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MATHILDE

Statt grenzenloser Freiheit in die Falle geraten

Interview mit Dr. Lea Ackermann – »Frau Europas 1998«

Was im Schulunterricht noch als ro mantische Liebesgeschichte erzählt wird, die Sage von der Entführung der Europa durch Zeus in Stiergestalt, findet heute alltäglich fast unbeachtet von der Öffentlichkeit als grausames Geschäft mit den Träumen junger Frauen von Freiheit und Wohlstand seine Entsprechung. Als kompetente Ansprechpartnerin konnte Mathilde Dr. Lea Ackermann, »Missionschwester unserer Lieben Frau in Afrika« und wegen ihres Engagements für Prostituierte mit dem Titel »Frau Europas 1998« ausgezeichnet, für ein Interview gewinnen.

 

Unser Schwerpunktthema heißt »Europa für Frauen«. Wie beurteilen Sie die Situation der Frauen, insbesondere nach dem Wegfall des »Eisernen Vorhangs«?

Die Öffnung der Grenzen hat gerade für die Frauen aus osteuropäischen Ländern einen bitteren Beigeschmack. Sie haben vom freien Westen geträumt, von dem Respekt, der Hochachtung, der Emanzipation der Frauen zum Beispiel in Deutschland und sind in eine Falle geraten. Man hat ganz sicher diese Erwartungen und Vorstellungen vieler dazu genutzt, sie mit Angeboten, die ihren Träumen, aber nicht der Realität entsprachen, in den Westen zu locken. Es wurde ihnen eine gute Arbeit versprochen, dieses Versprechen aber nicht eingelöst. Die Frauen und Mädchen kommen nach Deutschland, sie sind der Sprache nicht mächtig. Die Pässe werden ihnen abgenommen. Oft werden sie zur Prostitution gezwungen, vergewaltigt, geschlagen, entwürdigt, ausgehungert und nicht einmal für ihre Dienstleistung bezahlt.

Sie haben bis 1988 in Afrika gearbeitet und dort die Organisation SOLWODI (Solidarity with women in distress) gegründet. Jetzt sind Sie und Ihre Mitarbeiterinnen in Deutschland tätig. Welche spezifischen Probleme haben Ihrer Ansicht nach Ausländerinnen in Deutschland?

Für Migrantinnen sind die Schwierigkeiten in Deutschland enorm. Sie haben keinen ausländerrechtlich gesicherten legalen Aufenthalt, wenn sie mit einem Visum nach Deutschland kommen; es wird hier nicht verlängert. Sie geraten sehr schnell in die Illegalität. Wenn sie eine Arbeit finden, ist das nicht erlaubt. Sie sind nicht krankenversichert. Die Abhängigkeit der Migrantinnen wird dann noch zusätzlich dazu ausgenutzt, keinen gerechten Lohn zu zahlen. Sie werden in Abhängigkeit gehalten und viele von ihnen geraten in die Zwangsprostitution.

Können Sie unseren Leserinnen einen exemplarischen Fall schildern, wie Frauen nach Deutschland gelockt werden und auf welchen Wegen sie dann zu Ihnen gelangen?

Es kommen immer wieder, auf Vermittlung der Jugendämter, sehr junge Mädchen (16, 17, 18 Jahre) in unsere Beratungsstelle. Ich denke da besonders an Miriam. Sie war gerade 17, als sie in ihrem Heimatland einen charmanten jungen, deutschen Mann kennenlernte. Ein Landsmann von ihr machte die Übersetzungen, und sie war völlig geblendet von dem Charme und der Werbung des jungen Mannes. Familiäre Schwierigkeiten (ihre Großmutter, bei der sie lebte, war gestorben und der Lebensgefährte der Mutter stellte ihr nach) erleichterten ihr die Entscheidung. So schien der Deutsche, der in sie verliebt schien, der Ausweg zu sein. Er warb um sie und lud sie nach Deutschland ein mit dem Versprechen, ihr einen gut bezahlten Job als Kellnerin zu verschaffen. Es störte sie nicht, daß der Deutsche ihr einen anderen Paß gab und noch zwei andere junge Frauen mit nach Deutschland brachte. Erst als sie über der Grenze waren, forderte er sie auf, sich mit fremden Männern zu prostituieren. Sie war entsetzt und lehnte ab. Dann wurde Miriam von drei Männern eine ganze Woche lang immer wieder vergewaltigt und mißbraucht. Sie war total fertig und weinte viel. Weil sie nicht zustimmte, gab man ihr nichts zu essen, nahm ihre Kleider weg, damit sie nicht flüchten konnte, bis sie endlich einwilligte. Schon nach 14 Tagen stieß die Polizei bei einer Razzia auf sie. Sie war bereit auszusagen. Die Polizei kannte die Kontaktstelle SOLWODI, und in Absprache mit dem Jugendamt wurden wir eingeschaltet. Wir haben Miriam aufgenommen und in eine Schutzwohnung gebracht. Es wurden viele Gespräche geführt und gemeinsam Perspektiven entwickelt für ein Leben nach dem Prozeß. Sie besuchte zuerst einen Deutschkurs und entschied sich dann für eine Lehre als Apothekenhelferin. Als der Prozeß zu Ende ging, hatte sie nur noch ein halbes Jahr bis zum Abschluß ihrer Prüfung. Wir gaben Miriam auch eine Rechtsanwältin, die sie vor Gericht vertrat. Miriam konnte als Nebenklägerin in dem Prozeß gegen ihren Schlepper und Zuhälter aussagen. Wenn die Frauen nach dem Prozeß in Deutschland bleiben wollen, bereitet es große Schwierigkeiten, eine legale Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Das ist nur möglich, wenn sie sich durch die Aussagen vor Gericht so gefährdet haben, daß ihr Verbleib wenigstens für eine Zeit in Deutschland noch notwendig ist. In der Regel werden die Zeuginnen direkt nach dem Prozeß abgeschoben, was viele wie eine Bestrafung empfinden. Denn sie haben doch durch ihre Aussagen geholfen, daß die Verbrecher bestraft wurden.

Wie arbeitet Ihre Organisation?

SOLWODI arbeitet in der Beratung und Betreuung von Frauen und bietet Hilfe und Unterstützung durch psycho-soziale Betreuung und Rechtsberatung. Dabei haben sich zwei Schwerpunkte herausgebildet, die Opferzeuginnenbetreuung und das Rückkehrerinnenprojekt, wenn die Frauen in ihre Heimatländer zurückgehen wollen. Wir helfen bei der Wohnungssuche, der Beschaffung eines Ausbildungsplatzes und bei finanziellen Engpässen. Das alles betrifft die direkte Arbeit mit den Frauen. Hinzu kommt aber noch die Öffentlichkeitsarbeit. Es ist ganz wichtig, daß die breite Öffentlichkeit um das Schicksal und die Situation von Migrantinnen in unserem Land weiß, damit wir Unterstützung bekommen. Es ist auch wichtig für unsere Lobbyarbeit, denn nur wenn die breite Basis informiert ist, werden auch die PolitikerInnen dieses Thema aufgreifen und helfen, daß es Gesetzesveränderungen gibt, die den Migrantinnen einen größeren Schutz gewähren. Damit wir einer breiten Öffentlickeit bekannt werden, ist vor allen Dingen die Zusammenarbeit mit den Medien wichtig sowie die Organisation und Durchführung von Kampagnen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Vernetzung, d.h. Kontakte zu knüpfen mit anderen, Nichtregierungsorganisationen in Deutschland, um bei gemeinsamen Zielen zusammenzuarbeiten, damit wir auf internationaler Ebene stärker sind. Wenn die Frauen wieder in ihre Heimatländer zurückkommen, brauchen sie die Unterstützung und Hilfe von dortigen Nichtregierungsorganisationen und Gruppen.

Die Opfer des Frauenhandels werden bestraft und abgeschoben. Es gibt aber auch eine Initiative, ihnen eine Art Amnestie zu gewähren, um an die Hintermänner zu gelangen. Wie sehen Sie die Möglichkeiten, den Menschenhandel einzudämmen?

Gerade die Zeuginnenbetreuung von Opferzeuginnen in Menschenhandelsprozessen erweist sich als sehr zeitaufwendig. Viele Bemühnung bezüglich der Legalisierung des Aufenthaltes der Opferzeugin sind notwendig. Kontakte zur Polizei und Staatsanwaltschaft müssen gehalten werden. Es muß mit Rechtsanwältinnen zusammengearbeitet werden, damit die Frauen als Nebenklägerinnen auftreten können. Es ist auch wichtig, die Frauen auf die Vorgänge bei Gericht vorzubereiten. Weiter müssen sie psycho-sozial stabilisiert und so untergebracht werden, daß sie geschützt sind. Eine Möglichkeit den Menschenhandel einzudämmen ist es, die Fauen zu ermutigen und zu schützen, damit sie Aussagen machen können gegen die Zuhälter. Nur dann sind diese zu bestrafen und dingfest zu machen. Wenn die Frauen gleich auf Staatskosten abgeschoben werden, dann können die Schlepper und Zuhälter immer wieder neue Frauen ins Land holen. Die Rückreise wird immer wieder von Steuergeldern finanziert. Ein zweites Moment, Menschenhandel einzudämmen, wäre, ganz klar das Verhalten der deutschen Kunden zu verändern. Wenn keine Nachfrage da wäre, dann würden auch keine Frauen und Kinder nach Deutschland geholt. So haben die Schweden ein neues Gesetz verabschiedet, das die Kunden bestraft und die Opfer, das heißt, Frauen und Kinder, schützt.

Was machen die Frauen, nachdem sie von SOLWODI Unterstützung erfahren haben? Gehen sie in ihre Herkunftsländer zurück oder bleiben sie in Deutschland?

Bei den Rückkehrhilfen handelt es sich um einkommenschaffende Maßnahmen. So haben viele Frauen, die über SOLWODI in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind, zum Beispiel einen Waschsalon, einen Telefonladen, einen Beautysalon, einen Imbißstand. Oder wir ermöglichen eine Berufsausbildung oder eine Berufseingliederungshilfe im Sinne einer ABM-Maßnahme. Sehr viele Frauen, die SOLWODI unterstützt hat, gehen in ihre Heimatländer zu ihren Familien zurück, weil sie nur negative Erfahrungen in Deutschland gemacht haben. Andere fühlen sich so gefährdet zu Hause, daß sie in Deutschland bleiben wollen. Die meisten von ihnen werden abgeschoben und bekommen keinen Aufenthalt in Deutschland.

Gibt es in Bezug auf das Europa ohne Grenzen auch einen positiven Aspekt für die Frauen?

Natürlich gibt es durch die Öffnung der Grenzen auch einen positiven Aspekt für die Frauen. Die Begegnung mit Frauen anderer Nationen, Länder, Kulturen ist immer bereichernd für alle. Ich denke, es gibt auch dem Selbstwertgefühl der Frauen und ihrer Emanzipation eine neue Stärkung, wenn sie einander begegnen, über ihre Probleme und auch über ihre Erfolge sprechen und sich so gegenseitig stützen. Das habe ich sehr deutlich bei der Weltfrauenkonferenz in Nairobi gespürt, daß die Frauen in Kenia von dieser Begegnung mit Frauen anderer Kulturen sehr gestärkt und ermutigt waren in ihrem Alltag ebenfalls ihren Weg zu gehen. Das gleiche war in Peking der Fall. Und das gleiche wird auch in Europa mehr und mehr der Fall sein, wenn sich Frauen über die nationalen Grenzen hinaus begegnen, sich kennenlernen und austauschen.

Frau Dr.Ackermann, vielen Dank für das Gespräch.

Angelika Zwack

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