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Ama Ata Aaidoo, geb. 1942 in Abeadzi Kyakyiakor, Zentralghana, zählt zu den bedeutendsten Autorinnen und einflussreichsten Frauenrechtlerinnen Afrikas. Graduation an der Ghana University in Legon, 1966 Gast der Harvard University/USA, 1981 - 83 Erziehungsministerin Ghanas, lehrte an den Universitäten in Nairobi/Kenia, Cape Coast/Ghana und in USA, zuletzt 1993 am Hamilton College in New York, derzeit freie Schrifstellerin. Seit 1965 veröffentlichte sei Kurzgeschichten, Theaterstücke, Kinderbücher, Gedichtbände und Erzählungen.
Nährere Auskünfte und auch die schwer zugänglichen deutschen Übersetzungen erhalten unsere Leserinnen über die Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika, Peter Ripken, Reineckstraße 3, 60313 Frankfurt am Main.
Das Werk Ama Ata Aaidoos wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Nelson-Mandela-Lyrik-Preis und dem Commonwealth Writers Prize für Afrika 1992 für den Roman "Changes".

Ama Ata Aidoo

Interview mit der afrikanischen Autorin

Inge Uffelmann schreibt in einem Aufsatz in der Frauen-Literatur-Geschichte, dass Sie in politischen Fragen kein Blatt vor den Mund nehmen. Die Konsequenzen in der Vergangenheit hierfür seien Hausarrest und Passentzug gewesen. Können Sie uns hierüber Näheres sagen? Wie sieht Ihre politische Arbeit heute aus? Haben Sie in irgendeiner Form jetzt noch unter Repressalien zu leiden?

Ich war nie Opfer politischer Verfolgung. Ich verwahre mich dagegen, dass dies so behauptet wird. Ich war nie unter Hausarrest. Das ist eine Erfindung. Richtig ist, dass ich Mitglied der Regierung war, Erziehungsministerin in Ghana, Anfang der achtziger Jahre.

Nach achtzehn Monaten wurde ich aus der Regierung hinausgeworfen, weil ich Vorschläge zur Reform des Bildungswesens gemacht hatte, die die Regierung so nicht akzeptieren mochte. Sie waren zu radikal. Ich persönlich habe keinerlei negative Folgen verspürt, nur dass meine Tochter, die dort in die Schule ging, von den Mitschülern gehänselt und kritisiert wurde. Das war sehr unangenehm für sie und damit auch für mich.
Daraus habe ich die Konsequenz gezogen: Da ich als ehemalige Ministerin nicht so gut angesehen war, ging ich in eine Art selbstauferlegtes Exil nach Zimbabwe. Heute ist es so, dass ich, so wie die politischen Verhältnisse in Ghana sind, auch unter Berücksichtigung der Auffassung, die ich in vielen Dingen habe, mich vorsichtiger äußere. Aber nicht, weil ich direkte politische Verfolgung fürchte, - es gibt keinerlei politische Verfolgung - sondern weil diese Äußerungen erfolglos bleiben würden, keine Konsequenzen hätten und auch nichts bewirken würden.

Von politischer Verfolgung zu sprechen, wäre absolut falsch. Ich halte es für eine europäische Fehlentwicklung, dass man afrikanische Schriftsteller oftmals nur wahrnimmt, wenn sie verfolgt sind. Man guckt sich nicht zuerst ihre Literatur an, sondern erst dann, wenn er oder sie verfolgt wird, dann wird er auch gelesen. Das finde ich nicht gut. Wir wollen ernst genommen werden als Schriftsteller und nicht als politisch Verfolgte.

Können Sie uns sagen, an was Sie im Moment literarisch arbeiten?

In wenigen Monaten, spätestens im Frühjahr nächsten Jahres wird eine Sammlung von Kurzgeschichten erscheinen. Ich arbeite zur Zeit an einem Roman, den ich schon einmal angefangen hatte, und zwar vor der Veröffentlichung von "Changes", einer Love-Story, die 1991 erschien. Dieser Roman erfordert eine Menge Recherchen, die ich damals unterbrechen musste, jetzt aber wieder aufgenommen habe.

Aber ich gehöre zu den Autorinnen, die abergläubisch sind, in der Hinsicht, dass ich nichts über den Inhalt eines Romans erzähle, bis dieser nicht zum Verleger gegangen ist. Dies war noch nicht der Fall. Deshalb sage ich darüber nichts. Die Kurzgeschichten-Sammlung wird heißen: "The Girl, who can" - "Das Mädchen, das kann".

Sie hatten oder haben einen Lehrauftrag in Kalamazoo/USA. Sind Sie noch dort?

Nein, ich habe immer wieder in den USA unterrichtet, das ist richtig. Derzeit habe ich keinen Lehrauftrag, wie das früher gelegentlich der Fall war, der letzte endete Anfang dieses Jahres. Ich habe mir für dieses Jahr vorgenommen, ohne Absicherung, ohne Gehalt, ohne Arbeitsstelle, ohne Stipendium an diesem Roman zu arbeiten. Ich lebe sozusagen von der Hand in den Mund.

Der Themenschwerpunkt in dieser Mathilde-Ausgabe ist "Märchen und Mythen". Hat in Ihrem Leben zu irgendeinem Zeitpunkt eine mytische Gestalt oder eine Märchenfigur irgendeine Rolle gespielt?

Ich bin Zwilling, und diese Tatsache spielt natürlich eine gewisse Rolle in meinem Leben, weil es hierzu bei uns einen vielfältigen mythologischen Background gibt. Da mein Zwilling bei meiner Geburt starb, lebe ich sozusagen mit zwei Leben. Und mein Totem ist eine Katze, so dass ich eine starke Affinität zu diesen Tieren habe. Aber das ist natürlich keine mythologische Figur. Meine Mutter war eine sehr christliche, pragmatische Frau; Geister spielten für sie keine Rolle. Auch ich selbst bin sehr pragmatisch und dem Alltag, dem praktischen Leben zugewandt. Von daher ist das kein Thema für mich. IŽm sorry.

Gibt es menschliche Vorbilder, an denen Sie sich orientiert haben?

Meine Eltern haben in meinem Leben eine wichige Rolle gespielt, Sei waren sehr dynamische, praktische Mensche, die beide nicht lesen und schreiben konnten. Mein Vater war ein sehr fortschrittlicher Mensch, von ihm habe ich zum ersten Mal die Aussage gehört, "wenn man einen Mann ausbildet, dann wird ein Individuum ausgebildet, aber wenn man eine Frau ausbildet, dann bildet man eine ganze Nation aus". Ich bin aufgewachsen in Ghana, in der Zeit unter Kwame Nkrumah (1960 -1966), der mich sehr beeindruckte. Seine visionären, forschrittlichen Ideen waren für mich eine Quelle der Inspiration. Das hat mich sehr geprägt. Leider wurde er gestürzt und heutzutage sage alle diese geschniegelten Politiker, sie seien auch Nkrumahisten, aber das ist natürlich Unsinn. Während der Zeit, als ich erwachsen wurde, gab es eine Reihe Personen um mich herum, die mich stark beeinflusst haben, zum Beispiel der irische Journalist und Hochschullehrer Conor Cruise OŽBrien, Thomas Hodgkin, Efua Sutherland, eine Theater-Schriftstellerin, die vor kurzem gestorben ist. Diese Menschen waren auch hinsichtlich meiner intellektuellen Entwicklung von großer Bedeutung für mich.

Was halten Sie von den Netzwerken zwischen europäischen und afrikanischen Frauen, die es gibt zur Abschaffung der Genitalverstümmelung?

Natürlich ist die Vorstellung der Verstümmelung, der Klitorisausschneidung, Infibulation und dergleichen schrecklich und das sollte gestoppt werden. Allerdings gibt es bei dieser ganzen Debatte zwei Aspekte, die für mich schon sehr wichtig sind.

Zum einen handelt es sich um Praktiken, die in vielen Gesellschaften auftauchen, aber es wird immer so getan, als handele es sich um ein afrikanisches Problem, ausschließlich ein afrikanisches Problem. Die New York Times schreibt "Afrikas schmutziges kleines Geheimnis": Es ist nicht Afrikas schmutziges kleines Geheimnis! Wenn schon, dann ist es das Geheimnis vieler Gesellschaften und nicht bloß der schwarzafrikanischen. Das ist also das eine, dass hier Afrika hervorgehoben wird, obwohl es sich um eine viel weiter verbreitete Angelegenheit handelt.

Das zweite ist, dass die Schuld bei den Täterinnen läge. Die afrikanischen Frauen, die afrikanischen Mütter infibulierten ihre Töchter selbst oder duldeten dies und würden so zu Täterinnen. Auf diese Weise werden sie dämonisiert. Diese Dämonisierung ist einfach deswegen falsch, weil Frauen in allen Gesellschaften im Grunde diejenigen sind, die die gesellschaftlichen Normen erstens durchsetzen und zweitens auch weitertragen.

Die gesellschaftlichen Normen mögen ja positiv zu bewerten sein oder negativ, aber es sind nicht die Frauen, die zu dämonisierende Täterinnen sind, sondern sie sind die Vollstreckerinnen von gesamtgesellschaftlichen Wertvorstellungen und Normen. Man kann das zum Beispiel auch sehen an Müttern, die ihren Töchtern vermitteln, ganz bestimmten Schönheitsvorstellungen zu entsprechen, die durch die Medien transportiert werden, wenig zu essen, schlank zu sein etc., bis die Töchter psychische Wracks sind, Anorexie- oder Bulimie-Opfer werden. Aber das heißt nicht, dass die Mütter die "Bösen" sind, sondern sie sind selbst auch Opfer. Diese Diskussion findet zu wenig statt.

Die beiden Tendenzen, zum einen, dass Afrika die einzige Weltregion sei, in der es so etwas gibt, und die Darstellung von Müttern als zu verurteilende Täterinnen, das ärgert mich am meisten, weil es so heuchlerisch ist. Das heißt nicht, dass ich jetzt sage, Klitorisbeschneidung wäre gut. Es gibt in Afrika auch sehr viele Gesellschaften, in denen es das nicht gibt. Ich bin in einer solchen groß geworden und habe erst auf der Universität davon erfahren.

Herzlichen Dank, Ama Ata Aidoo.

Herzlichen Dank auch Herrn Peter Ripken von der Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika in Frankfurt für Übersetzung und Vermittlung.

Christel Maria Fuchs

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