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Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Engagierte Frauen im Regierungspräsidium Darmstadt brechen ein Tabu

Eine noch alltägliche Situation: Eine Gruppe von Kollegen und Kolleginnen verweilt nach einer Dienstbesprechng noch einen Augenblick plaudernd und scherzend auf dem Flur. Als eine Kollegin der Gruppe entgegenkommt, vernimmt sie im Vorübergehen den unüberhörbaren Zuruf eines Kollegen an die Gruppe: "Achtung! Passt bloß auf, was ihr jetzt sagt - da kommt unsere Sexismus-Beauftragte!"
Solche und ähnliche Bemerkungen sind für die Frauen des Arbeitskreises "Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz" im Regierungspräsidium Darmstadt nichts Ungewöhnliches. Seit Gründung des Arbeitskreises im Jahre 1992 haben sie bei ihrer Arbeit eine große Bandbreite an möglichen Reaktionen in der Behördenöffentlichkeit erfahren - angefangen von mitleidigen und nachsichtigem Belächeln bis hin zu aggressiven Angriffen. Der Grund: Der Arbeitskreis hat mit seinem Thema ein Tabu gebrochen.

Was bewog die Frauen des Arbeitskreises dazu, sich an ein derart heikles Thema heranzuwagen?

1992 gründeten etwa ein Dutzend engagierter Frauen aus verschiedenen Arbeitsbereichen des Regierungspräsidiums in Darmstadt den Arbeitskreis "Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz" mit dem Ziel, durch Informationen und Aufklärung zur Verhinderung von sexueller Belästigung beizutragen und dadurch das Arbeitsklima in der Behörde zu verbessern. Vor allem für weibliche Beschäftigte soll das persönliche Wohlbefinden am Arbeitsplatz erhöht und die uneingeschränkte berufliche Entfaltung ermöglicht und insgesamt Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sich männliche und weibliche Beschäftigte gegenseitig in ihrer persönlichen Würde respektieren.

Den Anstoß für seine Arbeit erhielt der Arbeitskreis von der Veröffentlichung des Bundesministeriums für Jugend, Frauen und Gesundheit im Jahre 1991 über eine Studie zum Thema der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz. Darin gaben über 70 Prozent der in verschiedenen Betrieben befragten weiblichen Beschäftigten an, in ihrem Arbeitsleben Situationen erlebt zu haben, die sie als sexuelle Belästigung empfanden.

Was ist sexuelle Belästigung?

Neben einer Fülle von Definitionen angefangen auf EG-Ebene über Bundes- und Ländergesetzgebungen bis hin zu Gewerkschaftspositionen in Deutschland haben sich die Frauen des Arbeitskreises für folgende Definition entschieden: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist jedes vorsätzliche, sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde von Beschäftigten am Arbeitsplatz verletzt und subjektiv von den Belästigten als Belästigung empfunden wird.

Sie umfasst u.a. obszöne und kompromittierende Äufßerungen (zum Beispiel auch Witze), Anstarren, Hinterherpfeifen, sexistische Bemerkungen, Beleidigungen oder Kommentare (zum Beispiel über das Aussehen von MitarbeiterInnen oder sexuelles Verhalten Einzelner), unangebrachten Körperkontakt (auch angeblich zufälliges Berühren), Zeigen oder Aushängen pornographischer oder sexistischer Darstellungen, sexistisches Gesten und Verhaltensweisen, Versprechen beruflicher Vorteile bei sexuellem Entgegenkommen bzw. Androhung beruflicher Nachteile bei sexueller Verweigerung, Einladung, Aufforderung und Nötigung zu sexuellem Verhalten, Briefe und Telefonanrufe innerhalb und außerhalb des Arbeitsbereiches, u.ä. Bei allen diesen Verhaltensweisen geht es weder um Flirts noch um sexuelle Beziehungen, die auf gegenseitigem Einverständnis beruhen.

Noch bevor das Beschäftigtenschutzgesetz auf Bundesebene das Hessische Gleichberechtigungsgesetz in diesem Bundesland in Kraft traten, setzten sich die Frauen des Arbeitskreises in ihrer Behörde für den Abschluss einer Dienstvereinbarung ein, die die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz aus der Ecke des Kavalierdeliktes holt und die Konsequenzen für die Belästiger eindeutig benennt. Die Ausarbeitung hierfür und die langwierigen Verhandlungen hierzu machten bislang einen nicht unerheblichen Teil ihrer Arbeit aus.

Vornehmlich verstehen sich die Frauen des Arbeitskreises jedoch als Ansprechpartnerinnen für Betroffene. Sie hören zu und beraten, sie begleiten, unterstützen und greifen ggf. bei aktuellen Vorkommnissen ein, und zwar immer nur so weit, wie es die betroffene Frau selbst wünscht. Absolute Diskretion und Verschwiegenheit sind dabei selbstverständlich.

Ein weiterer wichtiger Teil der Arbeit des Arbeitskreises besteht darin, zum Thema der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz zu informieren und aufzuklären, um vorhandene Tabus abzubauen und die Behördenöffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren.

Dies geschieht unter anderem durch Veröffentlichungen und Präsentationen, Fortbildungsveranstaltungen (zum Beispiel in Gestalt von Schulungsveranstaltungen für personalverantwortliche Vorgesetzte, Einführungsveranstaltungen für Azubis, Organisation von Selbstverteidigungskursen für weibliche Beschäftigte und Herstellen von Kontakten zu anderen Frauen oder Organisationen außerhalb der Behörde.

Die Frauen des Arbeitskreises treffen sich einmal im Monat für jeweils zwei Stunden. Trotz dieser relativ knappen Zeit und dank der hohen Motivation und des großen Engagements der einzelnen Frauen kann der Arbeitskreis heute auf zahlreiche von ihm initierte - und teilweise recht erfolgreiche - Anstöße und Aktivitäten zurückblicken.

Doch es gibt noch eine Menge zu tun! Bei seiner Arbeit zu diesem schwierigen und hürdenreichen Thema ist der Arbeitskreis auf das Wohlwollen der Behördenleitung und auf tatkräftige Unterstützung innerhalb und außerhalb der Behörde angewiesen.

Vielleicht kommt es eines Tages soweit, dass die Kommentare wie am Anfang geschildert unterbleiben und die Arbeit des Arbeitskreises einfach akzeptiert, anerkannt und unterstützt wird. Bis dahin mag noch ein weiter Weg und eine Menge Aufklärung nötig sein - aber die Frauen vom Arbeitskreis im Regierungspräsidium lassen sich nicht unterkriegen!

Sigrid Milby

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