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Ladylike mit Speer und Bike

In England zum Beispiel hatte man andere Vorstellungen davon, was »ladylike« war und was nicht. Das erste Frauenfußballspiel vor interessiertem Publikum fand dort 1895 statt. Veranstalterin war der British Lady Football Club. Die Frauen kickten in langen Strümpfen, Bluse und knielangem Rock. Empörend fand man auf der Insel dagegen, dass eine 16jährige 1893 mit ihren Freunden auf dem Rad von Brighton nach London fuhr (in der beachtlichen Zeit von 8,5 Stunden für 120 Meilen, das entspricht einem Schnitt von 22 km/h) – sie fuhr auf einem Herrenrad und hatte keine Anstandsdame dabei.

Frauen bei sportlichen Wettkämpfen waren in Deutschland um die Jahrhundertwende aber immer noch ein Tabu. Alles, was dazu gehört – Konkurrenz, Rekorde, Überbieten – galt als unweiblich und ungesund. Frauen, die sich im Wettkampf messen wollten, wurden schnell als »pervertiert«abgestempelt. In Frankreich, Belgien, England und den USA gab es bereits Frauenwettkämpfe und Schulen für Berufsradfahrerinnen, die man allerdings mehr dem Artistenmilieu als dem Sport angehörig empfand.

Bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit, 1896 in Athen, waren keine Frauen am Start. Pierre Baron de Coubertin, der Initiator der Spiele, wollte Frauen generell von den Spielen der Neuzeit ausschließen. Ein griechisches Mädchen meldete sich dennoch zum olympischen Marathonlauf an. Sie wurde abgewiesen. Eine Woche vor Beginn der Spiele lief sie die Strecke ab, begleitet von vielen Radfahrern und kontrolliert vom Bürgermeister der Stadt Marathon. Sie brauchte 4 Stunden und 30 Minuten. Ihr Name ist nicht überliefert. Bei den zweiten Spielen der Neuzeit, 1900 in Paris, konnte Coubertin die Teilnahme der Frauen im Tennis und Golf nicht verhindern. Im gleichen Jahr schwamm Renate Schulz aus Hamburg 1:57,6 min. über 100 m Freistil – die erste bekannte Höchstleistung einer Schwimmerin.

Es sollte jedoch noch zwölf Jahre dauern, bis Frauen überhaupt bei Olympischen Spielen schwimmen durften. Und dann auch nur über 100 m und 4 x 100 m Freistil, damit sie sich nicht zu sehr erschöpften. 1924 durften sie dann auch über 200 m an den Start gehen.

Anfang des 20. Jahrhunderts steckte die Frauenleichtathletik noch in den Kinderschuhen. Hürdenlauf, Hochsprung und ähnliche Sportarten ließen sich nun einmal nicht in lagen, weiten Hosen ausüben, und die kurzen Sporthosen waren den Sittenwächtern ein Dorn im Auge. Wenn in den Zeitungen über Frauenleichtathletikwettbewerbe berichtet wurde, nannte man die Frauen nur beim Vornamen (Fräulein Emma, Fräulein Margarete etc.), um den Familien der Sportlerinnen die Schande zu ersparen. Bis in die 1920er Jahre mussten Leichtathletinnen auf dem Platz hinter einem Gebüsch oder sonstigem Sichtschutz trainieren, damit sie von den Männern nicht gesehen wurden.

Die ersten olympischen Leichtathletikwettbewerbe für Frauen gab es 1928: 100 m Lauf, 80 m Lauf, 4 x 100 m Staffel, Diskuswurf und Hochsprung. 1932 kamen Speerwerfen und 80 m Hürdenlauf dazu, 1948 Weitsprung und Kugelstoßen. Die 800 m Distanz wurde aber bereits 1932 wieder abgeschafft, weil die Strecke für Frauen angeblich zu anstrengend war. (Erst 1960 traute man ihnen wieder zu, so weit zu laufen.) Dafür durften sie jetzt 400 m schwimmen und kunstspringen. 1928 wurde auch das Frauenturnen bei Olympia eingeführt, erst einmal als Mannschaftswettbewerb.

Jede weitere Sportart mussten die Frauen sich schwer erkämpfen. Marathonlauf für Frauen wurde zum Beispiel erst 1984 olympisch, die 10.000 m 1988. Zwar war Frauensport Ende der 1920er Jahre und ganz besonders in den zwölf Jahren der Naziherrschaft durchaus erwünscht, aber auch hier stand wieder die Stärkung des Frauenkörpers für die Mutterschaft im Vordergrund. Grundsätzlich galten Mädchen und Frauen aufgrund ihrer »besonderen Aufgaben« als weniger leistungsfähig und sollten ihre Kräfte für die Mutterschaft schonen; direkte Vergleiche mit Jungen und Männern wurden strikt vermieden.

»Kurzstreckenläufe über 100 m hinaus sind für Frauen überhaupt nicht zu empfehlen. Jedenfalls wähle man, wenn man sie durchaus wünscht, nicht gerade 100 m , sondern etwa 150 m, um eine Verwechselung mit dem 10 m Lauf des Mannes nicht aufkommen zu lassen. Wettkämpfe von Frauen mit Männern sind selbstverständlich ausgeschlossen«, schreibt Medizinalrat Prof. Dr. Johannes Müller in seinem Lehrbuch »Die Leibesübungen« 1926, ein Standardwerk für »Turn- und Sportlehrer(innen), Turner und Sportsleute, Ärzte, Lehrer und Studierende, für das Studium an den Hochschulen für Leibesübungen und an pädagogischen Akademien«.

Frauen wurden in den Sportlehrbüchern dieser Zeit als Ausnahme geschildert. Ihre körperliche Ertüchtigung war zwar erwünscht, aber ihr Ehrgeiz sollte nicht über Gebühr geweckt werden. Man(n) befürchtete, dass sie sich sonst nicht mehr auf ihre »natürlichen«Aufgaben konzentrieren würden. Kapitel wie »Frau und Leichtathletik«(24 Seiten in Dr. Carl Krümels »Athletik. Ein Handbuch der lebenswichtigen Leibesübungen« 1930) sind zum Großteil der Größe und dem Gewicht der Gebärmutter, dem geschätzten Blutverlust bei der Menstruation, den Wachstumsphasen der Mädchen und dem Hinweis gewidmet, dass Überanstrengung genauso wie Unterforderung die Tätigkeit der Eierstöcke behindert. Brauchbare Trainingsanweisungen für Frauen gab es nicht.

Bei den Olympischen Spielen 1936 nahmen 4066 Athleten teil, darunter 328 Frauen. Sportlerinnen in langen Hosen, zum Beispiel beim Skifahren oder im Trainingsanzug, waren keine Sensation mehr. Die Eiskunstläuferin Sonja Henie holte sich ihr drittes Olympiagold, und Weltrekordhalterin und Multitalent Giselala Mauermayer, deren Lieblingsdisziplin Kugelstoßen nicht im Programm war, nahm als Ausgleich die Goldmedaille im Diskuswurf mit nach Hause. Insgesamt präsentierten sich die Frauen wesentlich selbstbewusster und kämpferischer als in den Jahren zuvor.

Während des Zweiten Weltkriegs fanden kaum internationale Sportwettkämpfe statt. Die Olympischen Spiele 1940 und 1944 wurden abgesagt. Bei den Olympischen Spielen 1948 in London waren deutsche SportlerInnen ausgeschlossen. Bei diesen Spielen waren Frauen zum ersten Mal keine belächelten Exotinnen mehr. Es sind die Spiele der Niederländerin Fanny Blankers-Koen, von den Medien als »fliegende Hausfrau«bezeichnet. Die zweifache Mutter, mit 30 Jahren nach allgemeiner Meinung schon viel zu alt für Olympische Spiele, erläuft sich vier Goldmedaillen. Die fassungslosen Journalisten beruhigt sie mit dem Satz: »Ich bin so gern in der Küche wie auf dem Sportplatz.«

Erst Anfang der 50er Jahre wurden deutsche Sportverbände wieder in die internationalen Vereinigungen aufgenommen und erhielten damit auch die internationale Startberechtigung.

1952 wurde zum ersten Mal eine Weltmeisterschaft im Frauenvolleyball ausgetragen. Im gleichen Jahr durften bei den Olympischen Spielen in Helsinki erstmals Reiterinnen an den Start gehen. Und zum ersten Mal starteten die Frauen im Skilanglauf. Im Vorfeld hatte es heftige Diskussionen gegeben, ob man Frauen eine 10 km lange Strecke überhaupt zumuten könnte. Die Teilnehmerinnen belehrten die Zweifler eines Besseren.

Überhaupt trumpften die 518 Frauen unter den 4925 Teilnehmern auf. Im Turnen der Frauen wurde der Achtkampf und die Einzelwertung eingeführt, die Ski-, Schwimm- und Leichtathletikwettbewerbe wurden ausgeweitet. Frauen bestritten mehr Wettbewerbe und waren damit auch sichtbarer.

1956 gewann eine reine Frauenequipe im Dressurreiten die olympische Silbermedaille, zur großen Überraschung der Konkurrenten und Kommentatoren. Die 18jährige Australierin Betty Cuthbert räumte sechs Golmedaillen in der Leichtathletik ab. Die 371 Frauen (gegenüber 2813 männlichen Teilnehmern) starteten in den Laufwettbewerbenn, im Schwimmen und Skifahren, Diskus- und Speerwurf, Kugelstoßen, Kajakfahrenn, Hoch- und Weitsprung, Reiten – sie waren nicht mehr aufzuhalten.

Dennoch wurde und wird bis heute über Sportlerinnen anders berichtet als über ihre männlichen Kollegen. Sie müssen sich gefallen lassen, dass ihre Frisur, ihr Körperbau und ihr Privatleben kommentiert werden.

Die weiblich Anatomie hat die Herren der (Sport-)Schöpfung nicht nur in den ersten dreißig Jahren dies Jahrhunderts offensichtlich mehr interessiert als die sportlichen Leistungen der Frauen. Die Generation erfolgreicher Sportlerinnen, die Anfang der sechziger Jahre auf den Plan trat, zeigte, dass sie genauso professionell sein konnte wie die Männer. Die »Mädels« wie sie von Funktionären und Sportreportern heute oft noch genannt werden, wurden nicht gefeiert, wie sie es verdient gehabt hätten. Wer so gut im Sport ist, kann doch keine richtige Frau sein, oder?

Flugs dachten sich die Funktionäre eine besonders üble Schikane aus: den Geschlechtstest. Die Athletinnen mussten nun beweisen, dass sie tatsächlich Frauen waren.
1966 bei den Leichtathletik-Europameisterschaften mussten 243 Wettkämpferinnen praktisch nackt vor einer Kommission – männlich – Ärzte vorbei defilieren, und im gleichen Jahr bei den Commonwealthspielen zwang man sie, ihre äußeren Geschlechtsteile einem Gynäkologen zu zeigen. Diese Art der Untersuchung wurde auch bei anderen Wettkämpfen eingeführt.

Nachdem die Empörung unter den Athletinnen immer größer wurde, ging das Internationale Olympische Komitee zu wissenschaftlich heftig umstrittenen Chromosomen- und Polymerase-Kettenreaktionstests über. Dazu musste man den Frauen »nur«im Mund herumschaben oder ihnen Haare ausreißen. Solche fehlerbehafteten Tests haben bereits die sportlichen Karrieren etlicher Athletinnen auf traumatische Weise beendet, aber kaum eine hat gewagt, sich dagegen zur Wehr zu setzen.

Nach und nach haben sich Frauen eine Sportart nach der anderen erobert. Ganz fertig sind sie damit noch nicht.
Sie spielen Fußball, boxen, ringen und springen neuerdings auch stabhoch. Seit 1997 dürfen Frauen den 3000 m Hindernislauf bestreiten. Männer laufen 110m Hürden, Frauen liefen bis 1968 über 80 m Hürden, seither 100 m. Männer starten im Zehnkampf und gelten dort als Könige der Leichtathleten. Frauen glaubt man lange Jahre höchstens einen Fünfkampf zumuten zu können; den Siebenkampf dürfen sie erst seit 1984 bestreiten.

Andrea C. Busch

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