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Claire Goll

Portrait einer Dichterin

Wie in vielen Bereichen, so gibt es auch in der Literatur faszinierende Frauen, die im Schatten ihrer berühmten Männer gestanden haben. Um die Kreativität und den Erfolg ihrer Männer zu fördern, stellten sie ihr eigenes Talent in den Hintergrund.

Eine dieser Frauen ist Claire Goll, die sich sehr für ihren Mann und Lieblingsautor Yvan Goll aufopferte. Als Schriftstellerin, Journalistin, Frauenrechtlerin, Pazifistin und Zeit- und Gesellschaftskritikerin führte sie ein aufregendes und rastloses Leben inmitten der literarischen und künstlerischen Avantgarde.

Claire Goll, geb. Klara Aischmann, wurde am 29. Oktober 1890 als zweites Kind von Josef und Malwine Aischmann in Nürnberg geboren. Sie wuchs in einem liebesarmen und bigotten Elternhaus auf, in dem sie von ihrer Mutter nach deren Motto: "So viele Kinder, so viele Feinde!" durch Misshandlungen und Tyrannei großgezogen (gedrillt) wurde. Nach dem Selbstmord des sechzehnjährigen Bruders Alfred wurde sie im privaten Mädcheninstitut Kerschensteiner angemeldet. Julie Kerschensteiner, die das Institut damals geleitet hat, war, wie Claire Goll sagte, eine bemerkenswerte Frau, der sie "..die Entwicklung meiner geistigen Fähigkeiten und meiner Vorstellungskraft" verdankte.

Den einzigen Ausweg aber, der Tyrannei der Mutter zu entkommen, sah Claire Goll in einer Heirat. Als sie von ihrem Geliebten Heinrich Studer schwanger wurde, wurde sie in einer "Atmosphäre von Skandal, Hass und Kuhhandel..." zwischen den Familien verheiratet. Die Ehe bot Claire Goll noch lange keine Freiheit, die sie sich so sehr erhofft hatte. Als sie die Ehebrüche ihres Mannes nicht mehr länger dulden konnte, verließ sie ihn. Den darauffolgenden Scheidungsprozeß hat sie verloren und somit auch ihre Tochter, die der Famile Studer zugesprochen wurde.

Durch den Einfluss ihrer Umwelt und aufgrund ihrer traumatischen Kindheit begann Claire Goll die Kriegsmaschinerie und die zwischenmenschliche Gewalt zu fürchten und abzulehnen, und so verließ sie im Januar 1917 angewidert das von Hass brodelnde Deutschland. Obwohl sie immer davon träumte, nach Frankreich zu gehen, hielt Claire Goll sich erst in Zürich auf und ließ sich bald darauf in der medizinischen Fakultät in Genf immatrikulieren. Im Schweizer Exil verkehrte sie im Kreis der Züricher Dadaisten und verfasste Zeitungsartikel, in denen sie Anklagen gegen das Unrecht des Krieges, das Elend der Völker und die Unterdrückung und Erniedrigung der Frauen erhebt. In dieser Zeit lernte sie Yvan Goll kennen, der von ihrem Engagement begeistert war und versuchte, ihr journalistisches Talent und ihre Popularität zu fördern und es durch seine offene Art immer wieder schaffte, neue Kontakte zu Schrifstellern Künstlern zu knüpfen. Im Frühjahr 1918 zogen Claire und Yvan Goll nach Ascona am Lago Maggiore. Sie verspürten den "Wunsch nach etwas Vagabundensein" und wollten sich etwas von ihren Bekannten, der Hektik des Alltags in Zürich und ihres Exillebens distanzieren. Natürlich hatte sich auch dort schon eine Künstlerkolonie gebildet, so dass sie "...nicht vom intellektuellen Leben abgeschnitten." Waren. Am 11. November 1918 feierte die ganze Künstlerkolonie den Waffenstillstand, und mit großem Eifer wurden Pläne für die Zukunft gemacht. Zu dieser Zeit bat Yvan Goll mal wieder, dass sie ihr Verhältnis in eine legale Ehe umsetzen könnten, doch Claire Goll war noch nicht bereit, sich "anketten" zu lassen. Sie hatte ihren ersten Gedichtband an Riner Maria Rilke geschickt, der daraufhin den Wunsch äußerte, sie kennenzulernen. Im November 1918 reiste Claire Goll nach München. Dort lernte sie Rainer Maria Rilke kennen, mit dem sie eine kurze, aber sehr leidenschaftliche Affäre erlebte. Sie ging wieder zurück zu Yvan Goll, um mit ihm zusammen im November 1919 nach Paris zu gehen.

"Es war die glücklichste Zeit meines Lebens", schrieb Claire Goll, "Wir hatten kein Geld..., aber die Entdeckerfreude fegte alle meine Sorgen weg." Da Goll und ich immer zusammen gesehen wurden, verbreitete sich allmählich der Mythos "Claire und Yvan Goll" in Paris und sie wurden "...in die Galerie der weltberühmten Liebenden ..." eingereiht, weil sie als "...das ideale Paar" gelten. So kam es dann auch, dass sie 1921 offizielle heirateten. In Paris hatten sie vertrauten Umgang mit fast der gesamten literarischen und künstlerischen Avantgarde, wie zum Beispiel Malraux, Breton, Dali, Cocteau, Joyce, Chagall und vielen anderen. Hier führten sie, wie überall wo sie sich aufhielten, ein Leben, das von Erfolgen und Niederlagen, von Liebe, Kunst, Glück und Armut geprägt war. Auch in dieser Zeit schrieb Claire Goll Artikel, vor allem Film-, Theater- und Literaturkritiken, und die ersten Liebensgedichte der beiden sowie Claire Golls sozial- und gesellschaftskritischen Romane und Novellen wurden veröffentlicht. In ihren Romanen trfft Claire Goll den Nerv ihrer Zeit, den der 20er und 30er Jahre, und beschreibt überwiegend das Schicksal gescheiterter Existenzen oder Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Die Jahre, die sie in Paris verbrachten, bildeten den Höhepunkt ihres schriftstellerischen sowie journalistischen Schaffens, denn hier übten sie einen großen Einfluss auf die literarischen Bewegungen der 20er und 30er Jahre aus.

Mit dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges fühlten sich Claire und Yvan Gol in Frankfreich und Europa nicht mehr sicher vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Daher gingen sie im September 1939 nach New York.

Nach fast einem Jahr im amerikanischen Exil mussten sie auch die USA wieder verlassen. Sie lebten für ca. einen Monat in Havanna (Kuba), kehrten dann aber in die USA zurück. Viele Freunde und Bekannte waren schon in die USA geflüchtet oder kamen später nach, sie waren wie auch Claire und Yvan dort unbekannt. Doch ihre Entdeckungsfreude und die Faszination des Unbekannten verdrängten die Gedanken an die ungewisse Zukunft. "Unter den Emigranten spielte sich die gegenseitige Hilfe so ein wie während unseres Aufenthaltes in der Schweiz. Wir tauschten Übersetzungsarbeiten aus, stellten Anthologien zusammen und machten Untertitel für Filme." So konnten beide auch ihre journalistische Arbeit wieder aufnehmen und einige ihrer Arbeiten veröffentlichen. Während der Sommermonate profitierten sie von den Künstlerkolonien, die von Wohltätern gegründet und finanziert wurde, in denen aber ateilweise sehr strenge Vorschriften herrschten.

1945 erlangten Claire und Yvan Goll die amerikanische Staatsbürgerschaft, kurz davor diagnostizierten die Ärzte bei Yvan Goll Leukämie. 1947 kehrten sie zurück nach Paris. Ihre Wohnung war von den Nazis geplündert worden, sämtliche Möbel, Bilder, Manuskripte, Briefe waren verschwunden. "Die Nazis hatten mir meine Vergangenheit gestohlen." So lebten sie, wie alle, im Nachkriegseuropa in bitterer Not. Trotz der miserablen Umstände war es ihnen möglich, im September und Oktober 1949 eine Reise durch Italien zu unternehmen. Diese Reise war Yvan Golls Wunsch, der durch seine Krankheit schon sehr geschwächt war. Am 27. Februar 1950 starb er. 1952 unternahm Claire eine Vortragsreise durch die USA. Sie berbrachte einen großen Teil ihres Lebens in Hotels und besaß nur, was sie auf der Flucht retten konnte, das sie jedoch nach und nach auch verkaufen musste. Sie erhielt gelegentlich diverse Angebote zu schreiben, zum Beispiel Werbetexte für Helena Rubinstein, die sie jedoch ausschlug, sie "...immer noch auf ein Wunder..." wartete. Dieses Wunder kam in Form zweier Erbschaften, um die sie aber betrogen wurde. "Nach drei Jahren...Quälereien des Fiskus...hatte ich mit mehr als siebzig Jahren endlich ein Dach über dem Kopf, unter dem ich ruhig schlafen und arbeiten konnte..."

Ihre Arbeit bestand in der Verwaltung des literarischen Nachlasses Yvan Golls. Akribisch war Claire mit der Edition der Werke ihres Mannes beschäftigt und vergaß darüber ihr eigenes Oeuvre. Zwar wurden auch von ihr Gedichte und Prosatexte veröffentlicht, aber es war zu sporadisch und ohne Konzept.

Am 30. Mai 1977 starb Claire Goll in Paris und wurde am 4. Juni im "Ewigkeitsgrab" der Golls beigesetzt.

Von vielen bewundert und von anderen leise belächelt, das war die Resonanz auf das Erscheinen ihrer Biographi, aus der oft eine andere, verbittertere Claire Goll spricht als die Frau, die beim Betrachten ihres Werkes zu erkennen ist. Ein Pariser Journalist hatte ein Interview mit ihr geführt und daraus die Aufzeichnungen erstellt. Diese Biographie erhielt jeodch schon in der französischen Originalfassung so viele Fehler, dass Claire Goll die Veröffentlichung nicht gestatten wollte, aber ihr Alter und ihre Krankheit erlaubten ihr nicht, noch einmal den Kampf mit den Verlegern aufzunehmen. Auch der deutsche, vom Verlag recht unglücklich ausgewählte Titel: "Ich verzeihe keinem - eine literarische Chronique scandaleuse unserer Zeit" erscheint angesichts der Erfahrungen und des Engagements von Claire Goll unpassend. Wenn die Leserinnen und Leser ihrer Biographie diese Hintergründe kennen, das Buch mit dem nötigen Abstand betrachten und sich mit ihrem gesamten Werk beschäftigen, dann entdecken sie eine faszinierende, sensible und engagierte Frau - Claire Goll.

Uta Lippold

Quelle:
Claire Goll "Ich verzeihe keinem - eine literarische Chronique scandaleuse unserer Zeit", Knaur Verlag

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