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Sprachliche Ausblendung von Gewalt und Leiden im Krieg

Ulrike Siebert hat während ihres Studiums am Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft der Technischen Hochschule Darmstadt für ihre Magisterarbeit Zeitungsberichte über den Golfkrieg ausgewertet. Sie hat damit ein Thema aufgegriffen, das sprachwissenschaftlich noch kaum bearbeitet worden ist. Die Arbeit mit dem Titel"Die sprachliche Darstellung der Gewalt in Presseberichten über den Golfkrieg 1991"wurde im Juni 1993 mit dem Albert-Osswald Preis ausgezeichnet.

Vier große Tageszeitungen hat Ulrike Siebert für ihre Arbeit herangezogen: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Frankfurter Rundschau (FR), tageszeitung (taz) und Bild-Zeitung (Bild). Die vier Tageszeitungen vertreten unterschiedliche politische Richtungen und waren auch hinsichtlich Akzeptanz, bzw. Ablehnung des Golfkriegs als Mittel der Politik unterschiedlicher Meinung. Trotz dieser Unterschiede fand Ulrike Siebert in der Berichterstattung der vier Zeitungen einige Gemeinsamkeiten.

Die Autorin macht deutlich, dass die im Golfkrieg eingesetzten Waffen durch die Verleihung von Namen gewissermaßen zu selbständigen Wesen werden. Sie tragen Tiernamen: Cobra, Falke, Habicht, Fuchs etc. Bestimmte tierische Eigenschaften wie tierische Überlegenheit, Aggressivität und Schläue werden damit auf Waffen projiziert. Auch Naturphänomene wie Tornado, Donner und Blitz werden als Taufpaten für Waffen herangezogen. Es wird damit suggeriert, dass Krieg wie eine unberechenbare Naturgewalt über die Menschen kommt und außerhalb menschlicher Verantwortung liegt. In diesen Bereich gehören Redewendungen wie »der Krieg bricht aus«, »der Krieg tobt«, »Bagdad unter Bombenhagel« (FR), »todbringender Regen« (FR). Besonders makaber und verharmlosend ist »Daisy-Cutter« (Gänseblümchen-Schneider) als Beiname für die Splitterbombe BLU-82. Die zerstörerische Funktion von Massenvernichtungsmitteln wird auf diese Weise versteckt.

In weiteren Beispielen wird darauf hingewiesen, wie Waffen in der Berichterstattung vermenschlicht werden. Sie haben "deutsche Großeltern" (taz), oder sind "Urenkel der Stalin-Orgel" (Bild). Außerdem haben Waffen ein Gehirn (FAZ), sind intelligent (taz), schlau (FAZ), blind, verwundbar (FAZ) oder unverwundbar (Bild). Raketen "fauchen heran" (Bild) und "stürzen sich in Häuserschluchten" (Bild). Sie bringen einander um: "Rakete gegen Rakete" (Bild). Es ist von "elektronischen Kriegern" und von Jets als "ernstzunehmenden Gegnern" (FAZ) die Rede, es gibt in der Berichterstattung sogar "gute und böse" Waffen, Raketen schlagen wie "Riesenfäuste zwischen die Häuser von Tel-Aviv." (Bild). Bei dieser Art der Berichterstattung wird suggeriert, dass nicht Menschen, sondern Waffen handeln. Die Verantwortung für Tod und Zerstörung wird den Waffen als eigenständigen Wesen zugeschoben.

Die Bombenlast eines Flugzeugs heißt beschönigend "Nutzlast", die "abgeladen" wird. Getroffen werden "Ziele". Menschenverachtend und verfälschend zugleich ist die Bezeichnung "weiche Ziele" für Menschen. Es ist der "saubere" Luftkrieg", bei dem vermittelt wird, dass Waffe gegen Waffe steht, dass Objekte getroffen werden, nicht Menschen. Im Gegensatz dazu gilt der am Ende des Golfkonflikts stattfindende Landkrieg als schmutzig, brutal und blutig. Es wird verschwiegen, dass der Krieg für die irakische Bevölkerung vom ersten Tag an brutal war. In den Berichten sind Massenvernichtungsmittel "hochmodern, präzise, perfekt, erfolgreich". Dieses Vokabular unterscheidet sich nicht von der Beschreibung einer Waschmaschine. Spürbar wird der Schrecken und die Absurdität des technischen Fortschrittdenkens in einem Beispiel der Autorin: eine "verbesserte" Bombe bedeutet eine schlimmere Bombe, die besser töten und zerstören kann. Ulrike Siebert arbeitet in ihrer Arbeit heraus, dass das Wort "töten" in der Berichterstattung vermieden wird. Die sprachliche Wendungen sind unscharf, "die Kampfkraft wird halbiert" (FR), "die irakische Luftwaffe wird neutralisiert" (FAZ), "die Alliierten haben 800 gepanzerte Fahrzeuge in Schrott verwandelt." (FAZ).

Es wird sprachlich ausgeblendet, dass immer Menschen betroffen sind. Darüberhinaus wird impliziert, dass Waffen Handlungen ausführen und nicht Menschen. "Tag und Nacht werfen Bomber ihre tödliche Fracht ab" (FAZ). In der Arbeit wird ausgeführt, dass damit eine Art psychologischer Schutzwall aufgebaut wird. Wahrheiten werden nicht ausgesprochen, dann ist leichter mit ihnen fertig zu werden. Schlimmer noch: Es findet eine Selbsttäuschung statt, der Mensch als Subjekt wird nicht mehr wahrgenommen. Entmenschte Sprache ist das Abbild der entmenschten Kriegstechnik. Hinter der Verharmlosung von Gewalt steht die Absicht, Krieg als Mittel der Politik zu rechtfertigen.

Zu jedem Krieg gehört ein Feind. Die deutsche Presse konzentrierte sich während des Golfkrieges vor allem auf Saddam Hussein als Feindbild Nummer eins. Er wird als gewaltorientiert dargestellt, "ohne menschlichen Anstand" (FAZ), "vom Machtwahn besessen" (FR), als "Schlächter von Bagdad" (FR), als "blutrünstiger Diktator" (taz), als "der Irre von Bagdad" (Bild). Ulrike Siebert weist in ihrer Arbeit darauf hin, dass die Darstellung eines sehr bedrohlichen Feindes zur Rechtfertigung kriegerischer Gewalt dient. Je verächtlicher der Feind gemacht wird, umso größer wird die eigene Überlegenheit. Entmenschlichende Darstellungen werden auch auf die irakischen Truppen ausgedehnt. Luftangriffe auf Irak verliefen wie "Küchenschabenknacken" (FR), "Schwarzkopf bezeichnete die Iraker als unberechenbar wie tollwütige Hunde" (FR). In der RF wird Saddam Hussein zwar verurteilt, bleibt aber trotzdem ein rational handelnder, wenn auch grausamer Mensch. Saddam führt einen schlechten, einen unmoralischen Krieg, während der Krieg der Alliierten als guter und gerechter Krieg dargestellt wird. Auf Seiten der Alliierten ist nicht von kriegerischer Gewalt die Rede, sondern von "Befreiung", "Auftrag erfüllen". Bei einer Rede legt Bush den Krieg in Gottes Hand.

Ulrike Siebert weist darauf hin, dass Feindbilder davon leben, dass Unterschiede betont und Gemeinsamkeiten ausgeblendet werden. Gut und böse stehen sich letztendlich als unversöhnliche Gegensätze gegenüber. Schließlich wird die kriegerische Auseinandersetzung zur einzig möglichen Konfliktlösung.

Je nach Zeitung wird die Friedensbewegung noch zum Nebenfeindbild: "Die Zeit naiver Demonstrationen, billiger Schlagwörter, auch braver Mahnwachen geht zu Ende" (FAZ). Pazifisten und Kriegsdienstverweigerern wurde zum Teil sehr subtil ein schlechtes Gewissen eingeredet. Schließlich findet eine Umwertung der Begriffe statt: Kampf gilt als Friedenssicherung, wer für den Frieden eintritt, ist suspekt und gefährdet den Frieden.

Die Arbeit ist in gut verständlicher Sprache geschrieben und konnte hier natürlich nur zu einem kleinen Teil wiedergegeben werden. Ulrike Siebert hat sehr klar analysiert, wie durch Sprache Krieg und Massenvernichtungsmittel zu handelnden Subjekten gemacht wurden, hinter denen sich die verantwortlichen Menschen verbergen konnten. Tod und Gewalt wurden verharmlost, menschliches Leid und menschliche Schmerzen ausgeblendet. In der Berichterstattung vom Golfkrieg wurde deutschen LeserInnen vermittelt, dass Krieg nicht so schlimm ist, dass er unvermeidlich war, und sich durchaus als Mittel der Politik eignet. Auch die Tatsache, dass eine freie Pressearbeit durch die Zensur der kriegführenden Parteien gar nicht möglich war, kam nicht in allen Zeitungen klar genug zum Ausdruck.

Barbara Obermüller

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