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Kunst ist nicht gleich Kunst

Suhrkamp gegen Soltau

Annegret Soltau war mit ihrem Bild "Generativ" schon im Sommer dieses Jahres diskriminiert worden. Bei einer Wanderausstellung durch die Bundesrepublik wurde das Bild an zwei Orten, in Dietzenbach und in Augsburg, aus der Ausstellung entfernt (siehe auch Nr. 15, Seite 30).

In einem vor kurzem im Suhrkamp-Verlag erschienen, von der in Darmstadt lebenden Autorin Farideh Akashe-Böhme herausgegebenen Buch "Vond er Auffälligkeit des Leibes" sollte eine Bildserie Annegret Soltaus mit dem Titel "Altern und Gestaltwerden der Frau" erscheinen. Kurz vor der Drucklegung entschied sich der Verleger Dr. Unseld plötzlich gegen die Bildserie. Er meinte, den Bild-Essay als "bewußt verfolgte Ästhetik des Häßlichen" seinen LeserInnen nicht zumuten zu können. Trotz des Protestes der Herausgeberin und der Künstlerin ist das Buch ohne den Beitrag von Annegret Soltau erschienen, obwohl ihr Bild-Zyklus dem geplanten Thema genau entsprochen hätte.

Die Zensur, die der Suhrkamp-Verlag hier ausübte, wirft ein grelles Licht auf die Machtverhälntnisse in unserer Gesellschaft und in der Kulturpolitik. Wieder einmal wird deutlich, dass Frauen mit ihrer Lebensrealität in der Kunst keine Sprache haben. Was gilt, ist die Abbildung der Frau aus Männersicht, als Objekt ihrer Fantasie. Alte oder schwangere Frauenkörper haben in dieser Kultur keinen Platz, sie werden als anstößig oder häßlich ausgegrenzt. Männlich-pornografische Kunst dagegen wird nicht hinterfragt. Bilder eines Alfred Hrdlicka, die männliche Sexualität und sexuelle Gewalt gegen Frauen zum Thema haben, werden seit Jahren im Hessischen Sozialgericht in Darmstadt ungehindert der Öffentlichkeit präsentiert (Siehe Nr. 15, Seite 30). Hier ist keine Rede von Anstößigkeit oder davon, dass irgend jemand (Frauen!) vor dem Anblick dieser Bilder bewahrt werden müssten. Im Gegenteil, hier wird mit zweierlei Maß gemessen, hier gilt die "Freiheit der Kuns", die Annegret Soltau verweigert wurde.

Annegret Soltau ist eine anerkannte Künstlerin, die als Frau in der Kunst das ausdrückt, was Frauen bis heute streitig gemacht wird, nämlich die Auseinandersetzung mit ihrem Körper aus ihrer eigenen Sicht. Frauen haben ein Recht darauf, in der Kunst nicht länger als Objekt, sondern subjektiv aus weiblicher Anschauung wahrgenommen zu werden. Annegret Soltau hat mit ihren Bildern ein Thema berührt, das gerade bei Frauen mit Angst besetzt ist. Frauen sind davon geprägt, ihr Altern möglichst zu verstecken, zu verdecken, zu verdrängen. Frau soll so sein, wie Mann sie brauchen kann. Alte Frauen stehen nicht nur in der Kunst im Abseits. Künstlerinnen wie Annegret Soltau verhelfen Frauen zu einem ehrlichen Blick auf ihren Körper und seine Vergänglichkeit. Ihre Fotoarbeiten sind keine bequemen Bilder, sie fordern heraus und konfrontieren mit der Wahrheit. Auf einer anderen Ebene gibt Annegret Soltau nach ihren eigenen Worten Frauen in diesen Bildern Verlorenes zurück: das mütterliche Verwandtschaftssystem über die weibliche Erbfolge, die matrilineare Verbindung über Geburt zwischen Urgroßmutter, Großmutter, Mutter und Tochter.

Wir hoffen, dass Annegret Soltau sich in ihrem Schaffen nicht von männlicher Zensur entmutigen lässt. Frauen wie sie brechen die jahrhundertealte Vorherrschft von Männern in der Kunst, beenden ihre einseitige Sichtweise und die Sprach- und Ausdruckslosigkeit von Frauen in der Kunstgeschichte. Schade, dass das Buch "Von der Auffälligkeit des Leibes" nicht dem Suhrkamp- Verlag entzogen und einem Frauenverlag zur Publikation übergeben werden konnte. So, wie es jetzt ist, fehlt dem Buch eine wichtige Komponente.

Barbara Obermüller

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