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Dessous und andere Unbequemlichkeiten

Das Weibchen an sich ist zart, schwach und dämlich. Deswegen lässt es sich auch leicht knechten. Zum Knechten und Demütigen braucht es keine körperliche Züchtigung oder seelische Folter, nein, es funktioniert wunderbar durch das Modediktat. Dem beugen sich alle.

Heutzutage fressen und kotzen sich alle schlank bis zum Umfallen - aber was ist das schon gegen früher? Oh Gott, da gab es das Korsett. Das war sogar medizinisch begründet. Denn Frauen mögen zwar, rein anatomisch gesehen, ein Rückgrat haben - weich und labil braucht es jedoch ausreichende Stützen für den aufrechten Gang. Das Weib ist schwach, das Fleisch willig und die Innereien beugen sich dem Druck.

Der Kleiderzwang begann gleich nach der Geburt. Fest verschnürt lagen kleine Wickelpackete in den Wiegen. Etwas später sorgten Schnürbrüste für erste Verwachsungen. Reifrock und Hüftkissen besorgten dann den Rest: aus kleine Mädchen wurden kleine Frauen, die an Engbrüstigkeit, Verstopfung, Krampfhusten oder Missbildungen litten.

Wer dies alles überlebte und nicht der Schwindsucht zum Opfer fiel, konnte die Schnürbrüste sogar zur Geburtenregelung einsetzen. Wie praktisch. Kein Wunder, dass sich die modebewusste Dame mit der Reformkleidung der Jugendstilzeit schwer tat.

Da half es auch nichts, dass so große Künstler und Architekten wie Gustav Klimt, Joseph Maria Olbrich oder Peter Behrens eigens Reformkleider entwarfen. Vielleicht lag die mangelnde Akzeptanz ja auch am Preis. Und wenn Wespentaillen nur mal als sexy gelten, bleibt einer Frau ja auch gar nichts anderes übrig. Das weit verbreitete Vorurteil, dass Frauen die sich der zweieinhalb Kilo schweren Unterwäsche entledigen, zwangsläufig zu gefährlichen Furien werden, tat sein übriges. Wer wollte schon als Blaustrumpf beschimpft werden.

Erst während des ersten Weltkrieges veränderte sich das Bild der Frau. Jetzt wurden Büstenhalter, Korsetts und Hüftgürtel bevorzugt, welche die Brust flach und die Hüften unauffällig machten. Vorbilder und Trends gab und gibt es genug. Irgendwann kommt immer eine Brigitte Bardot, Twiggy oder Claudia Schiffer, immer ein neues Modediktat, der die schwachen Weibchen nacheifern können.

Und wenn sie nicht gestorben sind, modellieren sie bis heute an ihren Körpern herum.

Sabine Schiner

  • Im Museum Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe Darmstadt kann noch bis zum 17.3.96 die Ausstellung "Ein Ausstieg aus dem Korsett, Reformkleidung um 1900" besucht werden.
    Das Museum ist dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet,
    der Katalog zur Ausstellung kostet 25 DM.

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