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Armut in Darmstadt - der Armutsbericht des Magistrats

Darmstadt hat als mittlere Großstadt wie viele andere vergleichbare Kommunen auch unter der zunehmenden Belastung der städtischen Kassen durch steigende Sozialausgaben zu leiden. Dies ist ein Problem, das schon seit den achtziger Jahren besteht, sich aber in den letzten Jahren dramatisch zugespitzt hat. Hinter steigenden Sozialausgaben verbirgt sich eine große Zahl von SozialhilfeempfängerInnen, hinter denen immer Einzelschicksale stecken. Von daher ist der 1994 von der Stadtverordnetenversammlung beschlossene Antrag, den ersten Armutsbericht der Stadt Darmstadt zu erstellen, eine längst überfällige und notwendige Entscheidung gewesen.

Was will der Darmstädter Armutsbericht?

Der erste Darmstädter Armutsbericht besteht eigentlich aus eigenständigen Berichten. Der erste Teil ist von der "Arbeitsgruppe Sozialplanung der Stadt Darmstadt", d.h. von offizieller Seite erstellt worden, während der zweite Teil von der "Arbeitsgruppe Armutsbericht" geschrieben wurde, d.h. von VertreterInnen der freien Träger. Dementsprechend unterschiedlich fallen beiden Teile des Armutsberichtes aus. Im ersten Teil werden zunächst "typische Einzelfälle" dargestellt, um an konkreten Beispielen die Lebenssituation der von Armut betroffenen Personen darzustellen. Die folgenden Kapitel des ersten Teils des Armutberichts zeigen anhand der Sozialhilfezahlen die Armutsbetroffenheit verschiedener Bevölkerungsgruppen und die regionale Verteilung des Armutsproblems auf. Im letzten Kapitel werden sozialpolitische Maßnahmen auf kommunaler Ebene diskutiert, die Wege aus der Armut aufzeigen können.

Der zweite Teil des Armutberichts bezieht sich explizit auf die im ersten Teil vorgestellten Armutsfälle und Sozialhilfezahlen und beschreibt aus der Sicht der freien Träger die Armutspolitik der Stadt Darmstadt und macht konkrete Vorschläge zur Armutsbekämpfung. Diese zweigliedrige Gestaltung des Armutberichts ist insofern zu begroßen, als nicht nur die Sicht der "offiziellen" Politik dargestellt wird, sondern auch diejenigen, die tagtäglich mit der Situation von armen Menschen zu tun haben, zu Wort kommen.

Armut in Darmstadt

Im Juni 1995 bezogen insgesamt 6478 Personen in Darmstadt Sozialhilfe (hierbei sind alle möglichen Formen der Sozialhilfe erfasst), was über den Zeitraum von Juni 1992 bis Juni 1995 eine Steigerung von 74 Prozent bedeutet. Wird Sozialhilfebezug mit Armut gleichgesetzt, so waren 4,7 Prozent aller DarmstädterInnen im Juni 1995 arm. Damit steht Darmstadt im Vergleich zu anderen Großstädten gut da, denn in Städten wie Offenbach, Wiesbaden und Kassel hat sich im gleichen Zeitraum eine noch viel stärkere Steigerung der Sozialhilfezahlen ergeben. Damit soll jedoch in keinem Fall Entwarnung gegeben werden, denn ein genauerer Blick auf die betroffenen Bevölkerungsgruppen signalisiert eine besorgniserregende Entwicklung. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Frauen mit 57 Prozent den größeren Anteil stellen an Personen, die Sozialhilfe beziehen. Diese überproportionale geschlechtsspezifische Betroffenheit verschäft sich noch einmal bei den Alleinerziehenden. Hier zeigt sich, dass unter allen Haushalten, die mit Sozialhilfe unterstützt werden, 15,8 Prozent Alleinerziehenden-Haushalte sind. Anders ausgedrückt: in jedem sechsten aller Haushalte, die Sozialhilfe beziehen, leben eine alleinerziehende Person mit einem oder mehreren Kindern. Dabei bleibt unberücksichtigt, wie viele junge Alleinerziehende unter beengten Verhältnissen noch bei ihren Eltern leben.

Besonders besorgniserregend ist in Darmstadt wie auch in anderen Städten die hohe Sozialhilfebetroffenheit von Kindern und Jugendlichen. Zum Erfassungszeitpunkt im Juni 1995 erhielten 2407 Kinder und Jugendliche Sozialhilfe, das sind 11 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Darmstadt. Hierbei sind besonders die Kinder bis zum Alter von sieben Jahren betroffen. Ein Blick auf die Entwicklung innerhalb der Jahre 1992 bis 1995 zeigt die Dramatik der Situation von Kindern und Jugendlichen: hier hat sich die Sozialhilfequote verdoppelt.

Eine weitere überproportional betroffene Bevölkerungsgruppe sind die AusländerInnen in Darmstadt mit einem Anteil von 28 Prozent.

Die regionale Verteilung der Haushalte, in denen Sozialhilfe bezogen wird, weist drei "Schwerpunkte" mit einer überdurchschnittlich hohen Sozialhilfequote auf. Am stärksten betroffen ist die Kirchtannsiedlung, gefolgt von Kranichstein-Süd und einem Teil der innerstädtischen Bezirke.

Mit den Sozialhilfezahlen allein kann das Ausmaß der Armut nur unzureichend erfasst werden, weil hier all die Personen nicht auftauchen, die zwar einen Anspruch auf Sozialhilfe haben, diesen aber nicht einklagen. Diese "versteckte Armut", die auch als die strengste Form der Armut bezeichnet wird, bleibt so unsichtbar. Gründe für das Nichteinklagen eines berechtigten Sozialhilfeanspruchs sind vielfältig; am häufigsten werden hier Scham, Nichtwissen über die Art der Antragstellung oder auch Furcht vor Demütigung als Ursachen vermutet.

Kommunalpolitische Wege aus der Armut

Der erste Armutsbericht der Stadt Darmstadt ist ein wichtiges Dokument auf dem Weg zu einer differenzierten und vor allem regelmäßigen Armutsberichterstattung. Noch fehlen wichtige Informationen, die eine schlagkräftige kommunale Armutspolitik ermöglichen. Hier sind zum Beispiel eine genauere Analyse der Wohnsituation und des Wohnungsmarktes zu nennen, sowie eine differenziertere Bestandesaufnahme der Situation von Kindern und Jugendlichen.

Eine kommunale Armutspolitik muss in den einzelnen Stadtteilen verankert sein und darf nicht allein administrativ von "oben" verordnet werden. Im Darmstädter Armutsbericht wird hierfür die entscheidende Frage formuliert: " Welche sozialen Einrichtungen, Institutionen oder Gruppen braucht Darmstadt, um eine angemessene soziale Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen?" Diese Frage kann nur in enger Zusammenarbeit mit den freien Trägern beantwortet werden. Insofern bleibt zu hoffen, dass die Stadt Darmstadt weiterhin mit den Wohlfahrtsverbänden zusammenarbeitet, um die folgenden Armutsberichte (von denen hoffenlich nicht mehr allzu viele notwendig sind) als Informationsgrundlage für eine bedürfnisorientierte Armutspolitik zu verbessern.

Marion Möhle

Der Armutsbericht der Stadt Darmstadt ist unter dem Titel:

"Armut in Darmstadt. Beiträge zur Sozialberichterstattung 1/1995. Magistrat der Stadt Darmstadt, Sozialdezernat. 2. Auflage 1996"

beim Sozialdezernat der Stadt Darmstadt erhältlich.

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