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"Mütter kommt her, wir tun uns zusammen..."

frei nach: flying lesbians

Obwohl es bereits in den 70iger und 80iger Jahren Gruppen lesbischer Mütter * gab, blieben diese Zusammenschlüsse ohne Kontinuität: Die Gruppen zerfielen nach einer Zeit, ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen (höchstens im Leben der einzelnen Lesbe); es gab keine gezielte Selbst-Organisation der Mütter; was immer auch diskutiert worden sein mag, konnte in der Lesbenbewegung kein Bewusstsein für den Komplex Lesbische Mutterschaft schaffen, auch hier wurden keine Spuren hinterlassen.

Erst jetzt, im Zuge des angeblichen, aus den USA herüberschwappenden "Gayby-Booms" (siehe EMMA 5 - Spt/Okt 1994, Seite 101) melden sich Lesben, die mit Kindern leben, zu Wort.

Vielleicht war die letzliche Auslöserin dafür der Zorn der Mütter angesichts des allgmeinen Tamtams über Lesbenbabys und Kinderwunsch, in dem sie selbst und ihre Lesbenwirklichkeit wieder einmal unsichtbar blieben. Welcher lesbischen Mutter sträuben sich nicht die Haare bei den oft grausam unrealistischen Rosa-Wolke-Träumen vom Lesben-Baby? Gleichzeitig mussten viele die Erfahrung machen, dass sie nicht nur weder vorkommen noch gefragt werden, sondern dass sie auch gar nicht gehört werden wollen - ungeachtet der Tatsache, dass die eigentlich Fachfrauen zum Thema wären. Zuviel Angst vor Desillusionierung? Jedenfalls beginnen Lesben die mit Kindern leben, sich seit zwei Jahren - und damit erstmals in der Geschichte der Frauen- und Lesbenbewegung! - gezielt zu organisieren. Erste Anfänge bildeten verschiedene FrauenLesbencamps, zu denen viele Mütter mit ihren Kindern anreisten und die zunächst als Geheimtipp per Mundpropaganda weitergereicht wurden.

Den nächsten Schritt bildete ein Workshop auf dem Lesbenfrühlingstreffen in Heidelberg 1994 mit dem Titel: "Le(s)ben mit Kind/ern - aber wie? - Lesbische Mütter und Co-Wahl-Mütter". Dieser Workshop fand riesigen Zulauf (ca. 80 Lesben), entwickelte sich zur Zweitagesveranstaltung und wurde überdies zur Grundlage einer erstmaligen, bundesweiten Vernetzung.

Organisiert hatten diesen Workshop Kiki und Sabine, zwei Studentinnen, die sich als Thema ihrer Diplomarbeit "Lesbische Mütter und Lesben mit Kinderwunsch" vorgenommen hatten (Diese Diplomarbeit ist inzwischen fertiggestellt und über die beiden zu beziehen). Kiki und Sabien übernahmen für die nächsten zwei Jahre die Organisation der Vernetzung: Sie sammelten zahlreiche Informationen, Adressen, Literaturtipps usw. Und verschickten auf eigene Kosten Rundbriefe an die ca. 60 Mütter, die sich zunächst an dem Netzwerk beteiligten. In dieser Zeit verfasste ich selbst einige Artikel über die Situation von Lesben mit Kindern ("Lesben mit Kindern sind Lesben ohne Kinder", "Frauen zwischen allen Stühlen"), die im Lesbenring-Info, in der UKZ Berlin und in der Münchner Frauenzeitung erschienen sind. In der Folge erhielt ich zahlreiche Leserinnenbriefe. Fazit: Zustimmung, dass ihre Lage alles andere als rosig ist; gleichzeitig Begeisterung, sich und ihre Realität endlich einmal unverfälscht in einem Artikel wiederfinden zu können.

Endlich erscheinen nun auch Bücher zum Thema: Bereits seit 1991 gibt es Uli Streibs Aufsatzsammlung "Von nun an nannten sie sich Mütter"; 1995 erschien eine Zusammenstellung von Interviews lesbischer Mütter: Brigitte Sasse "Ganz normale Mütter".

Nach Fertigstellung ihrer Diplomarbeit wurden den beiden Erstvernetzerinnen Arbeit und Aufwand zu viel. Kurzfristig übernahm es Susanne, die Zusammenarbeit weiterzutreiben. Sie organiserte ein Wochendendcamp mit Kinderbetreuung und Zeltlager bei München, auf dem sich bayerische Mütter trafen. Ergebnis der Selbstreflexion auf diesem Camp war, dass es höchste Zeit wird, zwischen den Stühlen rauszukommen und sich einen gemütlichen Sessel zu suchen - sprich: Dass wir Mütter uns eine selbst-bewußte Identität schaffen und damit an die Öffentlichkeit gehen, um anderen die Identitätsfindung zu erleichtern und um selbst endlich wahrgenommen zu werden. Dieser Artikel ist bereits Folge dieses Entschlusses.

Leider die Geliebten der leiblichen Mütter, die Co-Wahl-Mütter, immer noch keine Bezeichnung für sich selbst finden, mit der sie sich wirklich identifizieren können - Indiz dafür, dass auch das eigene Selbst-Verständnis noch sehr unklar ist; eine Tatsache, die natürlich gesellschaftsbedingt ist: Für Frauen, die Kinder ihrer Geliebten miterziehen, gibt es keine gesellschaftlichen Rollenmuster, keine festgeschriebenen Rechte oder Pflichten. Überhaupt konntne viele Themen nur angerissen werden. Allzuviel brennt auf den Nägelen. Ein Folgetreffen Anfang 1996 in München ist in Planung.

Was die weitere Organisation betrifft, wurden auf dem Camp zwei Dinge besprochen. Zum einen ging es um die Forderungen an das Orgateam des Lesbenfrühlings 1996 in München zu Kinderfreundlichkeit, eigenen Räumen und eigenem Programm für Lesben mit Kindern (Lasst euch überraschen!). Zum anderen musste geklärt werden, wie die Vernetzung weiterlaufen soll. In Zusammenarbeit mit dem Lesbenring wurde folgende Lösung gefunden

Ich schließe mit einigen Camp-Zitaten, von denen wir uns wünschen, dass sie dereinst überflüssig, ja sogar undenkbar werden: "Lesbische Mütter, die gibts doch gar nicht!", "Mit Söhnen wäre ich von der Szene nie so offen aufgenommen worden wie mit meinen Töchtern!", "Umso größer die Söhne, umso mehr werden sie verschwiegen.", "Plötzlich erfährst du von Lesben, die du kennst, dass sie Kinder haben.", "Ich bin schon seit vier Jahren nicht mehr abends ausgegangen.", "Bist du blöd, die Kinder deiner Freundin unbezahlt aufzuziehen?", "Wenn meine Liebste nicht mitzahlen würde, müsste ich ab und zu Gras fressen.

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* Der Einfachheit halber sei im Folgenden von Müttern gesprochen im Sinne von: "Lesbe mit Verantwortung für leibliche/s oder nicht-leibliche/s Kind/er

Gita Tost, Türklmühle 3, 93164 Laaber

Literatur

  • Uli Streib (Hrsg.), Von nun an nannten sie sich Mütter, Orlanda Frauenverlag, 1991, ca. 32 DM,
  • Brigitte Sasse, Ganz normale Mütter, Lesbische Frauen und ihre Kinder. Fischer Taschenbuch 12417, 1995, ca. 16,90 DM
  • Tine, "Lesbisch und Mutter?", in: Irrsinn 9/94, Seite 86-92
  • Diplomarbeit "Lesbische Mütter und CoMütter", Gegen Verrechnungsscheck über 20 DM zu beziehen bei: Sabine Krink und Kiki Mester, Am Menzenberg 9, 53604 Bad Honnef

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