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Ich lebe, bewege und verändere mich mit jedem Atemzug

Ein Portrait der Komponistin Barbara Heller zu ihrem sechzigsten Geburtstag

"Wir waren im Krieg evakuiert auf der Tromm und in unserer Wohnung stand hinter den Betten meiner Eltern ein Klavier, auf dem habe ich herumgeklimpert", erzählt Barbara Heller im Laufe des Gesprächs, das wir zu dritt in ihrer Wohnung führen. Ich habe meine jüngste Tochter mitgenommen zu dieser renommierten Komponistin, die am 6. November 1996 ihren 60igsten Geburtstag feiern wird. Lebhaft erzählt sie aus ihrer Kindheit, wie versponnen sie schon als kleines Mädchen war in Töne, in Geräusche, in die Lust am Hören. Mit sechs Jahren bekam sie zusammen mit der älteren Schwester die ersten Klavierstunden im Nachbardorf, die mit Holzscheiten und Kartoffeln bezahlt wurden.

Früh begann sie zu komponieren. "Laß mich in Ruhe, ich komponiere", soll das Schulkind einmal sehr entschieden zu seiner Mutter gesagt haben. "Wanderung", "Das rauschende Bächlein", "Kuhglocken auf der Weide" heißen diese ersten Kompositionen, die Barbara Heller alle der Mutter widmete, die sie - gegen den Willen des Vaters - stets gefördert hat. Sie zeigt uns diese frühen Arbeiten und ich freue mich, dass meine Tochter Karola kurz vor dem Beginn ihres Musikstudiums endlich ein weibliches Vorbild kennenlernt und hautnah erlebt, dass auch Frauen ihre Erfahrungen und Gefühle, ihr Denken, ihr Leben in Musik umsetzen. Nie hatten Karolas Lehrerinnen und Lehrer ihr während der langjährigen Ausbildung am Klavier und Cello die Musik einer Frau als Lehrstoff angeboten.

Barbara Heller ist 1936 in Ludwigshafen am Rhein geboren. 1954 schloß sie ihre Schulbildung am Mädchenrealgymnasium "Lieselotteschule" in Mannheim mit der Mittleren Reife ab. Ihr Musiklehrer schenkte ihr zum Abschied Sophie Drinkers Buch "Die Frau in der Musik", dessen Bedeutung ihr erst viel später bewusst werden sollte. Ihr Musikstudium hat sie an der Städtischen Hochschule für Musik und Theater in Mannheim absolviert. Die Bedingung, Klavierlehrerin zu werden, war an die Erlaubnis der Eltern zum Studium geknüpft.

1956 - sie ist erst zwanzig Jahre alt - schließt sie ihre erste größere Komposition ab, "Klaviersuite", die 1957 in Mannheim uraufgeführt wird. Im gleichen Jahr 1956 bekommt sie ein Stipendium für die internationalen Ferienkurse für "Neue Musik" in Darmstadt. Mit 22 Jahren brilliert sie als Pianistin, spielt häufig eigene Werke und arbeitet als Dozentin für Klavier an der Städtischen Musikhochschule in Mannheim. Acht Jahre lang, von 1958 - 1966, war sie ständige Klavierbegleiterin des Solotänzers Roger George und reiste durch die ganze Bundesrepublik und durch die Schweiz. Außerdem spielte sie Flöte und Bratsche und bezog auch diese Instrumente in ihre Kompositionen ein.

Kurze Zeit studierte Barbara Heller Komposition in München, was sie jedoch wenig befriedigte. Die Kompositions- und Klavierstudien in Mannheim trugen dagegen viel zu ihrer künstlerischen Entwicklung bei. Ein Stipendium in Siena/Italien eröffnete ihr zusammen mit anderen Studierenden die interessante Aufgabe, einen Spielfilm zu vertonen.

Als Barbara Heller 1963 heiratete, war sie nicht gerade von dem Wunsch besessen "der oder keiner". Partnerschaft und Sexualität waren bisher an der vollkommen auf die Musik konzentrierten Künstlerin vorbeigegangen. Hier fühlte sie das Bedürfnis, Versäumtes nachzuholen, die ihr als Frau vorbehaltene Fähigkeit zu gebären für sich auszuschöpfen. Die Ehe führte sie nach Darmstadt, wo ihr Mann als zweite Ausbildung Physik an der Technischen Hochschule studierte. Ein Schwiegersohn, der nicht katholisch war und nicht die klassische Rolle des "Ernährers" übernahm, bewog die Eltern Barbara Hellers, sich von dem jungen Paar abzuwenden. Barbara Heller vertauschte Notenschlüssel mit Kochlöffel und Schürze und verdiente mit Klavierstunden den Lebensunterhalt. 1965 kam Sohn Sebastian auf die Welt und Barbara Heller stand am Wickeltisch, während ihr Mann sich trotz Vaterschaft beruflich entwickeln konnte. Die zunehmende Entfremdung der beiden Menschen voneinander lag nicht zuletzt an der rigiden, körperfeindlichen Erziehung und dem Unvermögen, sich auszutauschen, meint die Künstlerin heute. So kam es, wie es kommen musste: Die Ehe wurde geschieden und Barbara Heller übernahm das Sorgerecht für den Sohn.

"Trennung als Chance zur Weiterentwicklung" sowohl für die Künstlerin als auch für die Frau, dies scheint auch bei Barbara Heller so gewesen zu sein. Der Sohn lebte kurze Zeit beim Vater, kehrte aber zu ihr zurück, als sie sich gerade entschlossen hatte, Musiktherapie zu studieren. Wieder war sie gezwungen, durch Klavierunterricht das Geld für sich und den Sohn zu verdienen. Trotzdem gelang es ihr, wieder als Pianistin zu arbeiten. Im Laufe der Zeit bezog sie sich zunehmend auf Frauen, nahm Kontakt zu anderen Komponistinnen auf, entschloß sich, in Konzerten nur noch Musik von Frauen aufzuführen.

Die Tatsache, dass die Leistungen von Frauen in der Musik in eklatanter Weise in der musikwissenschaftlichen Geschichtsschreibung verschwiegen worden sind, führte 1978 zur Gründung des Internationalen Arbeitskreises Frau und Muik in Köln. Barbara Heller hat diesen Arbeitskreis mitbegründet, bis 1981 war sie dort im Vorstand. Sie ist eine der Pionierinnen bei der Aufarbeitung der verleugneten Frauenmusikgeschichte. Besonders hat sie sich um die Wiederentdeckung der Werke Fanny Hensel-Mendelssohns, Clara Schumanns und Alma Mahler-Werfels bemüht. Das erste Frauenmusik-Festival in Bonn 1980 und die Bekanntschaft mit Komponistinnen ermutigten sie erneut, selbst zu komponieren. Sie arbeitete nun ausschließlich als freie Pianistin und Komponistin und gründete 1981 das Alma-Mahler-Duo mit der Sopranistin Isabel Lippitz. Auch mit der Klarinettistin Irith Gabriely hat Barbara Heller viele Jahre zusammengearbeitet. Sie hat als Klavierpädagogin Stücke für ihre Schülerinnen und Schüler geschrieben und mit bekannten Musikwissenschaftlerinnen wie Dr. Eva Rieger (Autorin von "Frau, Musik und Männerherrschaft", Furore Verlag 1988) und Dr. Eva Weißweiler (Autorin von "Komponistinnen aus 500 Jahren", Fischer Verlag 1981) Vortragsreisen zum Thema "Frau und Musik" unternommen.

"Immer wenn ich etwas kann, interessiert es mich nicht mehr", sagt Barbara Heller im Laufe unseres Gesprächs. Dies könnte der Grund sein für ihre große Vielseitigkeit. Ein längerer Aufenthalt in Paris 1994, bei dem vom "Croissant", dem "Cafe im Bistro", bis zum fehlenden Klavier nichts so war wie erträumt, konnte Barbara Hellers Schaffenskraft nicht lähmen. Musik in Tönen war nicht möglich, also schuf sie Musik im Bild - der Ursprung der originellen Graphiken, die als Postkarten beim Furore-Verlag in Kassel erhältlich sind. Mit ihrer freundlichen Erlaubnis sind zwei dieser Graphiken hier abgebildet.

Ein eindrucksvolles Zeugnis ihrer Kunst hat sie vielen Frauen geboten, ohne dass diese es wussten. Auch meine Töchter und ich waren tief berührt von den wundervollen Klängen, die eine Ausstellung im Wiesbadener Frauenmuseum "Sprache der Göttin" von Herbst 1993 bis Frühjahr 1995 begleiteten. Sie schienen auf geheimnisvolle Weise mit den Skulpturen und den Gegenständen einer uralten Frauenkultur verwoben. Niemand anders als Barbara Heller hat diese Klanginstallationen geschaffen und es ist völlig unverständlich, dass ihr Name dabei unerwähnt geblieben ist.

Alle, die Musik von Barbara Heller in Kürze hören möchten, können sich diesen Wunsch erfüllen. Ihre nächsten Konzerttermine sowie ein Datum für ein Rundfunkportrait und für eine Ausstellung sind nachstehend aufgeführt. Wir wünschen Barbara Heller zum 60igsten Geburtstag alles Gute und hoffen, dass sie noch lange so vital, innovativ und kreativ bleibt. Frauen wie sie sind in der Vergangenheit verleugnet worden. Frauen wie wir können mit dazu beitragen, dass dies nie wieder geschieht und Künstlerinnen den ihnen zustehenden Platz in allen Kulturbereichen einnehmen. Wir wollen nicht verzichten auf die weibliche Sichtweise, weibliches Denken, Fühlen und Handeln in Kunst und Kultur, und auf Frauen, die Vorbild sein können für junge Künstlerinnen in allen Domänen.

Barbara Obermüller

    Veranstaltungen:
  • 9. November 1996, 10:30 - 11:30 Uhr: Radiosendung "Das Portrait", Barbara Heller, S2 Kultur (Mainz), Musikland Rheinland-Pfalz
  • 27. November 1996, 19:30 Uhr Geburtstagskonzert für Barbara Heller in der Akademie für Tonkunst, Darmstadt. Es spielen Lehrkräfte und Studierende.
  • Bis 16. November 1996: Musik-Grafik/Grafik-Musik, Ausstellung zum Konzert (4.10.1996) zum 5. Internationalen Musica Rara Festival Erfurt zum 60. Geburtstag von B. Heller, Buchhandlung Peter Knecht, Lange Brücke 7, Erfurt
  • 24. November 1996, 11:30 Uhr: Jubiläumskonzert für Barbara Heller im Hess. Landesmuseum Darmstadt, mit dem TH-Orchester unter der Leitung von Martin Knell.

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