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Kinderbetreuung nach Maß

Utopie oder Wirklichkeit?

Du bringst dein Kind in den Kindergarten, wenn es deinem Kind und dir passt. Du musst dich nicht abhetzen, weil der Kindergarten um 12 Uhr seine Pforten schließt. Als erwerbstätige Mutter musst du deinem Job nicht wieder an den Nagel hängen oder die Betreuung deiner Kinder mühselig improvisieren, denn du kannst sowohl dein Kleinkind als auch dein Schulkind nach eigenem Ermessen in die Obhut einer nach modernen Methoden arbeitenden Kindertagestätte geben.
Diese Utopie bleibt für die meisten deutschen Eltern und ihre Kinder ein unerfüllbarer Traum; in Darmstadt ist sie - wenn auch nur für ca. 40 Kinder - Wirklichkeit geworden.

Flexibilität ist Voraussetzung

Geöffnet ist "Orte für Kinder" in der Emilstraße 26 montags bis freitags von 7 bis 19 Uhr. Wie in der Familie verbringen hier Mädchen und Jungen aus verschiedenen Altersgruppen ihre Zeit miteinander, sie sind zwischen 18 Monate und 12 Jahre alt. In jede Altersgruppe wird ein behindertes Kind aufgenommen. Mütter und Väter können zum (täglich frisch gekochten) Mittagessen kommen, wenn sie sich morgens angemeldet haben. Für hausaufgabengeschädigte Mütter ein wahres Labsal: In dieser Kindertagesstätte werden Schulkinder nachmittags bei ihren Schulaufgaben betreut, sie werden nach Bedarf auch zur Schule (oder zur Klavierstunde, zum Turnen) gebracht und abgeholt. Im Notfall wird ein krankes Kind zu Hause betreut. Darüber hinaus stehen stets einige Notplätze (auch für Kinder unter 18 Monaten) zur Verfügung.

Betreuungsplätze werden geteilt

18 Betreuungsplätze hat das Jugendamt genehmigt, 40 Kinder teilen sich diese Plätze. Wie das funktioniert? Zum Beispiel so: Eine Mutter macht eine Umschulung und bekommt für ihre zwei Kinder einmal in der Woche einen Ganztagsplatz im Kindergarten. Eine Reinemachefrau muss täglich von 16 bis 18 Uhr ein Großraumbüro putzen - die kleine Tochter ist in dieser Zeit gut versorgt. Eine Lehrerin arbeitet in der Erwachsenenbildung, sie bringt ihren fünfjährigen Sohn viermal in der Woche um 11 Uhr hin und holt ihn um 16 Uhr. Manche Kinder kommen ganz früh, wenn die Eltern arbeiten gehen. Zwei Freundinnen haben ihre zweijährigen Töchter für zwei Vormittage in der Woche angemeldet. Sie essen mit den Kindern gemeinsam Mittag in der Tagesstätte.

Maximal 18 Kinder sind jeweils anwesend, vier Betreuerinnen stehen vor- und nachmittags zur Verfügung. Welcher andere Kindergarten richtet sich nach so unterschiedlichen Bedürfnissen? "Orte für Kinder" macht es möglich. Die Organisation, die dahinter steckt, dürfte dem Management eines Unternehmens in nicht nachstehen.

Die Idee stammt von Müttern

Dieses Konzept ist deshalb so gut, weil sich hier Frauen an den Bedürfnissen von Müttern orientiert haben. Eva Orth und ihre Mitarbeiterinnen, die 1981 das Mütterzentrum gegründet hatten, holten sich Anregungen aus der kreativen pädagogischen Arbeit in Italien und hatten bereits 1988 ihr Projekt erarbeitet. Ihre Ideen stießen jedoch auf Ablehnung und verschwanden in der Schublade. 1990 interessierte sich glücklicherweise das Deutsche Jugendinstitut im Zuge des Bundesprojekts "Orte für Kinder" für den Entwurf der Mütterzentrumsfrauen und siehe da - der gesunde "Mutterverstand" konnte bei der Erarbeitung eines neuen flexiblen Kinderbetreuungsprojektes durchaus mit den Ideen der WissenschaftlerInnen konkurrieren!

1991 war es dann so weit - umgebaute Lastwagengaragen einer ehemaligen Käsefabrik konnten für die Kindertagesstätte genutzt werden. Mit zahlreichen Briefen an Firmen und SponsorInnen wurden 30.000 DM an Spenden eingeholt. Straffe Organisation und viel harte handwerkliche Arbeit waren zur Verwirklichung des Projektes nötig. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Inzwischen wurde die Beratung durch Eva Orth für Kinderbetreuungsprojekte in Hamburg und Kassel und der Lufthansa angefordert.

Gemeinsames Engagement

Im Kinderhaus des Mütterzentrums arbeiten ausgebildete Pädagoginnen mit Müttern zusammen. Eine Erzieherin ganztags und zwei Erzieherinnen halbtags werden nach BAT Vc bezahlt. Sie werden unterstützt durch eine Jahres-praktikantin und 10 Honorarkräfte. Dazu kommen eine Köchin und eine Buchhalterin. Die Mitarbeiterinnen kön-nen ihr Arbeitspensum nach ihrer persönlichen Situation einrichten, selbstverständlich steht allen das Dienstleis-tungssystem des Mütterzentrums zur Verfügung. Die Mütter sind froh, hier für Erziehungsarbeit bezahlt zu wer-den, und die Kinder profitieren von den verschiedenen Fähigkeiten ihrer Betreuerinnen. Kreativität ist gefragt, in die wöchentlichen Arbeitsbesprechungen können stets neue Ideen zum Ausprobieren eingebracht werden. Die Warteliste von "Orte für Kinder" ist lang, obwohl die Beiträge höher liegen, als bei kommunalen oder kirchlichen Kindertagesstätten. Die Beiträge sind gestaffelt nach Alter und Dauer der Anwesenheit des Kindes. (5,00 DM je Kind und Stunde, 5,50 DM für unter Dreijährige).

Ausblick

Eva Orths innovative Phantasie ist schon wieder einen Schritt weiter. Kinder können auch nachts nicht allein ge-lassen werden, Eltern wollen oder müssen auch abends mal weg: Betreuung im Kinderhotel? Es ist ihr zuzutrauen, dass sie auch diese Idee in die Tat umsetzen wird. Voraussetzung für dieses und ähnliche Projekte der ca. 200 Müt-terzentren in Deutschland ist ihre Finanzielle und politische Unterstützung auch in Zukunft, hier dürfen keine Kür-zungen erfolgen. Mütterlobbies gibt es nicht viele.

Barbara Obermüller

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