Werden Sie auch eine

MATHILDE

Die Musik ist weiblich.

Einst war die Musik eine Kunst, in der Frauen hohes Ansehen genossen. Es gibt zahlreiche Aufzeichnungen und Bilder, die das bezeugen. Aus der Geschichte der Sumerer (4. Jh vor unserer Zeit) sind die Namen berühmter Musikerinnen bis heute überliefert. Im 6. bis 3. Jh vor unserer Zeit, als die Menschen die große Göttin verehrten und Frauen Priesterinnen waren, prägte die weibliche schöpferische Kraft auch die Musik. Die Wissenschaftlerin Eva Rieger hat sich damit auseinandergesetzt, wie Frauen mit zunehmender Patriarchalisierung aus diesem Bereich verdrängt wurden. In der jüdisch-christlichen Religion waren Frauen von Anfang an aus dem damals musikalisch wichtigsten Sektor - dem sakralen - ausgeschlossen. Sogar die weibliche Singstimme war im gregorianischen Choral verpönt und wurde in den hohen Stimmlagen durch Kastraten ersetzt.

Frauen konnten lediglich innerhalb ihres Hauses oder hinter Klostermauern musizieren und komponieren. Bedeutende Werke von Komponistinnen, darunter Hildegard von Bingen (geb. 1038) machen deutlich, dass Frauen trotz aller Einschränkungen auch in der Musik immer schöpferisch tätig waren.

Im Spät-Mittelalter arbeiteten Frauen noch als Tänzerinnen, Leier- und Harfenmädchen, mit Auflösung der Frauenzünfte im sechzehnten Jahrhundert verloren sie den aktiven Zugang zu ihren Liedern und Tänzen. In der Reformation begann die Festlegung der Frau auf Mutterschaft und Hausarbeit, der Zugang zu höherer Bildung und damit auch zum Musikunterricht wurde ihr verwehrt. Nur das Singen von Kirchenliedern war ein wichtiger Bestandteil auch in der Mädchenbildung jener Zeit, denn das Kirchenlied vermittelt wichtige Eigenschaften wie Anpassung und Gehorsam. Schon Luther kannte die manipulative Kraft der Musik und nannte sie "eine Zuchtmeisterin, so die Leute gelinder und sanftmütiger, sittsamer und vernünftiger macht..." Es muss im übrigen davon ausgegangen werden, dass die ab dem späten Mittelalter bis zum Beginn der Neuzeit andauernde Hexenverbrennung Frauen lange und nachhaltig davon abgehalten hat, nach gefährlichem, angeblich "sündigem" Wissen zu streben.

Im achtzehnten Jahrhundert verstärkte sich die Tendenz, Frauen innerhalb der Kleinfamilie auf ihre Hausfrauenrolle festzulegen. Bürgerliche Mädchen mussten sich mit Halbbildung begnügen, ein wenig singen, auf dem Klavier klimpern. Französisch und handarbeiten genügten für die zukünftige Ehefrau und Mutter. Tiefere Kunsterfahrung blieb Mädchen - bis auf wenige Ausnahmen - verschlossen. Fand eine Frau sich mit diesen Einschränkungen nicht ab, wurde sie zum Mannweib abgestempelt. Die Mystifizierung des männlichen Genies, das Werke von Komponisten wie zum Beispiel Bach, Beethoven oder Wagner zu männlich-göttlichen Leistungen hochstilisierte, führte zu einer weiteren Abwertung weiblichen Schaffens. Frauen wurde lediglich die Fähigkeit zugesproche, das unantastbare männliche Genie zu inspirieren. Eva Rieger geht in ihrer Studie sehr eingehend auf dieses Phänomen ein. In musikwissenschaftlichen Arbeiten wurde dabei stets außer acht gelassen, dass kein "Genie" vom Himmel fällt, sondern sich nur unter bestimmten gesellschaftlichen Voraussetzungen entwickeln kann, die für Frauen nicht galten.

Am Lebenslauf von schöpferischen Frauen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts zeigt Eva Rieger in ihrem Buch, wie schwer es eine Clara Schumann, eine Fanny Hensel-Mendelsohn und andere Komponistinnen hatten, sich gegen sexistische Rollenzuweisungen zur Wehr zu setzen und wie sie, trotz großer Begabung, ihr Talent nicht voll entfalten konnten oder sogar scheiterten.

Der Gedanke, dass Musik nicht immer wertfrei, sondern auch ein Spiegel des Geschlechterverhältnisses sein könnte, ist ungewöhnlich. Eva Rieger hat zu diesem Thema geforscht und ist zu interessanten Ergebnissen gekommen. So bestehen in der sogenannten klassischen Musik deutliche Unterschiede, wenn es darum geht, das männliche oder das weibliche, bzw. das jungfräuliche Prinzip auszudrücken. Komponisten wie Haydn, Beethoven, Lszt, Bruckner und viele andere setzten - wie Eva Rieger an Notenbeispielen nachweist - zur Lobpreisung des männlichen Gottes oder zur Verherrlichung von heldischen Männern starke musikalische Mittel ein - fortissimo, maestoso, vollen Orchesterklang oder die Form der Fuge. Das musikalisch Kleine wurde stets der weiblichen Rolle zugesprochen: Sologeige, Flöte, Harfe und Oboe, lyrische zarte Melodien, kleine Besetzung und rhythmisches Gleichmaß. Musik wirkt auf unsere Gefühle. Dass Musik für bestimmte Zwecke instrumentalisiert werden kann, ist aus der Nazi-Zeit wohlbekannt, auch aus Werbung und Film. Auch das sexistische Rollenklischee wurde (und wird noch immer) durch musikalische Mittel stabilisiert. Die Texte in Opern, Oratorien, im Volkslied und in der Unterhaltungsmusik tragen ein übriges dazu bei, Männern die aktive und Frauen die passive Rolle zuzuweisen.

Im letzten Teil ihres Buches geht Eva Rieger auf die gegenwärtige Situation ein und auf die Perspektiven für Frauen in den musikalischen Berufen. Als Virtuosin haben Frauen aufgeholt, sie werden nicht mehr wie im achtzehnten Jahrhundert auf einzelne Instrumente wie Klavier, Flöte und Harfe beschränkt. Auch in die großen Orchester halten Frauen langsam aber sicher Einzug, wenn auch erst 1979 der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker meinte, dass "Frauen in die Küche und nicht ins Orchester" gehören.

Dirigentinnen haben es nach wie vor schwer, engagiert zu werden, wenn es um ein großes und bekanntes Orchester geht. In Bereichen, wo die öffentliche Anerkennung niedriger ist, also in der Schul- und Kirchenmusik, sind eher Frauen zu finden. Eva Rieger weist darauf hin, dass ein enger Zusammenhang besteht zwischen der Ausgrenzung von Frauen und dem männlichen Stardirigententum mit dem Taktstock als Phallussymbol.

Vorbei sind auch die Zeiten, in denen Frauen das öffentliche Auftreten als Sängerin (wie noch 1826) verboten war oder sie sich prostituieren mussten, wenn sie eine Bühnenlaufbahn anstrebten. Komponistinnen werden immer noch selten aufgeführt. Dennoch ist es Musikwissenschaftlerinnen gelungen, das große Potential von bisher verleugneten, vergessenen Komponistinnen in Nachschlagewerken zu dokumentieren. In Köln wurde 1978 der Internationale Arbeitskreis "Frau und Musik" gegründet, der Trägerin des europaweit einzigartigen Frauenmusikarchivs in Kassel ist. Frauenmusikverlage, Frauenmusikzeitungen, Frauen-Orchester und zahlreiche Frauenbands sorgen dafür, dass der Siegeszug von Frauen in der Musik in allen Bereichen nicht mehr aufzuhalten ist.

Barbara Obermüller

Literatur:

Eva Rieger, Frau, Musik und Männerherrschaft, Furore-Verlag Kassel, 2. Auflage 1988, ISBN 3-9801326-8-4, DM 22,80.

zurück

MATHILDE