft unerschwingliche Nachschlagewerke, denn in Straelen soll all das stehen, was sich ein Übersetzer erträumt, aber nicht leisten kann.

Regina Peeters

Dem Projektleiter Dr. Klaus Birkenhauer stehen Geschäftsführerin Karin Heinz und Bibliotheksleiterin Regina Peeters hilfreich zur Seite. Sie werden unterstützt von Eva Maria Misera und Doris Hüßmann im Sekretariat. Regina Peeters leitet außerdem die Öffentlichkeitsarbeit, veranstaltet Lesungen und hat ein Kochbuch herausgegeben mit gesammelten internationalen Rezepten aus dem Europäischen Übersetzer-Kollegium. (Gerty Mohr)

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