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Wendo

feministischer Widerstand zur Selbstverteidigung und Selbstbehauptung

WENDO heißt wörtlich "Frauen handeln" (Women do), bedeutet "Weg der Frauen" im übertragenen Sinne und ist ein Selbstverteidigungskonzept von Frauen für Frauen. Keine der üblichen Kampfsportarten, wie wir sie kennen: Boxen, Karate, Kung Fu oder beispielsweise Ringen können und werden in der Regel für den Wettkampf trainiert. Doch im WENDO trainieren Frauen nicht für sportliche Auszeichnungen, sondern lernen Handlungsweisen für den Ernstfall. Wenn der Vergewaltiger dich angreift, musst du dich ernsthaft wehren, musst alle Höflichkeit und anerzogene Vorsicht beiseite lassen und gnadenlos Widerstand leisten. Er oder ich - dabei geht es um Rauskommen aus der Situation, um Überleben. Falsche Rücksichtnahme ist da fehl am Platze, Gedanken an eigenen Blessuren oder gar an den Verletzungsgrad des Angreifers sollten ausgeschaltet sein, denn es handelt sich um eine ernste Notwehrsituation. Und da sollten Frauen ausnahmslos nur an sich denken.

Ich trainiere seit fast drei Jahren mehr oder weniger regelmäßig WENDO , darf mich zu den Fortgeschrittenen zählen, und natürlich denke ich beim Training nicht unablässig an Vergewaltigung, sondern habe auch Spaß dabei: Mit Frauen kämpfen, Rollen spielen und Gespräche führen macht Spaß. Aber irgendwo im Hinterkopf bleibt bei uns allen immer: Was wäre wenn...? Und dafür möchten wir gerüstet sein.

WENDO ist aber nicht nur eine Selbstverteidigungstechnik, sondern auch ein Selbstbehauptungsprogramm. So wird neben der körperlichen Schlagkraft auch Schlagfertigkeit gegen die kleineren Übergriffe im alltäglichen Leben gelernt. Wie gehe ich beispielsweise damit um, wenn ein Bekannter, den ich auf dem Sportplatz treffe, mich etwas zu heftig umarmt oder Freund meiner Freundin auf der Party meine Hand bei der Begrüßung für mein Empfinden zu lange festhält? Wie begegne ich dem fremden Mann in der Straßenbahn, der schon seit mindestens zehn Minuten meine Brüste fixiert? Was sage ich dem Chef, der mich immer wieder den anderen MitarbeiterInnen peinlich und gemein "niedermacht"? All die ganz alltäglichen Situationen, bei denen ein unangenehmer Eingriff in den eigenen persönlichen Raum stattfindet, sollten nicht einfach als gegeben hingenommen werden. Dagegen dürfen und müssen Frauen guten Gewissens Widerstand leisten.

In WENDO-Kursen wird gekämpft, werden Ernstfälle in Rollenspielen nachgestellt, finden Gesprächsrunden statt und wird Entspannung geübt. So lernen die Teilnehmerinnen auf der einen Seite (wieder) sensibel zu werden für das Einschätzen von echten Bedrohungen und dabei vor allem den eigenen Gefühlen und Instinkten zu vertrauen. Auf der anderen Seite lernen sie aber auch aktiv Widerstand zu leisten gegen alle Formen männlicher Machtausübung körperlicher, verbaler oder non-verbaler Art, die für Frauen (lebens-)bedrohlich, unangenehmbar oder einfach nur unangenehm sind. "Das will ich mir nicht gefallen lassen", oder "Kein Eindringen in meinen persönlichen Raum" oder einfach nur "Nein" sind Leitsätze, die es den Frauen neben einem guten Selbstvertrauen (wieder) möglich machen, sich selbst wichtig zu nehmen und nicht in die Rolle des Opfers zu fallen. Ich will keine Ängste haben, weder beim Spaziergang im Wald, noch beim nächtlichen Nachhausekommen. Ich will mich nicht bei jedem hörbarem fremden Schritt in einer sonst menschenleeren Straße umdrehen und Herzklopfen bekommen. Ich will nicht auf den Boden starren, wenn mir in einer nicht so belebten Gegend ein Mann entgegenkommt. Ich habe das Recht, angstfrei durch dieses Leben zu laufen, und für dieses Recht lerne ich zu kämpfen. Ich will mich sicher fühlen. Eine solche mentale Einfühlung ist ein sehr wichtiger, wenn nicht gar der wichtigste Bestandteil zum weiblichen Widerstand.

Nicht Ohn-Macht, sondern effektiv und schlagfertig körperliche und sonstige Attacken abwehren sind Ziele der Kurse, ist der Widerstand, den Frauen gegen zumeist männliche An- und Übergriffe in ihre persönliche Sphäre leisten müssen. Und das können ausnahmslos alle Mädchen und Frauen lernen, egal, wie alt, wie sportlich oder wie stark.

WENDO-Frauen wollen die Freude an der eigenen Kraft und an der eigenen Macht spüren. Immer wieder berichten die Frauen, wie sie ihre Scheu überwunden, Konfrontationen aufgenommen und dabei hauptsächlich Aufwertung der eigenen Persönlichkeit erfahren haben. Wie befriedigend ein niedergeschlagener Männerblick sein kann, wenn Frau hocherhobenen Hauptes seine unerwünschte Anmache bloßstellt, ist ein tolles Gefühl. WENDO kommt ursprünglich aus Kanada. 1977 wurden 15 deutsche Frauen von kanadischen Frauen in WENDO ausgebildet. Seit dieser Zeit wird es in Deutschland weiterentwickelt und an Mädchen und Frauen weitergegeben - beides läuft Hand in Hand.

In Darmstadt und Umgebung gibt es inzwischen ein größeres Angebot an WENDO-Kursen. Ein Verein, Frauen Offensiv, beschäftigt sich ausschließlich mit Frauenselbstverteidigung und -selbstbehauptung und bietet ein vielfältiges Programm für Anfängerinnen und Fortgeschrittene an. hat zwei langjährige Trainerinnen und aktive Vereinsfrauen zu ihren Erfahrungen mit dem "aktiven Widerstand" befragt.

Andrea Schilling und Angelika Sevenig, ihr seid WENDO-Trainerinnen und im Verein Frauen Offensiv in Darmstadt tätig. Wie seid ihr zu WENDO gekommen?

Andrea: Während meines Studiums wurde an der Evangelischen Fachhochschule ein Kurs angeboten. Das hat mich angesprochen, weil ich mich für das Thema Selbstverteidigung interessierte und die Sache eine sportliche Komponente hatte. Das ar vor gut acht Jahren, und WENDO hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Der Kurs damals hat mir so viel Spaß gemacht, mich so begeistert, dass ich seitdem WENDO regelmäßig trainiere, seit 1990 aktiv im Verein Frauen Offensiv arbeite und seit 1993 nebenberuflich als Trainerin WENDO-Kurse leite.

Was mich in all den Jahren an WENDO begeisterte und auch heute noch begeistert, ist die Vielseitigkeit: Es bedeutet für mich Lebendigkeit, Auseinandersetzung mit mir selbst, Grenzerfahrungen machen, Sport, Spaß udn Spüren meiner Kraft und Energie. WENDO heißt für mich, Körper und Geist werden gleichermaßen gefordert und gefördert. All diese Erfahrungen haben mich dann auch dazu bewogen, die Ausbildung als WENDO-Trainerin zu machen. Ich wollte WENDO nicht länger nur selbst trainieren, sondern an andere Frauen weitergeben, sie mit Hilfe von WENDO dazu ermutigen, ihre eigenen Grenzen zu spüren und zu verteidigen.

Angelika: Ende 1986, während meines Studiums, hörte ich zum ersten Mal etwas von WENDO und belegte meinen ersten Kurs. Auch mich macht es immer wieder Spaß, mit verschiedenen Frauen zu den Themen von WENDO zu arbeiten. Diese Arbeit und mein eigenes Training erhalten meine eigene Lebendigkeit und meine Begeisterung für WENDO.

Könnt ihr unseren Leserinnen ein bisschen über euren Verein Frauen Offensiv erzählen?

Andrea: In Zusammenarbeit mit der Sefo wurden bereits im Herbst 1985 in Darmstadt Selbstverteidigungskurse angeboten. Aus diesen Kursen bildete sich eine Gruppe von Frauen heraus, die kontinuierlich WENDO weitertrainierte und im März 1987 den Verein Frauen Offensiv gründete.

Wir, das sind sechs Frauen, die zusammen schon seit einigen Jahren die Vereinsarbeit machen und das, wie wir meinen, auch sehr gut. So haben wir im Laufe der Jahre unser Angebot an WENDO-Kursen erweitert und sind in Darmstadt und weit über die Stadtgrenzen hinaus zu einem Begriff geworden.

Unser Ziel ist es, Mädchen und Frauen zu zeigen, was sie der Gewalt, die sie täglich erleben, entgegensetzen können. In unseren Kursen bieten wir ihnen die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten und Stärken, sich zu behaupten und zu verteidigen, wiederzuentdecken und weiterzuentwickeln. Unser Kursangebot richtet sich an Mädchen und Frauen im Alter von 8 bis 80 Jahren und älter, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion und Lebenszusammenhängen.

Das Programm umfasst Einstiegswochenenden, wöchentliche Kurse, Bildungsurlaube und Ferienworkshops. Darüberhinaus führen wir auch Kurse in Zusammenarbeit mit Schulen, Frauenbeauftragten, JugendpflegerInnen, Fachhochschulen usw. durch, geben Interviews und organisieren Informationsstände zu verschiedenen Anlässen. Im Verein sind zwischen acht und zehn Trainerinnen tätig, und zweimal im Jahr bringen wir ein Programmheft mit unseren Kursangeboten heraus.

Welche Frauen kommen zu euch?

Andrea & Angelika: An unseren Kursen nehmen jährlich etwa 400 Mädchen und Frauen im Alter von 8 - 65 Jahren teil. Hinzu kommen noch die Frauen und Mädchen, die an den Kursen teilnehmen, die Trainerinnen von Frauen Offensiv außerhalb des Vereins durchführen. Die Teilneherinnen kommen hauptsächlich aus Darmstadt und und dem Kreis DA-DI, zum teil aber auch aus den Städten Mainz, Offenbach und Frankfurt.
Gemeinsam ist allen Teilnehmerinnen, dass ie alle die verschiedensten Formen von Gewalt durch Jungen und Männer erfahren haben. Diese Erfahrungen reichen von Nichternstgenommen werden in Schule und Beruf, Diskriminierung am Arbeitsplatz, sexuelle Belästigung, Blicke, die uns ausziehen, Anmache und Bedrohung bis hin zu sexueller Mißbrauchserfahrung als Mädchen, Mißhandlung und Vergewaltigung.

Jedes Mädchen, jede Frau, die an unseren Kursen teilnimmt, bringt Gewalterfahrungen, d.h. Erfahrungen, dass ihre persönlichen Grenzen überschritten wurden, mit und kennt die damit verbundenen Gefühle von Unsicherheit, Angst, Hilflosigkeit und Ohnmacht. Aber auch Gefühle von Wut und Aggression, die sie jedoch oft nicht in Energie und Gegenwehr umwandeln kann.
Viele Frauen und Mädchen bringen natürlich neben all diesen Erfahrungen auch positive Erfahrungen mit: sie haben erfahren, dass sie stark sind, Macht haben und Widerstand leisten können.

Viele Frauen interessieren sich zwar für Selbstverteidigung, sind aber selbst (noch) nicht bereit, aktiven Widerstand zu lernen. Wie können diese Frauen eurer Meinung nach ermutigt werden?

Andrea & Angelika: Ermutigen und anregen können wir vor allem durch eigenes Vorleben. Durch Diskussionen und den Austausch mit anderen Frauen können sie zu WENDO angeregt weden. Außerdem können wir unterstützend eingreifen, wenn wir bemerken,d ass Frauen in ihrem Handlungsspielraum durch Männer eingeschränkt werden.

Desweiteren versuchen wir unsere Arbeit mit Selbstverteidigung öffentlich zu mache machen und mit Hilfe von Medien darzustellen, wir organisieren Feste und machen Werbung, bieten Schnupperabende an und hoffen, unser Programmheft spricht immer wieder neue Frauen an. Wir sammeln Erfolgserlebnisse von Frauen aus den Kursen bzw. solche, die in Zeitungsberichten aufgeführt werden und zeigen damit auf, dass Widerstand Erfolg hat. Durch Informieren zeigen wir den Frauen, was WENDO ist, wie WENDO "geht", um so verständlich zu machen, dass keine bestimmten Voraussetzungen nötig sind, um WENDO zu lernen.

Vielen Dank, Andrea Schilling und vielen Dank, Angelika Sevenig. Wir wünschen euch weiterhin viel Erfolg in und mit eurem Verein und hoffen, dass vielleicht noch einige Frauen durch dieses Interview Interesse an eurer Widerstandsarbeit finden werden.

Gabi Merziger

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