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... so gut ging es mir in jungen Jahren nie ...

Frauen in der Lebensmitte

Gunilla Malm und Beatrix Kraml führen gemeinsam eine psychotherapeutische Praxis in Darmstadt-Eberstadt. Sie haben beide in der Lebensmitte Kinder bekommen, einen beruflichen Neuanfang gemacht und beides miteinander verbunden. Beatrix arbeitet speziell mit essgestörten Frauen und Mädchen. hat sich mit den beiden Frauen unterhalten.

 

Ihr seid beide so um Mitte vierzig. Was bedeutet der Begriff "Lebensmitte" für euch persönlich?

Gunilla: Mir kommt ganz spontan in den Sinn, dass ich gerade in einer Phase von Neuorientierung bin, wobei ich schon davon ausgehe, dass diese Umbruchphase vielleicht nicht gerade die letzte in meinem Leben sein wird, dass so etwas aber nicht mehr ganz so oft vorkommen wird. Ich bin dabei, vieles auszuprobieren - mit mir - mit meiner Partnerschaft. Ich bin noch mal in eine eigene Wohnung gezogen. Das ist nicht nur einen leichte örtliche Veränderung, diese Entscheidung hat sehr viel Dynamik zwischen mir und meinem Mann in Gang gebracht. Wir wissen noch nicht, wo wir gelandet sind. Viel stärker als früher ist mir bewusst, dass mein Leben nicht unendlich ist

Beatrix: Ich habe noch einmal spät Kinder bekommen, das war für mich so eine zweite Etappe, ich habe noch einen älteren Sohn, den habe ich mit 21 geboren. Ich war nochmals stark auf die Familie zentriert. Der mittlere Sohn ist jetzt schon 8 und selbständiger. Ich kann wieder nach vorne sehen, obwohl ich schon 47 bin. Ich weiß noch nicht, was es mir bringen wird. Wir wollen unsere Wohnsituation ändern, vieles ist im Umbruch. Auch mit unserer Praxis werden wir umziehen

Gunilla: Da ich spät dran war mit meinen Kindern, kann ich mir nicht leisten zu sagen, jetzt sind die Kinder dran. Wenn die Kinder größer sind, bin ich schon über 50. Deshalb war für mich klar von Anfang an, dass Beruf und Kinder nebeneinander laufen würden. Ich kann mir vorstellen, ich hätte den Beruf sonst mehr vernachlässigt, als ich es jetzt tue

Habt ihr euer Leben bis heute geplant oder hat sich vieles einfach ergeben?

Beatrix: Als ich so um die dreißig war, war gerade eine Sterilisierungswelle, das wollte ich nicht, ich wusste, ich will eventuell noch Kinder bekommen. Mein ältester Sohn war schon 12, ich habe mich beruflich noch mal stark engagiert und eine Ausbildung gemacht. Danach wollte ich eine Familie gründen, weil ich unzufrieden war mit dem, was ich in jungen Jahren erlebt habe; von dem ich dachte: "Das kann es nicht gewesen sein." Auch ich wollte Beruf und Kinder. Es war immer so ein Spagat zwischen Beruf und Familie und ich bin damit oft ganz gewaltig an Grenzen gestoßen, an Grenzen der Leistungsfähigkeit, wo ich beruflich auch immer wieder mit Enttäuschung fertig werden muss, wo ich denke: "Wenn du jetzt keine Kinder hättest, könntest du ganz anders loslegen." Es geht beruflich einiges an mir vorbei, aber ich habe mich nun einmal für die Kinder entschieden. Im ganzen finde ich es gut, wenn auch anstrengend. Auch mit meinem Partner muss ich mich auseinandersetzen, wir müssen uns abstimmen, um terminlich und organisatorisch Familienarbeit und Beruf aufzuteilen. Als ich mich noch einmal für Kinder entschied, war mir klar, dass ich sie nicht als allein erziehende wollte.

Würdet ihr rückblickend manches anders machen?

Beatrix: Als ich jünger war, habe ich meine berufliche Seite vernachlässigt. Ich habe auch politisch gearbeitet, bin sehr großzugig mit meiner Zeit umgegangen. Später wollte ich vieles nachholen.

Gunilla: Bei mir ist das in meinen jungen Jahren ganz anders gelaufen. Ich habe ja kein großes Kind. Für mich war klar: "Ich bekomme keine Kinder und ich will keine Familie." Ich stamme aus einem winzigen finnischen Dorf, wo es nur Familienleben gibt. Es war sehr eng und ich war froh, da heraus gekommen zu sein. Ich hatte ein starkes Bedürfnis, in der Welt herumzureisen. Ich habe in Tansania fünf Jahre gelebt und als Lehrerin an einer Fachhochschule für Sozialarbeit in der Entwicklungshilfe gearbeitet. Das war für mein berufliches Fortkommen nicht so wichtig, aber um so mehr für meine persönliche Entwicklung. Ich bereue da nichts. Ich hätte zwar gerne früher gewusst, was ich eigentlich wollte. Mit meiner Geschichte habe ich einfach länger gebraucht, ich musste vieles ausprobieren. Die Geschichte meiner Mutter hat sehr abschreckend auf mich gewirkt. Meine Mutter war gerade 18, als ich auf die Welt kam und ich hatte immer das Gefühl, dass sie das so nicht wollte, sondern eher mein Vater. Sie hat sich immer nach der Zeit davor zurückgesehnt. sie hat mir erzählt, dass sie mit Pferden umhergestreift ist und sich frei fühlte. Ich wusste: "Wenn das Familie heißt, immer eingesperrt im Haus, dann will ich was anderes." Das hat mich sehr bewegt, und ich war erst einmal mit Abgrenzen beschäftigt gegen das was ich nicht wollte. Erst mit Mitte dreißig konnte ich mir vorstellen, auch Kinder zu bekommen. Und dann habe ich das auch richtig geplant. Ich bin rasch schwanger geworden, habe bald gewusst, dass ich Zwillinge bekommen würde und dachte zunächst, dass ich bei zwei Kindern auf einmal Schwierigkeiten haben würde, Kinder und Beruf zu verbinden. Sie sind kurz nach der Geburt gestorben und in dieser Phase wurde mir noch klarer, dass ich Kinder haben wollte. Ich bin dran geblieben und habe ja jetzt auch zwei. Ein großer Glücksfall war, dass Beatrix mich gefragt hat, ob ich mit ihr zusammen die Praxis machen will. Wir haben gleichzeitig ein Kind bekommen und die Praxis angefangen, das ist jetzt sechs Jahre her. Ich habe mir vorgestellt, dass ich eine solche selbständigen Tätigkeit eher mit Kindern verbinden kann und das ist auch so gekommen.

Kommen in Eure Praxis viele Patientinnen der Lebensmitte und mit welchen Problemen kommen sie zu euch?

Beatrix: Frauen in der Lebensmitte haben schon wichtige Erfahrungen hinter sich, gerade in punkto Partnerschaft. Sie haben eine oder zwei längere Partnerschaften hinter sich und es kommt in der Therapie zur Sprache: soll ich auf der Stelle treten oder soll sich noch einmal etwas ändern? "Ich stecke fest" - das manifestiert sich oft in Rückenschmerzen. Körperliche Beschwerden stehen im Vordergrund, aber Frauen suchen oft nach einer anderen Orientierung.

Gunilla: Ich habe relativ viele Frauen in der Altersgruppe zwischen 40 und 50. Es sind oft Frauen, die eher früh Kinder bekommen haben. Vor 20 Jahren gab es ja noch mehr Frauen, die zu Hause bei den Kindern geblieben sind und die sich selbst verloren haben. Wenn die Kinder flügge werden, ihr eigenes Legen führen wollen, stellen diese Frauen fest, wie orientierungslos sie sind, wie wenig Raum für sie im Leben geblieben ist. Viele Frauen kommen wegen Depressionen, weil sie zum ersten Mal spüren, wie leer das eigene Leben ist. Es gibt viele Scheidungen, Trennungen. Es wird klar, die Lebensführung bislang funktioniert nicht mehr, da steht was Neues an.

Beatrix: Auch beruflich wollen Frauen in dem Alter sich oft noch einmal verändern, Wenn sie an Grenzen stoßen. Sie wollen sich umorientieren, wenn sie merken, es klappt nicht an der Arbeitsstelle, das kann es nicht sein, ich lasse mir das und das nicht mehr bieten. Sie suchen mehr Selbstbewusstsein am Arbeitsplatz, das sind Dinge, die ich erlebe.

Gunilla: Beruflich heißt es bei Frauen dann: jetzt oder nie. Die Frauen wissen, sie haben nicht mehr so viel Zeit und gehen bewusster damit um. Ich merke auch oft, dass Frauen noch etwas vom Leben wollen. Nach der Kinderphase, in der kaum Zeit für Eigenes bleib, kommt die Frage: was will ich eigentlich vom Leben? Es ist keine Sackgasse, sondern eine Chance, das Leben noch einmal neu anzufangen

Jedenfalls kommen die Frauen in der Lebensmitte mit anderen Problemen als jüngere Frauen. Bei Jüngeren ist noch ganz viel Identitätssuche, wer bin ich überhaupt? Sie haben noch gar nicht richtig angefangen. Das unterscheidet die Generation heute auch von unserer Generation, wir hatten noch viel mit Restriktionen und Autorität zu tun. Viele junge Frauen wachsen in einer Art Leerraum auf. Ich habe das Gefühl, viele Frauen in der Lebensmitte haben mit Grenzen, inneren und äußeren, zu kämpfen. Sie haben zu kämpfen mit Idealvorstellungen und eigenen Bedürfnissen, daraus entstehen Konflikte.

Kommen auch lesbische Frauen dieser Altersgruppe in Eure Praxis? Welche Probleme haben sie?

Beatrix:: Auch bei ihnen geht es primär um Beziehungsprobleme. Lesben leben oft in einer sehr symbiotischen Lebensgemeinschaft, die von einem starken Harmoniebedürfnis geprägt ist und die notwendige Abgrenzung schwierig macht. Dann entstehen Konflikte, die schwer zu lösen sind

Gunilla: Lesbische Frauen sind eher jünger, wenn sie in die Praxis kommen. Sie brauchen manchmal Beratung, wenn sie sich ein Kind wünschen, oft sind sie dann in den Dreißigern. Nicht selten leben Lesben auch in einer Familie mit dem Kind der Partnerin oder mit eigenen Kindern aus einer früheren Partnerschaft und haben damit Probleme.

Denkt ihr schon manchmal an die Wechseljahre, ans Alter?

Beatrix: Ich bemerke schon körperliche Veränderungen bei mir. Trotzdem geht es mir jetzt - so wie ich mir mein Leben eingerichtet habe - gut - so gut ging es mir in jungen Jahren nie. Ich fühle mich so ausgefüllt, so aktiv und so frei auch. Es liegt an mir, wie ich mein Leben gestalte. Diesen Eindruck hatte ich in früheren Jahren nie. Ein neu erworbenes Gefühl, das bei mir so um die Lebensmitte aufgetreten ist. Als ich jung war, da habe ich viel gekämpft, um mich durchzusetzen.

Ich denke schon manchmal, wie wird es sein, wenn ich 15 Jahre älter bin, ich weiß es nicht. Ich habe in der Partnerschaft wesentlich weniger Ängste, z. B. dass ich mich als Frau verlieren könnte. Auch im Beruf habe ich mich, meinen Identität, gefunden. Diese Position macht es mir auch leichter, auf Männer zuzugehen und meine Grenzen zu messen. Das macht mir Spaß.

Gunilla: Mir fällt auf, dass ich mehr körperliche Grenzen spüre. Ich muss mehr tun als früher, um fit zu bleiben. Das läuft nicht einfach so. Ich brauche mehr Schlaf und das ist schon ein Punkt, wo es manchmal anstrengend ist mit kleinen Kindern, wenn du die Nächte nicht für dich hast. Auf der anderen Seite erlebe ich mich auch freier als früher. Ich schere mich weniger um Konventionen. Ich habe mehr Vertrauen, meinen Weg zu gehen. Ich habe ja viel auch in der Frauenbewegung gemacht. Das war ganz wichtig und ich möchte die Zeit nicht missen. Trotzdem habe ich auch dort ganz viel Anpasssungsprozesse geleistet. Das war wie eine Ersatzfamilie für mich eine Weile, nachdem ich von meiner Familie weg war. jetzt bin ich als Individuum wichtiger, nicht im Sinne von losgelöst, ich bin schon noch eingebettet, aber nicht mehr so festgelegt wie früher und es wechselt schneller.

Ich habe immer noch mit der Frauenbewegung zu tun, habe Anknüpfungspunkte zu Frauen. Ich möchte jetzt aber auch wissen wie machen Männer das, wo können Frauen und Männer voneinander lernen. Manchmal denke ich darüber nach, wie mein Leben in 15 oder 20 Jahren aussehen wird. Vielleicht lebe ich dann wieder in einer Art von Wohngemeinschaft. Im Moment möchte ich das nicht. Ich habe eine solche Erfahrung in dem Haus gemacht, in dem ich lebe. Eine Frau von über neunzig, die keine Kinder hatte, wohnte auch im Haus. Sie hat miterlebt, wie Nora und Robin geboren wurden. Das fand ich gut, verschiedene Altersgruppen waren zusammen, ohne dass die Enge einer Familie entstand. Das könnte ich mir später auch vorstellen.

Beatrix: Spannend ist die Auseinandersetzung mit meinem Sohn, er ist jetzt 26. Wir können uns offen aus unserem Erfahrungsbereich Dinge erzählen, was ich bei meinen Eltern immer vermisst habe. Ich erzähle ihm von meinen Männergeschichten früher und er erzählt mir von seien Frauengeschichten. Das ist bereichernd und interessant, ich habe so etwas mit meinen Eltern nie erlebt.

Gunilla: Ich habe mehr Überblick und finde es beachtlich, welche Wege ich schon ausprobiert habe. Daraus erwächst mir auch Zuversicht. Ich weiß nicht, bleiben Günter und ich zusammen. Wir haben jetzt getrennte Wohnungen, wie wird sich das entwickeln? Ich habe an einem solchen Punkt früher viel mehr Ängste gehabt, die habe ich jetzt auch noch, aber doch mehr Zuversicht, dass sich etwas daraus entwickeln wird. Ich bin offener für Auseinandersetzungen und dafür, Sachen auszuprobieren, ohne vorher festlegen zu müssen, nur so und nicht anders. Ich denke, ich bin auch toleranter geworden.

Das Interview führte Barbara Obermüller.

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