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»Zirkus ist mein Leben, meine Heimat!«

Patrizia Althoff: Europas jüngste Zirkusdirektorin

Sie ist 19 Jahre jung und leitet mit ihrem Bruder René seit über einem Jahr das Unternehmen Circus Althoff: Patrizia Althoff ist Patenkind des ehemaligen Zirkusdirektors Carl Althoff und jüngste Direktorin in einer alten Zirkusdynastie. Das ist ungewöhnlich, da die meisten DirektorInnen erst sehr viel später eine so verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen.

 

Zirkus mit Leib und Seele

Einen Zirkus zu leiten, bedeutet mehr als nur einen Job zu erfüllen, denn »man muss sich voll auf dieses Leben in und mit dem Zirkus einstellen.« Patrizia Althoff ist nicht nur die Chefin, die die ArtistInnen auswählt und das Personal, dessen Stamm sie von Carl Althoff übernommen hat, einstellt. Sie ist auch die Finanzplanerin, die für die stark schwankenden Einkommensverhältnisse ein Händchen haben muss. Das richtige Feeling ist bei den Entscheidungen ebenso wichtig wie knallhartes wirtschaftliches Kalkül.

Daneben überwacht sie die angemessene Haltung der Zirkustiere und wird auch mal als Geburtshelferin bei den Tieren aktiv. Nicht nur die strengen Vorschriften zum Tierschutz, sondern vor allem ihre Liebe zu den Tieren sprechen aus ihr, wenn sie voller Überzeugung sagt, dass es für sie nichts Schlimmeres gibt, als ein hilfloses Tier zu schlagen.

In der Manege ist sie Artistin und Zauberin. Sie hat bereits Trapez und Luft mit ihrem Bruder gemacht, »aber das war nicht so ganz das Richtige für mich. Ich arbeite lieber am Boden.« Sie hat momentan eine Hula-Hoop-Reifen-Nummer, hilft ihrem Bruder bei der Pferdevorführung und hat sich auf das Zaubern spezialisiert.

Neben der Arbeit in der Manege verbringt sie einen Großteil des Tages im Büro. Bei dieser Funktion bezeichnet sie sich selbst als »Mutter« aller Angestellten, sei es bezüglich dienstlicher Fragen und Probleme, sei es bei Fragen der Versorgung alter MitarbeiterInnen, die in der Regel ihren Altersruhestand nicht außerhalb, sondern im Zirkus verbringen. Mindestens genauso wichtig wie die menschliche Altersversorgung ist die Versorgung alter Zirkustiere, die zwar nicht mehr mitziehen, aber ihre wohlverdiente Altersruhe im Winterquartier des Zirkus erhalten. Aber nicht nur für die Alten wird Sorge getragen, auch die ganz jungen Zirkusmitglieder müssen in den Alltag integriert werden. Geeignete Schwangerschaftsvertretungen für die menschlichen wie für die tierischen ArtistInnen zu finden, sind ebenfalls Aufgabe einer Zirkusdirektorin.

Und neben all diesen verantwortlichen Tätigkeiten erledigt Patrizia auch noch ganz nebenbei so profane Aufgabe, wie Getränke und Popcorn an die ZuschauerInnen zu verkaufen.

Zirkus aus Tradition

Erworben hat sie all diese Fähigkeiten durch das Leben im Zirkus. Bereits mit 10 Jahren entschied sie sich, einen Zirkus zu leiten. Auf die Frage, wieso sie sich schon so früh entschied, diesen Weg einzuschlagen, antwortet sie erstaunt, und ihre Antwort klingt, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres auf der Welt: »Wenn man Althoff heißt, leitet man irgendwann einen Zirkus.« Unterstützt wurden sie und ihr Bruder von ihrem Patenonkel Carl Althoff, der die Kinder schon früh mit allen Aufgaben einer Zirkusleitung vertraut machte. Er nahm sie mit auf Geschäftsreisen, zeigte ihnen alles, was wichtig ist in dem Geschäft. Auch ihre Eltern halfen mit, die Kinder auf ihre Aufgaben vorzubereiten; reist doch Vater Althoff auch heute noch mit seinen Kindern.

Und Patrizia liebt dieses Zirkusleben, die Manege, den Geruch von Sägespänen und Tieren und das Reisen. »Zirkus ist mein Zuhause.« Sie braucht keinen Urlaub, vermisst keinen festen Ort, weil sie Zirkus lebt. Und genau das strahlt sie auch aus. Ganz ohne Glitzer und Glamour saß sie vor uns, natürlich und ungezwungen erzählte sie von ihrem aufregenden Leben, das für uns alles andere als selbstverständlich schien. Sie aber kann sich gar kein anderes Leben vorstellen.

Chefin eines Unternehmens

Aber was bedeutet es, die Chefin in einem solchen Unternehmen zu sein? Vierzig Angestellte sind es immerhin, wobei die ArtistInnen circa alle halbe Jahre ausgewechselt werden, ebenso wie das Programm, bei dem es sich um ein Traditionszirkusprogramm handelt, d.h. um ein Familienprogramm, »in dem für Klein und Groß etwas dabei ist.« Ein solches Programm besteht aus Clownerie, Artistik, Tiernummern und Zauberei und ist nicht mit Varietée zu verwechseln.

Die Sondersituation des Unternehmens besteht vor allem darin, dass alle MitarbeiterInnen zusammen reisen, nur wenige Tage bleibt die Truppe an einem Ort. In großen Städten schlagen sie die Zelte für bis zu drei Wochen auf, in kleineren Städten bleiben sie nur zwei bis drei Tage. Und es sind nicht nur die MitarbeiterInnen, die mitreisen, sondern die dazugehörigen Familien ebenso wie die Tiere. Patrizia Althoff liebt dieses Reisen. Die deutschstämmige Zirkusdirektorin spricht neben Deutsch auch Polnisch, Russisch, Rumänisch und etwas Niederländisch. Sie ist bemüht, auf den Reisen möglichst viel zu lernen, sowohl die Sprachen als auch die Kulturen. Ihr Interesse gilt den verschiedenen Menschen, und auch das glauben wir der aufgeschlossenen Frau aufs Wort.

Wie läuft ein solches Zirkusleben ab?

Die Truppe reist gemeinsam mit Kindern und dem ganzen Hausstand von Stadt zu Stadt. Eine Lehrerin begleitet die momentan 3 Schulkinder, die von ihr das ganze Jahr unterrichtet werden. Lediglich 2 Monate lang müssen die Kinder in Thüringen fest in die Schule gehen, damit ihr aktueller Wissensstand überprüft werden kann. Die Kinder sind momentan auf Realschulniveau, angestrebt wird der gymnasiale Abschluss, denn auch die Zirkusleute legen großen Wert auf einen guten Schulabschluss. Den zu erreichen, haben die Kinder eine sehr gute Chance, da sie den Vorteil von Privatunterricht genießen.

Gespielt wir im Sommer und im Winter, etwa 10 Vorstellungen jede Woche. Je nach Platzgröße wird die Größe des Zeltes gewählt. Die Manege ist bei jedem Zelt jedoch die gleiche, lediglich die Anzahl der Zuschauerplätze variiert.

Und das Publikum?

Das Publikum variiert auch. Jeder Artist und jede Artistin spürt schon zu Beginn der Vorstellung die Atmosphäre im Publikum, spätestens nach dem ersten Applaus weiß er oder sie, ob es mitgeht oder nur konsumiert. Je mehr positive Energie vom Publikum rüberkommt, desto mehr Spaß macht das Spielen und desto mehr wachsen die ArtisInnen über sich hinaus. »Genau dann wollen wir unser Bestes geben, eben weil das Publikum mitgeht.« Je zäher das Publikum ist, desto mehr wird das Programm möglichst korrekt abgespult, vergleichbar einer Probe mit besonders freundlichem Lächeln.

Am liebsten spielen die ArtistInnen für Kinder und Behinderte, weil bei diesem Publikum der Funke immer überspringt. Sie sind spontan, freudig erregt, und das Funkeln in den Augen dieser ZuschauerInnen kommt trotz Scheinwerferlicht zu den ArtistInnen rüber.

Uns n interessierte natürlich, wie viele Frauen derzeit im Zirkus Althoff angestellt sind. Neben einer Köchin, der Lehrerin und einer Frau im Büro arbeiten derzeit noch vier Artistinnen in der Truppe. Eine fünfte macht gerade Schwangerschaftsurlaub, reist aber trotzdem mit, da ihr Mann auch hier arbeitet.

Auf unsere Frage, ob es eigentlich schwierig sei, als Chefin und vor allem als so junge Chefin dem Unternehmen Zirkus vorzustehen, meint Patrizia Althoff, dass dem eigentlich nicht so sei: »Die Leute respektieren mich als Chefin. Unsere Leute sind ja meistens auch noch sehr jung. Außerdem mache ich das ja mit meinem Bruder zusammen.« Unterstützt wird sie außerdem von ihrem Vater und einem Angestellten, der unter anderem für die Pressearbeit zuständig ist.

Als wir zum Abschluss unseres tollen und interessanten Gesprächsss Patrizia Althoff nach ihren Wünschen für die Zukunft fragten, war ihre spontane Antwort: »Zehn Kinder!« Und auch das meinte sie ernsthaft. Natürlich wünscht sie sich auch ein schöneres und größeres Zelt, mehr Pferde, vor allem Araber, die sie sehr liebt, aber ihr Hauptwunsch ist eine große Familie und einen Mann, der natürlich auch aus dem Zirkus kommt.

Angelika Bota & Gabriele Merziger

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