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Frauen erobern den Sport

Über Männer im Sport wird häufiger und länger berichtet als über Frauen. Männer werden lauter bejubelt, besser bezahlt, weniger kritisiert und intensiver gesponsert. Frauen werden schneller vergessen.

Deshalb möchte ich ab der nächsten Ausgabe der MATHILDE in jedem Heft eine Sportlerin vorstellen.

Durch die Jahrtausende hindurch findet man immer wieder vereinzelte Darstellungen von Frauen, die sich sportlich betätigen: Da sind ägyptische Wandmalereien aus der Zeit 2600 v. Chr. mit Ballspielerinnen und Akrobatinnen; römische Fußbodenmosaike aus der Zeit zwischen 500 und 1 v. Chr. mit jungen Frauen bei der Gymnastik, beim Hanteltraining und Ballspiel; ein Edelfräulein in langem Gewand beim Schlagballspiel, gemalt von einem unbekannten Meister oder einer Meisterin um 1450 n. Chr. Eine französische Chronik aus dem 15. Jahrhundert berichtet von Margot aus dem Hennegau, die 1427 in Paris im Tennis brillierte, so dass nur die besten Spieler gegen sie eine Chance hatten (sie bleibt für die nächsten vierhundert Jahre die einzige namentlich bekannte Tennisspielerin).

Im 17. Jahrhundert kam sportliche Betätigung beim Adel in Mode. Königin Elisabeth I. von England spielte Golf, und adlige Damen in Frankreich und den Niederlanden vergnügten sich mit Federball, wobei es allerdings wesentlich geruhsamer zuging als heute.

Die Aufklärung brachte einen Wandel des Menschenbildes. Rousseau forderte 1762 die körperliche Ertüchtigung der Jungen, aber auch der Mädchen und Frauen: »Wenn die Weiber kräftig werden, werden es die Männer um so mehr.«

Die Ertüchtigung der Jungen sollte der Abhärtung und damit nicht zuletzt der Wehrfähigkeit dienen, die der Mädchen der Gebärfähigkeit (eine Einstellung, die sich noch fast zwei Jahrhunderte hielt). Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Turnbewegung. Sport galt als elitär, etwas für die bessere Gesellschaft; Turnen war volkstümlich. Sport strebte die Höchstleistung in einer Disziplin an, Turnen die Vielseitigkeit. Immer mehr Sportarten galten als »gentlemanlike«, es wurden überall in Europa (Männer-)Clubs und Vereine gegründet. Frauen tauchten nun etwas öfter in den Sportchroniken auf, die ersten Gymnastiklehrbücher für Mädchen erschienen. Ermutigt vom Beispiel einzelner adliger Damen, zogen die bürgerlichen Frauen nach. Der Kampf um die Bewegungsfreiheit war für die Frauen auch ein Kampf gegen das beengende Korsett.

Badende Frauen zum Beispiel waren für ihre Zeitgenossen ein Problem. Um die Moral nicht zu gefährden, mussten für die Frauen eigene Badeanstalten geschaffen werden (in Wien 1833, in Zürich 1837, in Basel 1841). Eine besondere Leistung dieser Schwimmpionierinnen bestand sicher darin, in ihrer stoffreichen Badebekleidung nicht unter zugehen.

Natürlich betätigten sich adlige Frauen Mitte des 19. Jahrhunderts bereits sportlich: Tennis, Golf oder Bogenschießen waren Sportarten, die sich in langen Kleidern ausüben ließen und die Konventionen nicht verletzten.

Die Erfindung des Rades und seiner Vorläufer brachte die Moral jedoch in Gefahr: Sitte und Anstand forderten bedeckte Knöchel beim Radfahren; ein entblößter weiblicher Unterschenkel galt als im höchsten Grade anstößig. Gerade das Radfahren machte den Frauen bewusst, wie einschränkend sich ein Korsett und zwölf bis fünfzehn Pfund schwere lange Kleider auswirkten. Der Kampf um leichtere Kleidung dauerte Jahrzehnte. Etliche Frauen verkleideten sich als Männer, um ungestört in Hosen Radfahren zu können, wagten sich aber dann meist nur im Dunkeln hinaus. Eine Frau in Hosen? Skandalös! Findige Geschäftsleute boten zunehmend Hosen zum Radfahren an, die auf den ersten Blick wie Röcke aussahen.

In den Neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts wurden die Frauen in Hosen allerdings immer zahlreicher.

Die Radfahrvereine der Männer nehmen Frauen überhaupt nicht oder nur als geduldete Gäste auf. Daher wurde 1890 in Dresden der »Damen-Radfahr-Verein Velocia« gegründet; 1894 folgte in Berlin der »Damen-Radfahr-Klub«. Ende des 19. Jahrhunderts gibt es einen regelrechten Radfahrboom unter den bürgerlichen Frauen, allerdings misstrauisch beäugt und vielfach verteufelt von Presse, Kirche und Obrigkeit. Um die Jahrhundertwende entdeckten auch die Arbeiterinnen das Rad. Der sozialistische »Arbeiter-Radfahrer-Bund Solidarität« nahm Genossinnen auf, aber mit der Gleichberechtigung war es auch hier nicht weit her. Leitende Positionen konnten die Frauen nur im Ersten Weltkrieg besetzen; danach übernahmen die Männer wieder das Ruder. Außerdem konnten sich viele Arbeiterfamilien nur ein Rad leisten, und das wurde vom »Familienoberhaupt« gefahren.

Auch bei den sozialistischen Arbeiterturnvereinen gab es zu dieser Zeit Frauenabteilungen. Die sozialdemokratische Politikerin Clara Zetkin forderte die Arbeiterinnen auf, sich durch Körperübungen gesund zu halten. Im Arbeiter-Turner Bund hatten die Frauen das gleiche Stimmrecht wie die Männer. Sie warben seit 1896 mit öffentlichen Vorführungen für ihre Bewegung.

Aber selbst im sozialistischen Arbeiterturnverein herrschten bürgerliche Ansichten über die Kleidung der Frauen. Für die bevorzugten Übungen (Freiübungen, Reigen, leichtes Gerätturnen und Fechten) waren lange Kleider untauglich. Der Kampf der Frauen gegen Korsett und langes Turnkleid wurde auch hier geführt. Das missfiel den aufgeklärten Genossen zwar, aber die Frauen setzten sich durch. Bereits 1898 trugen Turnerinnen des Arbeiter-Turnvereins Fichte in Berlin öffentlich Kniehosen bei den Vorführungen (geradezu revolutionär, wenn frau bedenkt, dass noch 1950 Mädchen einen Rock über die Skihose ziehen mussten, wenn sie damit zur Schule gehen wollten).

Die bürgerlichen Frauen bleiben meist beim langen Kleid, selbst beim Schlittschuhlaufen und Skifahren.

Andrea C. Busch

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